„Magyarország jobban teljesít!“, heißt ein hiesiger Fidesz-Wahlkampfslogan – „Deutschland macht es besser!”, könnte er angewendet auf Ungarns wichtigsten Wirtschaftspartner heißen. Die wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands sind so gut wie schon lange nicht mehr. Ungarn profitiert von diesem Umstand im besonderen Maße, leistet aber auch einen Beitrag dazu.
Dr. Marc-Tell Madl
Die deutsche und ungarische Wirtschaft sind eng verflochten. Nicht zuletzt die Expansion nach Ungarn seit Beginn der neunziger Jahre hat der deutschen Industrie geholfen, komparative Vorteile zu nutzen und insbesondere Lohnkosten zu senken. Gegenwärtig ist Deutschland das wirtschaftliche Zugpferd der Europäischen Union. Die strukturellen Vorteile seiner Volkswirtschaft sprechen dafür, dass es diese Rolle noch ausbauen wird. Kritische Stimmen der Vergangenheit verblassen und erscheinen heute larmoyant. Um jedoch seine führende Stellung in Europa zu behalten, muss sich auch Deutschland noch vielen Reformen stellen. Ungarn täte gut daran, diesen Prozess genau zu beobachten.
Viele Nationen neigen zur Schwarzseherei. In Ungarn bedarf diese Behauptung wohl keines Beweises. Auch in Deutschland mehrten sich über Jahre Stimmen, die für die deutsche Volkswirtschaft eher negative Zukunftsprognosen stellten. Bert Rürup –von 2000-2009 Mitglied und ab 2005 Vorsitzender der Wirtschaftsweisen – und Dirk Heilmann, Chefökonom des Handelsblatt, schreiben nun mit ihrem Buch „Fette Jahre – Warum Deutschland einen glänzende Zukunft hat“ bewusst gegen diesen Strom an. Trotz positiver Aussichten blenden die Autoren dabei aber keinesfalls die drückenden Strukturprobleme der deutschen Gesellschaft, wie die noch zunehmende Ungleichverteilung des Wohlstands, Undurchlässigkeit sozialer Schichten oder die demographische Entwicklung, aus.
Deutschlands Wirtschaft ist gut aufgestellt
Die Autoren prognostizieren, dass Deutschland von allen etablierten Wirtschaftsnationen in der laufenden Dekade am stärksten vom weltweiten Wachstumspotential um und durch die BRIC-Staaten profitieren wird und dabei eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 1,9 Prozent erreicht. Deutschland wird demnach unter den analysierten 14 Nationen (unter anderem die USA, China, Brasilien, Russland, Indien und Japan) im Jahre 2030 das höchste Pro-Kopf-Einkommen aufweisen. Diese Behauptung sollte man erst einmal auf sich wirken lassen… und dann nach den Ursachen für diese sehr reale Erfolgsstory fragen.
Nachdem Deutschland noch vor zehn Jahren etwa vom englischen Economist als „kranker Mann Europas“ bezeichnet wurde, wird jetzt dieses doch erstaunliche Comeback von derselben Presse mit einer Mischung aus alten und neuen Tugenden erklärt. Deutsche Unternehmen sind in den letzten Jahren schlanker und flexibler geworden, die Tarifparteien arbeiten gut zusammen, Reformen des Arbeitsmarktes und des Steuersystems, insbesondere die vielgerühmte „Agenda 2010“, haben den Arbeitsmarkt flexibilisiert und den Standort steuerlich attraktiver gemacht, die technologische Kompetenz des industriellen Sektors schlägt durch und insbesondere imindustriellen Mittelstand finden sich viele „hidden champions“.
Letztlich hat die Krisenpolitik der Großen Koalition dazu beigetragen, den Schock in den Finanzmärkten 2008 besser abzufedern als in anderen Volkswirtschaften. Maßgeblich ist auch das Vertrauen in die eigene industrielle Stärke. Das deutsche Geschäftsmodell, mit seiner historisch gewachsenen Ausrichtung auf den Export, ist besser als sein Ruf. Die Wirtschaft erzeugt die richtigen Produkte zur richtigen Zeit und das zu sehr konkurrenzfähigen Preisen, auch wenn die Lohnstückkosten nach wie vor als vergleichsweise hoch gelten. Der jährliche Aushandelsüberschuss Deutschlands eilt von Rekord zu Rekord und hat zwischenzeitlich die Kritik nicht nur der USA, sondern auch des IWF und der EU auf sich gezogen. Sicher hilft hier der relativ schwache
Euro. Eingepreist in den gegenwärtigen Eurokurs sind auch die Probleme der Krisenstaaten wie etwa riechenland, Portugal und Irland. Allein die Außenhandelsüberschüsse hätten eine Deutsche Mark wie jetzt den Schweizer Franken massiv aufgewertet.
Ungarn profitiert
Doch auch auf der Kostenseite hat sich viel getan. Deutschland produziert heute besser und vergleichsweise günstiger als noch vor zehn Jahren, insbesondere die Arbeitskosten sind gesunken. Diese Senkung der Arbeitskosten in Deutschland geht aber nicht nur auf die vergleichsweise (zu) geringen Löhne im Land selbst zurück. Die Expansion deutscher Unternehmen in die Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas – und dabei gerade auch nach Ungarn – war der große wirtschaftliche Trend der letzten 25 Jahre. Deutschland ist mit einem Anteil von 24 Prozent mit Abstand größter ausländischer Direktinvestor in Ungarn. Insgesamt betrug der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen Ende des zweiten Quartals 2012 rund 71,6 Mrd. Euro, wobei etwa 20 Mrd. allein aus Deutschland kamen.
Die deutsche Industrie hat hier seit 1989 neben der erhöhten Flexibilität des ungarischen Arbeitsmarkts insbesondere die deutlich niedrigeren Löhne geschickt genutzt. Auch daher gehen jetzt mehr als drei Viertel der ungarischen Exporte in die EU, allein über ein Viertel nach Deutschland. Damit ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner Ungarns. Entsprechend hoch sind daher die ungarischen Erwartungen an eine anhaltende Konjunkturbelebung in Deutschland. Angesichts einen sehr schwachen Konsums und einer nach wie vor stagnierenden Bauwirtschaft ist gerade die von deutschen Unternehmen getriebene Exportwirtschaft derzeit der wohl einzige Lichtblick in der ungarischen Wirtschaft. Ungarns „neues Geschäftsmodell“ (starke industrielle Basis und weniger Dienstleistungen, Förderung insbesondere mittelständischer Unternehmen) will sich am deutschen Vorbild orientieren.
Die großen Herausforderungen
Aber in Deutschland werden die Früchte des Wachstums zu ungleich verteilt. Die Autoren plädieren dafür, dieses Strukturproblem zu lösen, um auch zukünftig den sozialen Frieden und eine Identifikation mit der sozialen Marktwirtschaft sicher zu stellen. Das gilt auch für Ungarn. Der massive wirtschaftliche Abschwung der letzten Jahre hat das soziale Ungleichgewicht verschärft und – das zeigen die Erfolge der Jobbik – in weiten Teilen der Bevölkerung Frustration, wenn nicht Wut, erzeugt. Ein einheitlicher Steuersatz und zu hohe Verbrauchssteuern in Ungarn vertiefen diese soziale Spaltung. Die Autoren mahnen dann für Deutschland dringend an, Sozialversicherungssysteme und Arbeitsmarkt auf das Altern und Schrumpfen der Bevölkerung vorzubereiten. Auch dieser Prozess wird Ungarn nicht unberührt lassen. Wanderungsbewegungen nach Deutschland werden sich verstärken. Von den massiven Problemen im ungarischen Sozialversicherungssystem selbst wollen wir am besten gar nicht sprechen.
Wenig überraschend stehen dann die Staatsfinanzen in Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Staatsverschuldung ist mit etwa 80 Prozent des Bruttosozialprodukts in etwa gleich hoch, aber in Deutschland steigt das Steueraufkommen dank stärkeren Wachstums und größerer Beschäftigung stetig. Auch kann sich Deutschland zu einem sensationell niedrigen Zins refinanzieren. Ungarn ist nicht in dieser glücklichen Lage. Nachdem der Einmaleffekt der Verstaatlichung der privaten Altersversorgung verpufft ist, muss Ungarn noch mehr tun. Helfen würde es natürlich, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft weiter zu verbessern. Während in diesem Bereich Rürup und Heilmann in Deutschland einen Schwerpunkt bei der Förderung von Forschung und Technologie sehen, möchte man den Ungarn empfehlen, die Berechenbarkeit wirtschaftspolitischer Entscheidungen wieder herzustellen, das heißt im Ergebnis den Rechtsstaat entscheidend zu verbessern. Hier ist viel Porzellan zerschlagen worden.
Aus deutscher Sicht ist die zentrale Herausforderung der Wirtschaft in den kommenden Jahren jedoch die Rettung des Euros und eine weitere, noch tiefere europäische Integration. Hier scheint Ungarn im Moment wirklich ganz andere Vorstellungen zu haben. Das Land tut sich damit keinen Gefallen.
Der Autor ist deutscher und ungarischer Rechtsanwalt und Gesellschafter der EastNexo Consulting