Von Attila Ara-Kovács
Obwohl das Ergebnis der Parlamentswahlen in Ungarn absehbar war, nährten die ungarische Linke und auch viele ausländische Beobachter die Illusion, dass die Wahl doch noch einen anderen Ausgang nehmen könnte.
Die Zahl derjenigen, die sich bis zum letzten Moment nicht entscheiden konnten, wem sie ihre Stimme geben sollten, war sehr groß – zahlenmäßig war der Kreis der Wähler ohne feste Parteipräferenz sogar größer als die Wählerschaften der Rechten und Linken. Die Linke ging davon aus, dass die weit verbreitete existentielle Angst im Land und das aggressive Auftreten der Partei von Viktor Orbán gegenüber all jenen, in denen sie potentielle Gegner sah, viele Wähler dazu genötigt hatte, ihre Meinung vor den Mitarbeitern der Meinungsforschungsinstitute zu verbergen.
Wenn wir die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom Sonntag unter die Lupe nehmen, dann sehen wir, dass
insgesamt nur 27 Prozent der wahlberechtigten Ungarn für die Regierungspartei Fidesz gestimmt haben. Die Zahl derjenigen wiederum, die nicht den Fidesz gewählt haben, lag bei 34 Prozent. 39 Prozent der ungarischen Wahlberechtigten nahm am Sonntag an der Wahl überhaupt nicht teil.
Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2010 verlor der Fidesz rund 700.000 Wählerstimmen. Gleichwohl besteht kein Zweifel darin, dass die Mehrheit derjenigen, die am Urnengang teilnahmen, dem Fidesz ihre Stimme gab. Eine Erklärung dafür dürfte wohl auch die zuvor erwähnte Atmosphäre der Angst sein. In den vergangenen vier Jahren war es keine Seltenheit, dass Bedienstete des staatlichen Sektors ohne jegliche Begründung ihren Arbeitsplatz verloren. Die Atmosphäre der Angst war aber auch für den Privatsektor kennzeichnend, ist es doch ein offenes Geheimnis, dass in Ungarn nur solche Unternehmen staatliche Aufträge bekommen, die sich politisch gegenüber dem Fidesz verpflichten. Die einseitige Berichterstattung in den staatlichen Medien tat ihr Übriges. So waren im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen nur die Wahlbotschaften des Fidesz zu hören. An den Plakatwänden wiederum kam auf jedes zehnte Wahlplakat des Fidesz und jedes fünfte der rechtsradikalen Partei Jobbik bloß ein Plakat der demokratischen Opposition. (…)
Viktor Orbán war während des gesamten Wahlkampfes bestrebt, die Begeisterung und Aktivität jener Wähler zu mindern, die nicht zu seinen Sympathisanten gehören. Die Opposition ihrerseits zeigte sich wiederum außerstande, all jene Wähler hinter sich zu scharen, die der Fidesz-Regierung zwar kritisch gegenüberstanden, jedoch keine Parteipräferenz hatten. Allein schon das Zustandekommen der linken Wahlallianz war eine äußerst schwere Geburt. In den vergangenen zwei Jahren ergingen sich die linken Parteien fast durchgehend in zermürbenden inneren Kämpfen. Währenddessen gingen die Kritikpunkte am
Fidesz nahezu völlig unter. Wurden sie dennoch artikuliert, fehlte ihnen jegliche Durchschlagskraft. Obwohl die linke Wahlallianz im Januar 2014 letztlich doch noch zustande gekommen war, vermochte die Linke auch danach nicht zu beweisen, dass sie fähig sei, einerseits das Land zu regieren, andererseits das antidemokratische, wirtschaftlich untaugliche und sozial ungerechte System-Orbán zu demontieren.
(…)
Orbán mobilisierte die eigene Wählerschaft vor allem mit nationalistischen und EU-feindlichen Losungen. Hinzu kommt, dass er das radikale und rassistische Programm der rechtsextremen Partei Jobbik nicht nur tolerierte, sondern aufgrund von Geheimabkommen auch legitimierte. (…) Wir dürfen allerdings nicht so naiv sein zu glauben, dass Orbáns Zugeständnisse an die radikale Rechte ausschließlich einem wahlpolitischen Kalkül geschuldet sind. Orbán hat nicht nur erkannt, dass aus dem Radikalismus politisches Kapital zu schlagen ist, sondern er hat auch alles dafür getan, um den Radikalismus zur gemeinsamen Ideologie der ungarischen Rechten zu erheben. Dies ist nicht zuletzt am Kult um das Horthy-System und dem damit verbundenen Geschichtsbild abzulesen, in dem das Eingeständnis der von Ungarn im Zweiten Weltkrieg verübten Verbrechen keinen Platz hat, weder die Anerkennung der Verantwortung für den Holocaust noch eine eindeutige Verurteilung des Rassismus. Dieses ideologische Feld haben der Fidesz und Jobbik zusammen bestellt.
Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 10. April 2014 in der linksliberalen Wochenzeitung Magyar Narancs.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar