Der Übergang von der zweiten zur dritten Orbán-Regierung sollte eigentlich kaum zu spüren sein. „Fortsetzung“ in allen Belangen wurde zuvor als große Parole ausgegeben. Fast sah es dann wirklich danach aus. Trotz der großen ungarischen Leidenschaft, bei Regierungswechseln erst einmal die gesamte Ministerienlandschaft neu zu erfinden und komplett neue Ministerien mit außerhalb Ungarns unbekannten Namen zu kreieren, geschah abgesehen von einigen leichteren Rationalisierungen diesmal nichts dergleichen. Auch personell schienen die Zeichen mehr auf Kontinuität hinzudeuten, zumindest was die erste Ebene betrifft. Darunter, also auf der Ebene der Staatssekretäre und abwärts gab es im Gegensatz dazu jedoch erstaunlich viele Änderungen. Diese mögen wohl auch ein Grund dafür gewesen sein, dass sich die Regierungsbildung, aber auch das Finden der passenden und teils auch unpassenden Staatssekretäre und deren Stellvertreter für einen im Zeichen der Kontinuität vollzogenen Regierungswechsel nach einer lange absehbaren Wiederwahl der Regierungsparteien überraschend lange hinzog.
Doch damit der Merkwürdigkeiten noch nicht genug: Während Fidesz- Regierung und Fidesz-nahe Oligarchen während der kompletten vier Jahre der zweiten Orbán- Regierung ohne Rücksicht auf Verluste prächtig zusammenarbeiteten, knirscht es mit einem Mal im Gebälk. Es begann mit der von den Oligarchen allem Anschein nach wenig goutierten Aufwertung der Position und Geldverfügungsmacht des Orbán-Vertrauten János Lázár, was diese ihm prompt – zumindest vielen übereinstimmenden Spekulationen zufolge – mit an die Öffentlichkeit gebrachten Informationen über dessen Hotel- und Jagd-Rechnungen honorierten. Im Austeilen von Schlägen ließ sich aber auch die Regierung nicht lumpen: Reklamesteuer, Durchleuchtung der Verträge der staatlichen Firmen und eine erwogene Besteuerung von Straßenbauaktivitäten (siehe hier). So verschieden diese drei Maßnahmen auch sind, allen und weiteren ist gemeinsam, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Fidesz-nahe, oder vielleicht zutreffender ehemaligen Fidesz-nahen Oligarchen in die Taschen greifen dürften.
So nachvollziehbar sich derartige Spekulationen aber auch anhören, es bleiben doch nur Spekulationen. Schließlich könnte alles auch ganz anders sein. Vielleicht geht es ja auch um Machtkämpfe unter den Oligarchen, oder es ringen verschiedene Gruppierungen innerhalb des Regierungslagers miteinander. Wer weiß! Pressemitteilungen zu solchen Themen gibt es nicht und so viele Informatoren und allwissend auftretende Talkshow-Gäste, so viele Versionen und Vermutungen. Sicher ist nur, dass in diesem Macht-Spiel mehr Kräfte mitspielen als sichtbar sind. Ganz sicher ist es also auch angebracht, nicht nur dem Schein von Dingen zu vertrauen und den als gesichert präsentierten Fakten und Zusammenhängen eine gesunde Portion an Skepsis entgegenzubringen.
Die ultimative Aufklärung können freilich auch wir nicht bieten. Immerhin werden wir uns aber weiterhin bemühen, gesicherte Fakten von Vermutungen und Spekulationen deutlich zu trennen. Das ist für uns in diesem Informationsdschungel der einzig gangbare Weg. Zumindest scheint uns dieser Weg sicherer als bei jeder nicht ganz klaren Nachricht sofort anzufangen, wild zu kombinieren und zu spekulieren. Kommt Zeit, kommt Rat! Irgendwann erfahren wir vielleicht auch so, was es mit den Simon-Millionen auf sich hat, welchen Sinn das seit einem Monat nutzlos herumstehende, halbfertige Besetzungsdenkmal hat oder warum die ungarische Linke für Harakiri mehr Leidenschaft empfindet als mal wieder an die Regierungsmacht zu kommen, um nur drei der vielen unverständlichen ungarischen Gegenwartsrätsel zu nennen.