Roma gehören in vielen Ländern Europas zu den Ärmsten der Armen. So auch in Siebenbürgen im heutigen Rumänien. Viele Menschen müssen hier das tägliche Überleben unter schwierigsten Bedingungen bewältigen.
Da Roma-Familien ihre geringen Verdienste fast ausschließlich für Nahrungsmittel ausgeben, bleibt wenig für Bildung. So können sich auch die jungen Roma nicht aus diesen Lebensumständen befreien. Kinder gehören dabei auch im Bereich Gesundheit zu den Leidtragenden. Der Fotograf Zoltán Molnár unternahm eine Reise durch Siebenbürgen, in dessen Verlauf er nicht nur einen Zugang zum Leben der Roma, sondern auch zu sich selbst fand.
Unter dem Titel „Világok útjain“ (dt. Auf den Straßen der Welten) konfrontiert Molnár den Besucher mit einem der rührendsten und zugleich grauenerregendsten Gesichtern der Armut: den vielen Gesichtern der vor Dreck starren, traurig oder auch wütend dreinblickenden Kinder, die durch Armut besonders gefährdet sind. Die zwischen 2003 und 2013 aufgenommenen Bilder zeigen dünne Körperchen in verlumpten Kleidern und mit hungrigen Augen, die nicht wissen, wo sie hinschauen sollen und so die Flucht nach vorne antreten – direkt dem Blick des Betrachters begegnend.
Verständnis statt Vorverurteilung
Bilder von Erwachsenen werden kaum gezeigt und wenn überhaupt, dann oft nur als der Rockzipfel, an dem sich die Kleinen unsicher festhalten. Molnárs Bilder klagen nicht an – nichts gibt Auskunft darüber, woher die auf den Bildern gezeigte Armut kommt. Viel eher scheinen seine Bilder sogar um Verständnis für die Elterngeneration zu werben. Eines der Fotoportraits zeigt eine stillende Mutter mit ihrem Kleinkind. Der Frau, die trotz ihres jungen Gesichtes einen verlebten Eindruck macht, ist physisch anzusehen, dass alle Ressourcen, die sie an die kommende Generation weitergeben kann, aufgebraucht sind. Ihre Brüste sind nur mehr leere Hautlappen, an denen das Kind, gierig vor Hunger saugend, hängt. In seinen Bildern schafft es der Fotograf, die Welt im Kontrast zwischen Licht und Schatten – zwischen Fokussierung und Unschärfe darzustellen. Das Repertoire der Ausstellung umfasst sowohl schwarz-weiße Silbergelatine-Abzüge als auch farbige fotografische Abzüge im Lambda Druck.
Doch auch die Farbfotografien setzen auf gedämpfte Erdfarben. Dies mag zum einen die rurale Schlichtheit des Lebens in den Roma-Gemeinden Siebenbürgens ausdrücken, führt aber auch zu einer bedrückenden Atmosphäre, die keinen Raum für jene Freude lässt, die Aufnahmen von Kleinkindern sonst so häufig versprühen. Von einem Lächeln ist in den kleinen Gesichtern keine Spur. Mit finsterem Blick schauen sie, ob sie alend an der Schulbank sitzen, Küken zum Streicheln halten oder ihre Geschwister an der Hand packen starr in die Kamera. Die dunklen Augen scheinen zu sagen: Wir haben an Allem zu wenig – außer an hungrigen Mäulern.
Zoltán Molnár, dessen Karriere mit einem nach dem berühmten ungarischen Fotoreporter Karoly Escher genannten Stipendium begann, hat selbst familiäre Wurzeln in Siebenbürgen. Für ihn ist die Kamera das Medium, dass es ihm ermöglicht, die Erfahrungen, die er dort gemacht hat, mit der Gesellschaft zu teilen. Um jedoch authentisch eine Situation festhalten zu können, so Molnár auf seiner Internetseite molnarzoltan.com, reiche es nicht nur, am jeweiligen Ort zu sein und den Auslöser zu drücken. Der Fotograf muss Teil der Situation sein, er muss die Grenzen zwischen ihm selbst und dem Fotografierten auflösen. Dies gehe nur durch das intensive Sich-Einfühlen in sein Gegenüber. Dass dies dem begabten Fotokünstler gelingt, ist den Werken anzusehen.
Bereits in der Vergangenheit hatte Molnár sich intensiv mit der Kultur, den Traditionen und Bräuchen der Roma in Europa auseinandergesetzt. Seine Bilder stehen zwar zum einen in der Tradition der romantisierten ethnografischen Betrachtung des Nomadenvolks, wie sie im 19. Jahrhundert üblich waren, sind jedoch zum anderen ergänzt um die Erfahrung extremer Armut und Ausgrenzung, wie es die Roma im 20. und 21. Jahrhundert erleben. Die Ausstellung hinterlässt einen tiefschürfenden Eindruck und verlangt nach Reflexion auch über die eigene Gesellschaft. Eine Besucherin schreibt im Gästebuch des Museums: „In einem Land, das sich menschennah gibt, aber eigentlich unmenschlich ist, in dem die größten Opfer nach der Wende den Zigeunern abverlangt wurden und in dem die Gábor Vonas die Zähne fletschen und drohen, bleiben die Kinder auf der Strecke.“
Petőfi Literaturmuseum
Ausstellung „Világok útjain“
Noch bis Ende Mai
Károlyi Mihály u. 16
Öffnungszeiten: Di bis So, 10 – 18 Uhr