Das Vertrauen in die Märkte ist merklich geschwunden – der Staat ist zurück. Allein die öffentliche Hand kann den Finanzsektor weiter stabilisieren und durch gezielte Investitionen in Infrastruktur und Bildung Wachstum auch qualitativ sichern. Nach wie vor jedoch ist auch das Vertrauen der Bürger in den Staat gering. Die Politik hat hier eine besondere Verantwortung, sie kommt dieser Verantwortung aber entweder nicht nach, …oder überzieht durch bürgerfremden Dirigismus.
Dr. Marc-Tell Madl
Peter Bofinger ist in Deutschland ein guter Name. Der Volkswirt – Hochschullehrer und seit Jahren einer der so genannten fünf Wirtschaftsweisen – steht für eine stärker nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Sein Buch „Ist der Markt noch zu retten?“ ist ein überzeugendes Plädoyer für mehr Staat und weniger Markt. Eine gute Lektüre, von der auch die ungarische Politik viel lernen könnte. In Ungarn ist man jedoch fast geneigt zu sagen, „mehr Staat haben wir schon“, …aber ist es der Staat, der Bofinger vorschwebt? …wohl eher nicht.
Bis zur Finanzkriese 2008 war Privatisierung und Deregulierung das Gebot der Stunde. In keinen anderen Ländern ist der Staat so zurückgedrängt worden, wie in Deutschland und in Ungarn. Ein unbeirrtes Festhalten an diesem wirtschaftspolitischen Kurs, so Bofinger, gefährde jedoch das Modell, mit dem insbesondere Deutschland in der Nachkriegszeit so erfolgreich gewesen war. Dieses Modell beruhe auf der sich wechselseitig verstärkenden Legitimation von Staat und Markt. Sicher haben hier beide Volkswirtschaften verschiedene Traditionen: Während sich Deutschland in den letzten 20 Jahren mehr und mehr von den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft gelöst hat – konservative Ordnungspolitik und eine beispiellose Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer sind hierfür klare Indikatoren – hat Ungarn als „ehemals sozialistisches Land“ selbstredend erst einmal die Trennung von Staat und weiten Teilen der Zivilgesellschaft vollziehen müssen. Beide Wege führten zur Entstaatlichung, wobei wir statt eines Marktes unter der Aufsicht des Staates, einen Staat bekommen haben, den der Markt vor sich hertreibt. Der Autor stellt klar, dass nur eine Rückkehr zu mehr Staat helfen könne, die gegenwärtige Strukturkrise zu überwinden. Hinderlich bei diesem notwendigen Prozess sei aber eine gegenwärtig immer weiter zunehmende Entfremdung zwischen Gesellschaft und staatlichen Institutionen.
Keiner will mehr Staat – überkommene Dogmen und mangelndes Vertrauen
Man kann vermuten, dass dieser Ansatz sowohl in Deutschland als auch in Ungarn starken Widerspruch findet. Deutschland hat unter anderem dank einer umsichtigen Politik bei der Kurzarbeit krisenbedingte Entlassungen nach 2008 vermeiden können, das Land ist gut aufgestellt, günstige Lohnstückkosten und ein relativer schwacher Euro hilft dem Export. Wieso also wieder mehr staatliche Intervention? Bofinger würde hier zu recht einwenden, dass die Binnennachfrage durch höhere Löhne dringend angekurbelt werden müsste, die derzeitige gute Beschäftigungslage lässt vergessen, dass die gesellschaftliche Schere in Deutschland sich immer weiter öffnet. Ungarn hat hingegen seit 2010 wieder „mehr Staat“. Eine größere Intervention der öffentlichen Hand war angesichts eines schwebenden Staatsbankrotts richtig und ohnehin unvermeidbar, jedoch scheint der Skeptizismus der Ungarn gegenüber den staatlichen Institutionen eher zu- als abgenommen zu haben. Dabei macht sich Bofinger für Konzepte stark, die helfen würden, Wirtschaftswachstum und Bürgernähe wieder zu versöhnen.
Gezielte Intervention kann wichtige Impulse geben
Der Autor will das allgegenwärtige Mantra der staatlichen Sparpolitik aufbrechen. Er fordert staatliche Investitionsprogramme in Bildung und Technologie, auch wenn sich dadurch die öffentliche Hand wieder mehr verschulden müsse. Angesichts des wirtschaftspolitischen Mainstreams ist diese Forderung schon fast mutig zu nennen. Insgesamt sieht Bofinger die Schuldenproblematik mit größerer Gelassenheit und bindet sie in den globalen Kontext ausgezeichnet ein. Schon das macht die Lektüre von „Ist der Markt noch zu retten?“ lohnenswert. Diesen Ansatz hier so kurz zusammen zu fassen, tut dem Autor dann auch Unrecht.
Bofinger ist Volkswirt und kann rechnen. Er führt vor, dass falsch verstandene Austeritätspolitik viel Schaden anrichtet beziehungsweise vor allem gezielte Investitionen in Bildung immer nützt. Vor einem Monsterstaat – wie der Autor es nennt – haben alle Angst, er will den Bürgerstaat. Der Weg zu diesem Bürgerstaat führt (nur) über mehr Transparenz. Bofinger schließt mit dem Satz von Gerhard Anschütz, einem der bedeutendsten Staatsrechtslehrer der Weimarer Republik: „Der Staat, das sind wir“. Spätestens hier spürt der Leser, dass Ungarns Politik irgendwie andere Schwerpunkte setzt.
Der Autor ist deutscher und ungarischer Rechtsanwalt und Gesellschafter der EastNexo Consulting