
Audi-Akademie-Direktor und Buchautor Alois Kauer: „Ich würde mir wünschen, dass das Thema Qualifizieren und Ausbilden von Führungskräften ernster genommen wird, nicht zuletzt weil davon der Erfolg eines Unternehmens stark abhängt.“
Einmal kommt fast für jeden engagierten Mitarbeiter in einem Unternehmen der Tag, an dem ihm
eröffnet wird, Führungsverantwortung zu übernehmen. Das bereits in der fünften Auflage erschienene Buch „Einstieg in die Führungsrolle. Praxisbuch für die ersten 100 Tage“ soll genau auf die damit zusammenhängenden Herausforderungen vorbereiten. Wir sprachen mit Alois Kauer, dem Leiter der Győrer Audi Akademie und Co-Autor des Buches.
Wann erschien die Erstauflage Ihres Buches?
Das war 2007. Nun, sieben Jahre später sind wir überrascht, wie wichtig das Thema noch immer ist und wie nützlich die Leser unser Buch finden.
Wie entstand das Buch?
Mein Trainer-Kollege Helmut Hofbauer und ich haben insgesamt fast 500 Nachwuchsführungskräfte auf dem Weg zur Führungskraft begleitet und viele der Probleme und Fragestellungen, die diese Kräfte haben, gesammelt. Diese Ergebnisse dann in Buchform zu veröffentlichen, war eigentlich gar nicht die ursprüngliche Idee. Wir haben aber gemerkt, dass es zu diesem Zeitpunkt kein wirkliches Praxisbuch zu diesem Thema gab und uns entschieden, selbst eines zu verfassen.
Es gab zu diesem relevanten Thema keinerlei Ratgeber?
Doch, es gibt sogar zahlreiche, sie bleiben aber meist an der Oberfläche und beschreiben nur ganz allgemeine Dinge. Wir wollten hingegen ein konkretes Handwerkszeug liefern. Unser Buch sollte Leute befähigen, sich entsprechend auf ihre neue Rolle vorzubereiten. Was und mit wem muss ich reden? Wie führe ich das erste Gespräch mit meinen Mitarbeitern? Wo gibt es Fallstricke, wenn ich selbst Mitarbeiter des nun von mir geführten Teams war? In dieser Tiefe und so detailreich war und ist unser Werk das einzige auf dem Markt.
Ist das Buch ein komplettes Teamwork der beiden Autoren oder haben Sie sich die einzelnen Abschnitte aufgeteilt?
Nein, wir wollten keine Aufteilung der Kapitel, weil jedes eine komplette Gemeinschaftsleistung war. Der Mehrwert ist, dass in alle Kapitel zwei verschiedene Sichtweisen eingeflossen sind. Wir haben viel gemeinsam diskutiert und überlegt. Es war ein schöner, schöpferischer Prozess.
Wie bereiten Unternehmen ihre Mitarbeiter auf die Übernahme von Führungsverantwortung vor?
Bei Audi und anderen größeren Firmen gibt es dafür detaillierte Nachwuchsprogramme, die diesen Schritt unterstützen und zu seinem Erfolg beitragen. KMUs überlassen es jedoch eher dem Mitarbeiter, wie er sich darauf vorbereitet. Ich habe übrigens viele Rückmeldungen von Vertretern von Firmen jeglicher Größe auf das Buch erhalten, die erzählten, dass sie unser Buch dem entsprechenden Mitarbeiter als Leitfaden in die Hand geben. Alleine das Buch reicht aber natürlich nicht aus. Seine Lektüre sollte unbedingt mit Coachings und anderen Qualifizierungsangeboten ergänzt werden.
Was sind die größten Risiken, wenn man einen in Führungsverantwortung gekommenen Mitarbeiter sich selbst überlässt?
Immer wieder kommt es vor, dass Mitarbeiter von einer frischen Führungskraft zu viel erwarten, auch was die zeitliche Umsetzung betrifft. Dieser Druck und diese Ungeduld verleiten Führungskräfte teilweise dazu, zu schnelle Entscheidungen zu treffen, obwohl sie sich noch nicht genügend eingearbeitet haben. Das erhöht natürlich das Risiko von Fehlentscheidungen. Wir empfehlen daher, dass neue Führungskräfte mit Bedacht Entscheidungen
treffen. Das sollte auch den Mitarbeitern gegenüber klar kommuniziert werden. In der Politik gibt es die ungeschriebene Regel, Politiker in den ersten 100 Tagen nicht ganz zu hart anzufassen. Eine solche gewisse Schonzeit sollten sich auch neue Führungskräfte in Unternehmen gönnen, beziehungsweise sollte ihnen gegönnt werden. Das schafft Sicherheit und Orientierung und verhindert Schnellschüsse.
Haben Sie bei Ihren Untersuchungen typische Fehlermuster gefunden?
Mitarbeiter sehen bei einem Führungswechsel oft die Chance, Dinge entscheiden zu lassen, von denen der bisherige Vorgesetzte aus verschiedenen Gründen die Finger gelassen hatte. Die Gefahr ist, dass der Neue genau diese Gründe, also auch gewisse Risiken nicht kennt. Auch bei solchen Entscheidungen sollte daher nach dem erwähnten Prinzip verfahren und nicht etwa Prestigegründe zur Richtschnur des Handelns werden. Führungskräfte sollten sich bei ihrer Entscheidungsfindung generell nicht davon leiten lassen, bei ihren Untergebenen Eindruck zu schinden, sondern stets die Interessen ihrer Organisation vor Augen haben.
Zumal sie kurz zuvor noch selbst zu den Untergebenen gehörten.
Ja, auch der Rollenwechsel ist ein großes Problem: viele Nachwuchsführungskräfte arbeiten weiter wie gute Mitarbeiter, weil sie dies erfolgreich gemacht hat. Sie delegieren wenig, sind sehr kollegial gegenüber ihren jetzt untergebenen Kollegen und verstehen nicht, dass sie nun in einer anderen Funktion sind. Dabei benötigt die neue Rolle auch neue Erfolgsgaranten. Diese muss man erlernen und verinnerlichen. Allerdings unterschätzen viele diesen Lernprozess. Deswegen ist es sinnvoll, das Ganze bewusst anzugehen, um die neue Rolle langsam zu verstehen und anzunehmen.
Welche Symbolik empfehlen Sie, um klar zu machen, dass man nicht mehr gleichrangiger Kollege, sondern Vorgesetzter ist?
Das Symbolische ist für eine Führungskraft insbesondere am Anfang sehr wichtig. Etwa, ob jemand das Büro des Vorgängers genauso übernimmt oder etwas umgestaltet, ob er Jalousien aufhängt oder die Tür offen lässt und so weiter. All das wird wahrgenommen und interpretiert, zumindest unterbewusst. Ich würde aber bei der Symbolik sehr vorsichtig vorgehen, weil aus solchen Elementen auch schnell das Bild einer autoritären Führungspersönlichkeit entstehen kann. Das, was die Mitarbeiter am wenigsten wollen, ist ein stark autoritärer Chef, zumal dies in den meisten Fällen auch nicht mehr zeitgemäß ist. Auf der anderen Seite muss man schon Unterschiede schaffen und klar machen, dass man der Vorgesetzte ist. Bei Besprechungen mit dem Chef muss etwa klar sein, dass dieser die Besprechung leitet. Es gibt viele solcher kleinen, nützlichen Dinge, die klarmachen, wer die Orientierung vorgibt. Aber leider auch etliche unnütze.
Welche?
Etwa sich mit ehemaligen Duz-Kollegen plötzlich zu siezen oder mit ihnen nicht mehr zusammen an einem Tisch zu essen. Solche Dinge sind eher kontraproduktiv, weil sie die Mitarbeiter als künstliche Distanzierung und Zurücksetzung wahrnehmen, das führt nur zu Irritationen. Ein häufig vorkommender Fehler ist übrigens auch, dass gewissen Präferenzen weitergepflegt werden. Dabei werden Führungskräfte stark daran gemessen, ob sie alle gleich behandeln und niemanden bevorzugen. Gleichbehandlung ist die Voraussetzung für einen gesunden Teamgeist.
An welchen Stellen mussten Sie bei der fünften Auflage Ihres Buches etwas ändern, was wird heute anders gesehen oder bewertet als vor sieben Jahren?
Prinzipielle Änderungen gab es nicht. Wir bekommen viele Rückmeldungen von Führungskräften, die das Buch gelesen haben. Sie geben uns Hinweise, was ihnen geholfen hat oder was noch fehlt. Diese arbeiten wir bei jeder Auflage mit ein, dadurch wird unser Buch noch praxisbezogener und realitätsnäher. Wir haben seit der ersten Auflage aber auch einige neue Themen hinzugefügt. So etwa jetzt das Thema „Laterale Führung“, also Führung ohne formale Macht und „Führen im Generationenkontext“, besonders hinsichtlich der Generation Y. Immer wieder greifen wir neue Themen auf, mit denen sich Führungskräfte auseinandersetzen müssen. Wir haben viele junge Mitarbeiter in den Unternehmen, die anders geführt werden wollen als ältere, weil sie anders aufgewachsen sind und zu einer anderen Generation gehören. Um alters- und generationengemäß führen zu können benötigt man auch einen Blick dafür, was eine Generation prägt und worin sie sich von anderen unterscheidet.
Warum haben Sie sich gerade jetzt so intensiv mit der Generation Y beschäftigt?
Vom Alter her wachsen Angehörige dieser Generation derzeit zu den neuen Führungskräften heran und werden eine immer ernster zu nehmende Größe in Unternehmen. Früher hat man auch gemerkt, dass neue Generationen nachwachsen, aber man hat nicht so richtig fassen können, was das für die Arbeits- und Führungswelt bedeutet. Es gibt viele Studien, die belegen, dass sich dadurch auch in der Arbeitswelt vieles verändert, zwar nur langsam und schrittweise, da Systeme oft starr und träge sind; dennoch gibt es jetzt in vielen Unternehmen Angehörige dieser Generation, die andere Dinge einfordern und eine stärkere Lobby als früher haben. Wir wollen Führungskräfte darauf hinweisen, dass darin auch eine große Chance liegt, sich diesen Neuerungen zuzuwenden, weil man dadurch positive Veränderungen in Unternehmen vorantreiben kann. Die Führungs- und Arbeitswelt erhält so ganz neue, elementare Impulse, sei es, was die Feedback-Kultur, das digitale Arbeiten, das Hierarchieverständnis oder die Organisationsstrukturen betrifft. Unter Umständen sind nämlich über Jahre oder Jahrzehnte etablierte Dinge gar nicht mehr zeitgemäß, vielleicht gibt es bereits nützlichere, sinnvollere Alternativen, die genauso zum Ziel führen. Die richtige Einbindung von Vertretern der Generation Y kann hier wesentlich helfen.
Manchmal hat man den Eindruck, dass bei der Generation Y ein überdurchschnittliches Selbstbewusstsein mit gewissen grundlegenden Ausbildungsmängeln und einem Hang zu Oberflächlichkeit und Bequemlichkeit gepaart sind.
Das ist schon ein Thema, aber man kann den Menschen keinen direkten Vorwurf dafür machen, da sie letztendlich so sozialisiert worden sind. Die Generation Y ist unter allen Generationen diejenige, die am meisten umsorgt wurde und die sich am wenigsten selbst um etwas bemühen musste. Diese jungen Leute sehen, dass vieles in der virtuellen Welt schneller geht: Viele Startups vermitteln den Eindruck, dass man bei bestimmten Themengebieten kaum Erfahrung braucht, um schnell Karriere machen und das große Geld verdienen zu können. Dies vermittelt ein Qualitätsbild, das sich so in Unternehmen meist nicht wiederfindet, denn dort muss man Mühe aufwenden, benötigt Tiefenkenntnis und Erfahrung, um nachhaltige Erfolge erzielen zu können. Diese Menschen werden dann in den Unternehmen sozialisiert, weil so manche Sichtweise leider in der Schule oder im Studium nicht vermittelt wird. Das Studiensystem mit Bachelor und Master ist eher auf kurze Zyklen der Qualifizierung angelegt, da fehlt oft der Praxisbezug, der sichtbar macht, wie das Arbeiten in einem Unternehmen funktioniert. Das muss dieses dann selbst vermitteln. Zum Glück sind diese jungen Leute auf der anderen Seite aber auch sehr lernbegierig und wollen etwas erreichen, das macht diese Generation in meinen Augen attraktiv für Firmen und gleicht viele, gewiss vorhandene negative Aspekte aus.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass diese Menschen einen aktiven Führer erwarten, der sie an die Hand nimmt und ihnen Feedback gibt.
Ja, sie wollen möglichst die beste Führungskraft haben, die es gibt. Dementsprechend stehen die Führungskräfte dann wiederum unter einem hohen Erwartungsdruck. Sind sie mit ihrem Chef nicht so recht zufrieden, gehen Mitglieder der Generation Y gerne zu anderen Chefs und lassen sich dort unterstützen, sie sind flexibler in der Hierarchie.
Eine grundsätzliche Botschaft Ihres Buches ist: Führungskräfte sollten sich nicht nur für den Markt und die Außenwelt interessieren, sondern auch den Vorgängen bei sich im Unternehmen genug Zeit und Sorgfalt widmen, unter anderem um das Personal bei der Stange zu halten.
Führungskraft ist ein Beruf, zu dem es keine richtige Ausbildung gibt. Führen kann man zwar lernen, aber man muss diesen Prozess alleine durchschreiten. Das heißt dann oft mühseliges Learning-by-Doing, was mit Rückschlägen verbunden sein kann. Unser Buch kann hier natürlich helfen, ich würde mir aber wünschen, dass das Thema Qualifizieren und Ausbilden von Führungskräften generell ernster genommen wird, nicht zuletzt weil davon der Erfolg eines Unternehmens stark abhängt. Man kann den Führungskräften mit einer intensiveren Qualifizierung viel Frustration ersparen. Selbst bei großen Unternehmen, die sich darum kümmern, gibt es aber Qualitätsunterschiede. Je praxisnäher ausgebildet wird, umso hilfreicher erleben es die Nachwuchsführungskräfte. Mit reiner Theorie ist ihnen wenig geholfen, denn dann müssen sie sich im Berufsalltag doch wieder alleine an die konkreten Lösungen herantasten. Wir versuchen im Buch so konkret zu sein wie der Berufsalltag selbst, zum Beispiel über praktische Check-Listen, die übrigens auch online verfügbar sind.
Die meisten Leser der Budapester Zeitung sind gestandene Führungskräfte. Mit welchen Argumenten würden Sie Ihnen Ihr Buch empfehlen?
Jede Führungskraft wird in unserem Buch zahlreiche Anregungen entdecken, wie Dinge besser gemacht werden können, etwa auch wie man untergebenen Führungskräften besser zur Seite stehen kann. Unser Buch hilft einem Mentor enorm, die richtigen Fragen zu stellen und eine junge Führungskraft zu begleiten. Daher können auch erfahrene Manager viel mit dem Buch anfangen. Übrigens ist unser Buch auch für einfache Mitarbeiter, die einmal aufsteigen wollen und schon jetzt verstehen wollen, wie die Führungsebene funktioniert, eine gewinnbringende Lektüre.
Wird es Ihr Buch auch auf Ungarisch geben?
Wir arbeiten daran. Entsprechendes Interesse gäbe es sicher. Ich habe mich selbst davon überzeugt, dass es in Ungarn noch zu wenig solcher Literatur gibt. Leider haben wir noch keinen Verlag gefunden, der es auf Ungarisch herausgibt.
Könnten Ihre Erkenntnisse eins zu eins auf ungarische Verhältnisse übertragen werden?
Ohne weiteres. In meinen eigenen Trainings habe ich mit vielen verschiedenen Nationen zu tun, und unterrichte auch zahlreiche Dinge aus unserem Buch. Es wäre natürlich spannend, etwa in einer ungarischen Ausgabe speziell interkulturelle Führungsaspekte zu berücksichtigen. Daraus könnte man sogar ein eigenes Kapitel für die nächste Auflage machen: „Führen von gemischtnationalen Teams“.
Können auch externe Kunden an Kursen der Audi Akademie teilnehmen?
Ja, wir werden an der Audi Akademie auch stark von externen Kunden frequentiert, ich habe bereits Coachings und Seminare in ganz Ungarn abgehalten.
Gibt es Unterschiede bei dem, was Sie einer ungarischen Führungskraft mit einem ungarischen Team empfehlen würden, gegenüber einem deutschen Manager mit einer deutschen Mannschaft?
Ich würde mir von ungarischen Führungskräften wünschen, dass sie erkennen, welche große Stärke ihre Beziehungsorientierung bedeutet, schließlich hat Führung sehr viel mit der Beziehung zu Mitarbeitern zu tun. Es ist eine Stärke der ungarischen Manager, ihre Mitarbeiter herzlich zu führen und mitzureißen, diese Fähigkeit sollten sie auch in Führungspositionen nicht verlieren.