„Man muss nicht mehr Chuck Norris sein, um mit der Metrolinie 4 zu reisen“, sagte Premierminister Viktor Orbán m vergangenen Freitag. Tatsächlich, bereits über hundertzwanzigtausend Neugierige haben allein am Tag der Eröffnung die neue Metrolinie 4 erkundet, und diese Zahl wuchs auch in den folgenden Tagen stetig.
Das große Interesse ist nur verständlich, schließlich haben die Budapester lange genug auf diesen Tag warten müssen. Die zehn Haltestellen, aus denen die Linie heute besteht, sind alle unterschiedlich gestaltet und entsprechen den Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Sie ist Mitteleuropas erste automatisch gesteuerte Metro, auch wenn in den ersten sechs Monaten noch Begleitpersonal in den Bahnen sitzen wird. Jede Station ist barrierefrei, und auch für Blinde und Taube wurden Installationen geschaffen. Die Aufzüge, von denen an jeder Station einer zu finden ist, sind vor allem für Familien mit Kleinkindern, Ältere oder Personen im Rollstuhl von Vorteil.
Das abwechslungsreiche Design der Stationen ist einerseits hilfreich, um schneller bestimmen zu können, wann man aussteigen muss, andererseits lädt es auch dazu ein, sich mal genauer umzuschauen. Die Kombination von raffinierter Ingenieursarbeit und Architektur sowie künstlerischen Aspekten wie etwa farbenfrohen Ornamenten kann auch für Touristen von Interesse sein und unterscheidet die Linie 4 von den älteren Metrolinien. So sind zum Beispiel die Stationen Móricz Zsigmond körtér und Szent Gellért tér besonders bunt, während sich über die Station beim Bikás park eine große Glaskuppel wölbt, die viel natürliches Licht auf den Bahnsteig durchlässt. Das Gefühl der Enge, das man sonst von den Metrostationen kennt, wird hier und auch an vielen anderen neuen Stationen vermindert und macht das Reisen mit der Metro zu einer viel angenehmeren Angelegenheit.
Der Weg, der zu der Eröffnung dieses vorläufig ersten Abschnitts der Metrolinie führte, war voll von Umwegen und Steinen, die sich die Politik teilweise gegenseitig in den Weg geschoben hatte. Schon in den siebziger Jahren war die Idee für eine Metrolinie 4 entstanden. Doch erst 2006 unter dem damaligen Bürgermeister Demszky begannen die Bauarbeiten. Frühere Umsetzungsversuche scheiterten, da in der ersten Amtszeit Orbáns von 1998 bis 2002 der Vertrag zwischen der Regierung und der Stadt zur Finanzierung von ihm gebrochen wurde. Das Datum der Eröffnung wurde immer wieder verschoben, die Baukosten schossen in die Höhe. Heute betragen diese insgesamt 452,5 Milliarden Forint, um 332 Milliarden mehr als 1996 berechnet wurde. Von den Gesamtausgaben übernimmt die Europäische Union einen Betrag von 180,8 Milliarden Forint, die aus dem Kohäsionsfond stammen. Beantragt waren eigentlich 224 Milliarden Forint, doch 2009 stellte sich heraus, dass von den 50 Verträgen elf den Richtlinien der EU nicht entsprachen.
Im Jahr 2010, als Orbán erneut an die Macht kam und Gábor Demszky als Bürgermeister von István Tarlós abgelöst wurde, gab es trotz bereits sichtbarer Baufortschritte Überlegungen seitens der Regierung, das Projekt doch noch zu stoppen. Am vergangenen Freitag ernteten jedoch nur Tarlós und Orbán die Lorbeeren für die Eröffnung der neuen Metro – immer wieder betonten sie, dass sie es waren, die dieses Projekt gerettet haben. Dass sie sich dabei in der Vergangenheit oft gegen das Projekt ausgesprochen haben, scheint heute nicht mehr von Bedeutung zu sein. Die Mitglieder der früheren Stadtverwaltung, die das ganze Projekt in Bewegung gesetzt hatten, vor allem Gábor Demszky, wurden zur Veranstaltung nicht eingeladen.
Allerdings kann der Bau der Metrolinie 4 noch nicht als beendet betrachtet werden. Die fertig gestellte Strecke von 7,34 Kilometern ist bloß der erste Abschnitt von den dreien, die eigentlich geplant sind. Der zweite Abschnitt ist finanziell noch nicht gedeckt, sein Bau damit noch keineswegs gewiss. Dabei würde er mit vier weiteren Stationen bis zum Bosnyák tér führen. Erst dann könnte die Verkehrssituation an der Oberfläche wirklich entlastet werden. Denn nach Schätzungen der Budapester Verkehrszentrale BKK nutzen heute einfach nicht genug Menschen die Metro, um ihre Kosten zu rechtfertigen.
Flora Uesseler