
Neuer Wind an Ungarns Hochschulen: Ab September kann die Regierung Rektoren wie Handball-Nationaltrainer Mocsai einsetzen, die über keine akademische Qualifikation verfügen.
Bereits am Mittwoch vergangener Woche hatte Staatssekretär Bence Rétvári auf einer Pressekonferenz vor dem Pető Intézet angekündigt, dass im Rahmen der Reform des Hochschulgesetzes die Zukunft des bekannten Instituts langfristig gesichert werde. Daneben scheinen nun auch weitere Dinge in der Hochschulpolitik gesichert: Vergangenen Freitag stimmte das Parlament einer Gesetzesänderung zu, das es künftig auch Nicht-Doktoren ermöglicht, Dozenten oder gar Rektoren an Hochschulen zu werden.
Bereits Ende Juni wurde das sogenannte „Kanzlersystem“ beschlossen, bei dem ab September die von HR-Minister Zoltán Balog entsandten Kanzler an allen Hochschulen des Landes die volle Finanz- und Personalhoheit mitsamt einem Vetorecht gegen „Entscheidungen, die ein Risiko für die Finanzen der Institution bedeuten können“, erhalten, auch ohne Zustimmung der eigentlichen Hochschulleitung. Nun legte die Regierung nach: Am Freitag wurde die Gesetzesänderung durchgewunken, die es Personen mit Hochschulabschluss, aber ohne Doktortitel ermöglicht, an ungarischen Hochschulen zu lehren oder diese gar als Rektor zu leiten. Die einzigen weiteren Voraussetzungen sind mindestens drei Jahre praktische Erfahrung und eine hohe Auszeichnung auf ihrem jeweiligen „Fachgebiet“: Bei künstlerischen oder kulturellen Disziplinen ist es zum Beispiel der Kossuth-Preis (die höchste staatliche Auszeichnung in Ungarn für die Bereiche Kunst und Kultur), bei den Sportwissenschaften eine olympische Medaille. Ende Juni wurde der diesbezügliche Vorschlag zur Gesetzesänderung von dessen Initiator, dem Fidesz-Abgeordneten László Pósán, noch unter der fadenscheinigen Begründung zurückgezogen, man müsse noch „zu viele Paragrafen öffnen, um die Ergänzung anwenden zu können“, daher entspreche sein Vorschlag nicht der Hausordnung des Parlaments.
Zu den größten Profiteuren der Änderung könnte unter anderen Lajos Mocsai, Trainer der ungarischen Handball-Nationalmannschaft der Männer, gehören (weshalb einige regierungskritische Medien auch von einer „Lex Mocsai“ sprechen), der sich laut hvg.hu besonders stark dafür einsetzte, dass die Sportwissenschaftliche Fakultät der Semmelweis Universität eine eigenständige Hochschule wird. Diese Umwandlung wurde mit der Gesetzesänderung am Freitag ebenfalls beschlossen. Viele sehen Mocsai laut hvg bald ohne fachlichen Titel an der Spitze der neugegründeten „Hochschule für Leibeserziehung“. Ex-Staatspräsident Pál Schmitt, dem im Zuge seiner Plagiatsaffäre Ende März 2012 der Doktortitel von der Semmelweis Universität entzogen wurde, ist mit seinen Olympia-Medaillen nun sogar berechtigt, als Rektor eine Hochschule zu leiten. Auch könnten Attila Vidnyánszky, seines Zeichens Direktor des Ungarischen Nationaltheaters und stellvertretender Rektor der Universität Kaposvár, sowie der von der Regierung finanziell kräftig geförderte Sänger Ákos Kovács (bekannt als „Ákos“) eine akademische Laufbahn beginnen. Laut hvg sogar „jeder, den die Regierung belohnen möchte“, denn von nun an „hängt es nur von Viktor Orbán ab“, wer an Ungarns Hochschulen Karriere machen dürfe.
Opposition sieht Wettbewerbsfähigkeit geschädigt
Die Vorkehrung zu einer mutmaßlich noch größeren Einflussnahme der Regierung auf die Hochschulbildung blieb von der Opposition nicht unkommentiert. Laut dem MSZP-Abgeordneten István Hiller, der zwischen 2006 und 2010 selbst Minister für Bildung und Kultur war, schädigt die Änderung des Hochschulgesetzes die Wettbewerbsfähigkeit
der ungarischen Hochschulen: „Die Institutionen warten auf das ihnen weggenommene Geld [gemeint sind verschiedene Kürzungen im Bildungssektor ab Ende 2012; Anm.] – und erhalten von der Regierung stattdessen einen Kanzler.“ Er vermisse seitens der Regierung eine Konzeption für die Hochschulbildung, zudem sei es zur Aufrechterhaltung der Standards nicht gerade hilfreich, die staatliche Förderung der Hochschulen von 186 auf 123 Mrd. Forint zu kürzen, sagte Hiller auf einer Pressekonferenz am Freitag. Ein Rektor könne nicht die wissenschaftlichen Belange einer Hochschule lenken, während sich der Kanzler nur um die finanziellen kümmert, da jede wissenschaftliche Entscheidung auch einen finanziellen Hintergrund habe. „Ab nun ist der wahre Leiter der Hochschule der Kanzler“, schloss der Sozialist.
Das Gesetzesänderungspaket enthält neben den erwähnten Punkten unter anderem auch die Möglichkeit der Umwandlung des weltbekannten Pető Institut in eine staatliche Hochschule. Durch diese würden sich ganz neue Möglichkeiten für Zuschüsse aus dem Staatshaushalt und weitere Finanzquellen ergeben, weshalb der Schritt für das mit speziellen Therapeuten arbeitende Institut in jedem Falle notwendig sei, heißt es im Gesetzestext. Zur Erinnerung: Die Regierungsmehrheit im Parlament hatte im September 2013 noch gegen ein 500 Millionen Forint schweres Rettungspaket für das vom Bankrott gefährdete gefährdete Institut gestimmt, Wochen später bot sie dann doch Soforthilfen an und verstaatlichte es. Es handle sich schließlich
um ein schützenswertes geistiges “Hungarikum”, hieß es damals. Laut der linken Opposition liegt hinter der wundersamen Wandlung der Regierung zum Retter und Träger des Pető Institut alleine das Interesse an dessen Immobilien, die sie sich einverleiben will.