Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in der Ukraine und der „größten geopolitischen Krise in Europa seit dem Kalten Krieg“ lies die deutsche Andrássy-Universität Budapest vergangene Woche in einem „Flashlight zur Ukraine-Krise“ die Entwicklungen der letzten Monate Revue passieren. Der Fokus lag dabei insbesondere auf den Hintergründen und der Entwicklung der Maidan-Demonstrationen, wodurch die massiven Herausforderungen, die auf die neuen politischen Vertreter in der Ukraine warten, verdeutlicht wurden. Es sprachen die Universitätsprofessorin Ellen Bos sowie der Andrássy-Alumni und Trainee im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, Jakov Devcic.
Vorletzten Donnerstag empfing die deutschsprachige Universität in Budapest, spezialisiert auf interdisziplinäre Forschung zu Europa und dem Donauraum, hierzu Studenten und andere Interessierte in den Räumlichkeiten des Festetics Palais. Ellen Bos, Professorin für Politikwissenschaft, begann mit einer Einführung über die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe der Krise im Land zwischen den Fronten. Seit ihrer Konzeption als souveräner Staat vor 25 Jahren hadert die Ukraine, übersetzt „Grenzland“, mit der eigenen nationalen Identität und ihrem Platz zwischen West und Ost. Das innenpolitische Integrationsdilemma, basierend unter anderem auf unterschiedlichen historischen Erfahrungen in den Landesteilen, steht aufgrund der geopolitischen Lage des Landes seit jeher in direktem Bezug zur außenpolitischen Integrationskonkurrenz zwischen Russland und Europa, so Bos. Was jahrelang brodelte, kochte also schließlich jetzt, in wirtschaftlich besonders desolaten Zeiten, über und kulminierte in der russischen Annexion der Krimhalbinsel vergangene Woche.
Hier übergab Bos an den Andrássy-Alumni Jacov Devcic, der einen sehr persönlichen Ein- und Überblick zu den Maidan-Demonstrationen in der Hauptstadt bis hin zum Sturz des Präsidenten gab, welche er vor Ort hautnah miterlebt hatte. Vermittelt wurde ein lebendiger Eindruck einer Stadt im Ausnahmezustand und der Evolution einer Revolution – die auch vor den Räumlichkeiten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiev nicht Halt machte. Anschaulich vollzog der Referent, seit 2013 Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine, nach, wie sich die anfänglich friedlichen und zahlenmäßig begrenzten Proteste im Rahmen des gestoppten Assoziierungsabkommens mit der EU erst im Laufe der Zeit aufgrund von wachsender Unterdrückung radikalisierten und auf landesweite Demonstrationen gegen das ganze System Janukowitsch ausweiteten. Devcic betonte dabei besonders die währenddessen immer größer werdende Distanz zwischen Maidan-Demonstranten und Opposition und deutete damit an, wie groß die integrativen Herausforderungen der neuen Regierung in Kiev sein werden.
Weniger diskutiert wurden indes die aktuellen Entwicklungen auf der Krim oder auch die ungarische Position in dem Kontext und so lies der Abend erwartungsgemäß viele Fragen offen. Indem eine persönliche Perspektive auf die Ereignisse geboten wurde, konnte die Veranstaltung jedoch trotzdem, bei aller Komplexität, ein verbessertes Verständnis für Stimmung und Strömungen im Land schaffen und die Zuhörer für die anstehenden Herausforderungen in der Ukraine sensibilisieren.
Judith Huber