In der vorigen Ausgabe wurde beschrieben, wie kooperativ die Besetzung Ungarns durch Truppen des Großdeutschen Reiches am 19. März 1944 vonstattenging. Dass sich die Besetzung alles andere als in der Weise vollzogen hat, wie von dem von der Regierung befürworteten Entwurf für ein Besetzungsdenkmal auf dem Szabadság tér suggeriert (die Budapester Zeitung berichtete), macht auch das auf dieser Doppelseite abgedruckte „Merkblatt für deutsche Wehrmachtangehörige” deutlich, das eher zu einem rücksichtsvollen Umgang mit der nichtjüdischen ungarischen Bevölkerung anhält.
Das Merkblatt ist Anfang März 1944 unter den Soldaten der acht deutschen Divisionen verteilt worden, die während der „Operation Margarethe” die Besetzung Ungarns durchzuführen hatten. Sein Ziel war die Vorbereitung der Soldaten auf die ungarischen Verhältnisse. Die Verfasser des Merkblattes sind unbekannt. Das Schriftstück ist im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv in Freiburg/Breisgau unter den Signatur RH321/11 abgelegt, woraus zu entnehmen ist, dass es sich um ein Dokument aus dem Generalstab des Heeres handelt. Demzufolge sind die Autoren unter den Mitarbeitern des Amtes Ausland/Abwehr zu verorten. Das Merkblatt war als streng geheim eingestuft und diente der vertraulichen Unterrichtung der Offiziere, die die darin enthaltenen Informationen nur mündlich an die Untergebenen weitergeben durften. Aus diesem Grund äußerten sich die Verfasser in diesem Schriftstück sehr offen. Manche Angaben, wie etwa „eine Million Juden, alleine in Budapest 150.000” sind unzutreffend – in ganz Ungarn gab es 725.000 Personen, die sich zum jüdischen Glauben bekannten und rund hunderttausend getaufte Juden. Dafür konzentrierte sich dieser Bevölkerungsteil in Budapest, wo er mit rund 250.000 Personen etwa ein Fünftel der Hauptstädter stellte.
Andere Angaben des Merkblattes haben von ihrer Aktualität aber seltsamerweise wenig verloren. Nicht nur die anderen Umgangsformen, wie etwa das in Ungarn unverbindlich gepflegte Duzen sind hier erwähnenswert, auch die heutige Selbsteinschätzung vieler Madjaren findet sich an manchen Punkten des Merkblatts wieder. Minderwertigkeitskomplexe, ein ungeklärtes Verhältnis zu den „östlichen Wurzeln” des Madjarentums und ein ausgeprägter Nationalstolz sind immer noch bekannte Phänomene der ungarischen Gesellschaft.
Krisztián Ungváry