Zwei Frauen sitzen gemeinsam am Tisch. Auf den ersten Blick könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Die eine, Andrea Zoltai, kurze Haare, sonnengebräunt, bunte Fingernägel und Tätowierungen. Die andere, Fruzsina Magyar, kaum Make-up, Kleidung in Erdfarben und ein Lächeln, das Güte und Verständnis ausstrahlt. Und doch stehen beide für dieselbe Sache ein: gegen das „verdammte“ Denkmal am Szabadság tér. Ein Gespräch über die vergangenen sechs Monate.
Seit fast drei Monaten harren die Demonstranten und Sympathisanten um die beiden Frauen nun schon am Szabadság tér aus, täglich mehrere Stunden, bei Regen und Unwetter ebenso wie in der sengenden Hitze der vergangenen Tage. Doch bereits seit Anfang des Jahres versuchen sie, gegen den Bau des Denkmals vorzugehen. Andrea Zoltai, Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden, erinnert sich, wie alles begann: „Ein befreundeter Journalist rief Fruzsina an, dass er das Magyar Közlöny (Amtsblatt) vom Silvesterabend gelesen hatte, und dort fand er zu seiner großen Überraschung das geplante Denkmal. Schon für den Tag darauf, also für den 2. Januar haben wir dann einen Flashmob vor das ehemalige MTVA-Gebäude organisiert.“ Nur wenige Wochen später, am 10. Februar, wurde erneut demonstriert, diesmal gemeinsam mit Vertretern der oppositionellen Parteien, „und etwa sechs oder sieben Wochen lang haben wir jeden Sonntag eine Mahnwache am Nyugati tér gehalten“ so Zoltai. Dort erhielten vor allem Holocaust-Überlebende das Wort, um sich gegen das Besetzungsdenkmal auszusprechen. Kurz darauf entsandte Ministerpräsident Viktor Orbán einen Brief an die jüdische Dachorganisation MAZSIHISZ, in dem es hieß, man werde den geplanten Bau vertagen und nach den Wahlen das Gespräch mit den jüdischen Interessenvertretungen suchen, um einen für alle akzeptablen Kompromiss zu finden. Zoltai und ihre Mitstreiter hatten zwar wenig Hoffnung, dass daraus tatsächlich etwas wird, „aber wir sagten uns, warten wir erst einmal ab“. Und dann kamen die Wahlen.
Kompromiss auf Fidesz-Art
„Zwei Tage nach der Wahl rief mich Fruzsina an, dass am Szabadság tér Bauarbeiten begonnen hätten. So schnell wie möglich gaben wir die Information weiter, fuhren zur Baustelle und sind seitdem hier“, fasst Zoltai zusammen. Auch Fruzsina Magyar erinnert sich noch genau an den Beginn der Dauer-Demo: „Am 8. April waren wir mehrere Hundert Menschen hier, binnen weniger Stunden haben wir knapp 500 Menschen mobilisieren können.“ Während der ersten drei Wochen waren die Demonstranten und Denkmal-Gegner vor Ort und versuchten durch Kundgebungen die Regierung zu Gesprächen zu bewegen. Als dies jedoch ohne Resultat blieb, griffen sie zum Mittel des zivilen Widerstands: „Mehrere Tage lang waren wir bereits am morgen um 4.30 vor Ort, besetzten die Baustelle und gingen erst, als die Arbeiter am Nachmittag wieder abzogen.“ Andrea Zoltai weiter: „Wir waren immer 20 bis 25 Aktivisten hier, selbst in strömendem Regen.“ Mehrere Tage befanden sich die Demonstranten und die Baufirma in einer Pattsituation, ehe die Polizei sich der Sache annahm. Fruzsina Magyar erinnert sich: „Mit einem Großaufgebot bezog die Polizei Stellung und zerrte uns teils unsanft vom Baugelände.“ Das Großaufgebot ist seitdem vor Ort – wie auch die Demonstranten. „Wir sind täglich ab halb sechs am Abend hier, aber ich schaue auch oft tagsüber oder während der Nacht vorbei“, erklärt die Gastronomin Zoltai. Die ständige Wachsamkeit hat einen Grund: Das Denkmal ist weder fertig noch übergeben, „und wir wissen einfach nicht, was kommt“, so Fruzsina Magyar. Beide fordern Informationen, zu Recht, wie Andrea Zoltai findet: „Man würde meinen, dass bei einer Summe von 311 Millionen Forint Steuergeldern zumindest die Medien informiert sind, aber nichts. Keiner weiß, was der nächste Schritt ist.“ (Auch die Budapester Zeitung fragte bei der entsprechenden Behörde an, erhielt aber nur einen Verweis darauf, dass man sich melde, sobald ein Termin für die Übergabe feststeht.) Tatsächlich steht seit rund sechs Wochen ein fast fertiges Denkmal verbarrikadiert hinter Planen und Absperrungen auf dem Szabadság tér. „Es gibt nicht einmal mehr Arbeiter hier, sondern die Baustelle wird nur noch bewacht“, ergänzt die Dramaturgin Magyar. Bewegung kommt immer nur dann in die
Sache, wenn Magyar, Zoltai und ihre Mitstreiter sich der Baustelle nähern: „Sobald wir den Platz betreten erscheinen auf einmal fast wie aus dem Nichts Unmengen an Polizisten.“ Selbst nachts, weiß Zoltai aus rfahrung zu berichten, sind immer ein-zwei Polizisten direkt vor Ort, und voll besetzte Einsatzfahrzeuge parken in unmittelbarer Nähe. „Sie steigen auch sofort aus, sobald ich hier vorbeikomme“. Auch Fruzsina Magyar hat einschlägige Erfahrungen gemacht: „Wir probierten einfach al aus, was geschieht. Wir kamen mit einigen Mistreitern unabhängig vom Demonstrationszeitpunkt auf den Platz zu und sofort standen die Sicherheitskräfte bereit.“ Die überzeugte Demokratin sieht hier eine starke Diskrepanz im Verhalten der Polizei gegenüber ihnen und der rechtsextremen Partei Jobbik: „Vergleichen wir das mit den Demonstrationen von Jobbik, wie sie dort geschützt werden und uns, die wir teils mit Gewalt von den Polizisten angegangen werden, kommt Unverständnis auf.“ Beide Frauen berichten von Übergriffen seitens der Polizei, angefangen von Stößen vor die Brust bis hin zum Ziehen an den Haaren. Doch nicht deswegen sind beide mittlerweile fast Stammgäste auf der Polizeiwache, sondern weil gegen beide diverse Verfahren laufen, unter anderem wegen Vandalismus. „Allerdings haben wir niemals versucht, uns gegenüber der Polizei zu verteidigen, sondern wir haben immer auf unser Recht auf zivilen Widerstand und das Recht auf freie Meinungsäußerung beharrt“, fügt Fruzsina Magyar mit Nachdruck hinzu. Sie war es auch, die sich über mehrere Stunden hinweg weigerte, sich von der Polizei durch Fingerabdrücke erfassen zu lassen. „Während der Anhörung haben wir klar Stellung bezogen als selbstverantwortliche, bewusste Bürger und Organisatoren einer Demonstration. Wir haben uns nicht verteidigt, weil wir nichts Unrechtes getan haben!“
Und wie nun weiter?
Auf die Frage, wie lange noch am Szabadság tér ausgeharrt werden soll, wissen beide keine konkrete Antwort. Fruzsina Magyar ist sich sicher, dass die Regierung hier auf Zeit spielt und hofft, dass die Demonstranten aufgeben werden. „Aber ich würde unsere Situation nicht mit den Aktivisten in der Kunigunda útja vergleichen“, stellt Andrea Zoltai fest. Denn zum einen sei der Ort der Demonstration entscheidend: „Das durchschnittliche Lebensalter der Teilnehmer bei Demos liegt, seien wir ehrlich, derzeit bei über 50 Jahren. Und die Kunigunda útja ist einfach sehr schwer zu erreichen. Von daher ist es für die Aktivisten um Nagy-Navarro schwierig. Nichtsdestotrotz bin ich mir sicher, dass wir unsere Demo keinesfalls 900 Tage ziehen dürfen.“
Irgendwann jedoch muss das Denkmal entweder fertiggestellt oder abgebaut sein, denn verhüllt unter Planen kann es nicht bleiben. Beide Aktivistinnen sind sich sicher, dass das Denkmal noch nicht fertiggestellt ist: „Wir wissen von einem befreundeten Bildhauer, dass die geplante Gabriel-Statue mit einem Kran aufgesetzt werden müsste, das hätten wir auf jeden Fall bemerkt“, erklärt Zoltai.
Obwohl es keinerlei Hinweis darauf gibt, wie lange sie noch weitermachen müssen, ist ihr Elan ungebrochen. Fruzsina Magyar schreibt dies auch der enormen Unterstützung durch Familie, Freunde und Gleichdenkende zu. Ein fester Kern von etwa 200 Sympathisanten ist es, der sich täglich auf dem Szabadság tér zusammenfindet. „Und dass die Regierung etwas tun muss, ist klar“ sind sich beide sicher. Denn auch international sorgt das geplante Denkmal für Stirnrunzeln. Andrea Zoltai erklärt: „Er (Viktor Orbán – Anm.) kann es sich nicht erlauben, dass Denkmal nicht fertigzustellen. Gleichzeitig gibt es aber auch das Gerücht, es sollen solche Änderungen am Entwurf vorgenommen werden, welche die Symbolik für alle Parteien akzeptabel machen soll.“ Aber auch damit wären die beiden Frauen und ihre Mitstreiter nicht zufrieden, denn „es gab keine Ausschreibung, keine Diskussion, gar nichts dazu.“
Wissen, ja – Handeln, nein
Dabei ist das Bewusstsein für die Geschehnisse auf dem Szabadság tér durchaus vorhanden, weiß Fruzsina Magyar: „Dass ein gesellschaftspolitisches Thema so sehr bei den Bürgern präsent war, gab es noch nie. Jeder hat schon einmal davon gehört.“ Viele ihrer Bekannten und Freunde meldeten sich via Facebook und unterstützten sie zumindest in Gedanken. Andrea Zoltai ergänzt: „Es ist uns wichtig, dass dies nicht nur eine jüdische Angelegenheit ist. Das ist keine jüdische, Zigeuner- oder Homosexuellenfrage, sondern eine gesamtgesellschaftliche.” Fruzsina formuliert es so: „Wir demonstrieren nicht nur gegen das Denkmal. Das Denkmal ist lediglich ein Symptom. Sondern wir demonstrieren dagegen, was in diesem Land vor sich geht. Dies ist eine Machtdemonstration der Zweidrittelmehrheit.“ Doch sie wollen ausharren und weitermachen. Entgegen der Widrigkeiten und der Skepsis, denn oft heißt es, nur diejenigen würden am Szabadság tér demonstrieren, die sowieso nichts mehr zu verlieren haben. Magyar erklärt: „Ich hatte schon bisher schlechte Aussichten, eine Arbeit als Dramaturgin zu finden, aber mittlerweile bin ich ein Feindbild. Ich habe das bereits in der Zeit vor 1990 erlebt. Man wird einfach umgangen.“ Diese Angst um die eigene Existenz sei es auch, die viele Menschen davon abhält, sich ihrem Protest anzuschließen: „Ich habe von mehreren Bekannten gehört, sie sind nicht hier bei uns, weil sie um die Arbeit ihrer Kinder fürchten“, erklärt Fruzsina Magyar, „die Luft gefriert um uns herum.“ Auch Zoltai kann diese Befürchtungen nachvollziehen: „Ich bin seit sechs Jahren Gastronomin, ich hatte in der gesamten Zeit nicht so viele Buchprüfungen wie seit April, seit wir die Demonstration begonnen haben. Reiner Zufall natürlich.“ Dramaturgin Magyar ergänzt: „Aber nicht nur die eigene Arbeit geht dabei verloren, sondern auch die menschlichen Beziehungen werden so zerstört.“ Und trotzdem harren sie aus, machen weiter. Nach dem Warum gefragt, antworten beide ohne zu überlegen: „Weil wir das müssen, weil es unsere Pflicht ist.“