Von László Bogár
Nicht zum ersten Mal kommt man nach Europawahlen zu dem Schluss, dass beim europaweiten Urnengang gar nicht über die Zukunft Europas abgestimmt wurde, sondern vielmehr über die innenpolitischen Kräfteverhältnisse in den einzelnen EU-Staaten.
Wie nicht anders zu erwarten war, legten in nahezu jedem Mitgliedsstaat die politischen Kräfte massiv zu, die eine konfrontative, zumindest aber kritische Haltung gegenüber der europäischen Integration haben. Es ist offensichtlich, dass die gesamteuropäische Gesellschaft im Großen und Ganzen unter jenen leider „unausgesprochenen” Problemen leidet wie auch die ungarische Gesellschaft. (…)
Zynische Haltung der Eurokraten sorgt für spürbare Skepsis
Die immer mehr spürbare Skepsis hat weniger mit der Politik oder dem „Projekt” Europa zu tun als vielmehr mit der zynischen Haltung, die von den politischen Eliten an den Tag gelegt wird. Kurz: Der Diskurs über die wahrhaftigen Probleme und Herausforderungen Europas wird als „politisch nicht korrekte” Darstellungsweise völlig unter den Teppich gekehrt. Stattdessen ergehen sich die Eliten in Phrasendrescherei über Scheinprobleme, welche einzig und allein den Zweck haben, die Realität zu übertünchen. So ist es wenig verwunderlich, dass sich unter den VölkernEuropas nicht nur Apathie, sondern auch ohnmächtige Wut breit machen und die EU-Bürger sich zunehmend politischen Kräften zuwenden, die den Bruch mit einem System fordern, das auf dem Zynismus der “Eurokratie” gründet.
Die Tragödie Europas liegt darin, dass der Westen, sprich die gesamte westliche Moderne auf verhohlener Aggression beziehungsweise der Ausbeutung der Peripherien beruht. Diese Ausbeutung bescherte den westeuropäischen Gesellschaften bis in die 80er und 90er Jahre hinein einen hohen materiellen Wohlstand. Allerdings ging damit einerseits ein seelisch-moralisch-geistiger, andererseits ein demografischer Niedergang einher. Die hegemoniale „liberale” Existenzweise „appelliert” an die primitivsten Instinkte im Menschen und stigmatisiert all jene, die sich gegen sie erheben. Doch sind die Alarmsignale und verheerenden Konsequenzen dieser Lebensweise inzwischen fast überall zu beobachten. Gleichwohl will die herrschende liberale Elite keine Notiz davon nehmen.
Stabile Weltherrschaft der liberalen Superstruktur
Die Situation ist immer widersprüchlicher, verschwinden doch jene politischen Kräfte, welche die „lokalen Liberalen” verkörpern, der Reihe nach in der Versenkung, gleichwohl ändert dies an der unumstößlichen Macht der „globalen Liberalen” rein gar nichts. Wie stabil die Weltherrschaft dieser liberalen Superstruktur ist, hat sich auch bei den jüngsten Europawahlen gezeigt: Obwohl die Kräfte, die gegen die Weltdiktatur der „globalen Liberalen” aufbegehren, zunehmend auf dem Vormarsch sind, sind sie schlechthin außerstande, das System zu verändern. Dies spiegelt sich auch im Falle Ungarns wider.
Der endgültige Niedergang der MSZP wurde mit den zwei Wahlniederlagen in der jüngsten Vergangenheit besiegelt (es ist davon auszugehen, dass die Sozialisten auch bei den Kommunalwahlen im Herbst in eine Wahlschlappe schlittern werden). Freilich, aufgrund des verlogenen öffentlichen Diskurses bleiben die wahren Gründe für den tiefen Absturz der MSZP für die Öffentlichkeit im Dunkeln. Niemand hat erkannt, dass die sogenannte Linke sich seit ihrem überwältigenden Wahlsieg 1994 praktisch selbst zerstört. Die MSZP begreift offenbar nicht, dass jeder ihrer Erfolge seit 1994 dem Umstand zu verdanken war, dass sie den nationalfeindlichen, antisozialen und zynischen Bestrebungen der hiesigen Liberalen (liberaler Bund der Freien Demokraten [SZDSZ]; Anm.) zuwiderlief. Im Umkehrschluss verhält es sich auch mit ihren Niederlagen so: Je mehr sie sich das parasitäre liberale Gedankengut einverleibte – nicht selten willfährig –, desto verheerender fielen ihre Niederlagen aus. Was vor diesem Hintergrund unverständlich ist: Trotz der Tatsache, dass die Linke sich in drei Fraktionen (MSZP, Demokratische Koalition, „Gemeinsam-Dialog für Ungarn”; Anm.) aufgespalten hat, versucht sie in ihrer unermesslichen Kurzsichtigkeit weiterhin mit den globalen Liberalen zu kollaborieren. (…)
Wollen die Sozialisten nicht in der politischen Versenkung verschwinden, sollten sie anstelle der Kollaboration mit den liberalen Kräften endlich die nationalen Interessen vor Augen halten und diese mutig und konsequent vertreten. Doch dazu scheinen sie schlechterdings nicht imstande. Weitere vernichtende Wahlniederlagen sind daher vorprogrammiert.
Der Autor ist Ökonom. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 3. Juni 2014 in der konservativen Tageszeitung Magyar Hírlap.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
Besser und zutreffender kann man einen Artikel nicht schreiben.Hervorragend analysiert und auf den Punkt gebracht.