
„Anamnesis“: Gespielt vom Katona József Theater und der Sputnik Shipping Company. (Foto: Kékes Szaffi)
Mit dem Festival „Szene Ungarn“ widmete sich das Wiener Burgtheater vergangene Woche in mehreren Veranstaltungen der hiesigen Kulturlandschaft. Im Rahmen der kulturpolitischen Veränderungen Ungarns der vergangenen Jahre wollten die Österreicher “Ausschnitte einer Theaterlandschaft” bieten und nicht zuletzt zu Diskussion und Reflexion anregen. Beteiligt mit einem Gastspiel war unter anderem die Béla Pinter Company und das Katona Jószef Theater, außerdem gab es eine Lesung der Schriftstellerin Krisztina Tóth und einen musikalisch-literarischen Abend mit dem Pianisten Kálmán Oláh. Geprägt war das Festival jedoch nicht zuletzt von zahlreichen ungarischen Absagen, was verdeutlicht, dass im ungarischen Theaterleben Vieles im Argen liegt.
Nachdem das ungarische Nationaltheater schon vor längerem sein Gastspiel mit ‚Johanna auf dem Scheiterhaufen‘ abgesagt hatte, zog vor einigen Tagen schließlich auch die Theatergruppe „Krétakör“ ihre Teilnahme zurück. Die „ungeklärten wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse des Burgtheaters“ ließen sich moralisch nicht mit ihrer Beteiligung vereinbaren. In Sachen Skandale macht die österreichische Theaterszene der ungarischen momentan nämlich Konkurrenz, im Mittelpunkt dabei steht das Burgtheater selbst. Seit Anfang des Jahres sorgt diese Instanz deutschsprachigen Theaters für Schlagzeilen wegen Bilanztricksereien und Korruptionsvorwürfen, woraufhin schließlich der Intendant und Initiator des Ungarn-Festivals Matthias Hartmann seinen Platz räumen musste. Das Burgtheater Wien sei deshalb „nicht der richtige Schauplatz, um hinsichtlich der Angelegenheiten eines anderen Landes die Vermittlerrolle zu spielen“, so die schnippische Absage des Ungarischen Nationaltheaters im Februar. Nicht unwichtig bei dieser Entscheidung war sicherlich auch, dass man von Wien im vergangenen Jahr einen Korb für ein internationales Theaterfestival erhalten hatte, mit dem Hinweis, das Burgtheater habe kein Interesse daran, durch die eigene Teilnahme „den beschädigten Ruf der ungarischen Kulturpolitik zu reparieren”. Kritik bezüglich politischer Einflussnahme in der hiesigen Theater- und Kunstszene hatte es aus dem deutschsprachigen Raum schon des öfteren gegeben – und nicht zuletzt unter der Führung Hartmanns. 2013 hatte er einen offenen Brief an HR-Minister Zoltán Balog verfasst, in dem die kulturpolitischen Umwälzungen der Fidesz-Regierung kritisierte.

Diskutiert: Gábor Máté (l.) Moderatorin Rubina Möhring, Kritikerin Judit Csáki (m.r.) und Bence Mattyasovszky sprachen über „das Theater in der ungarischen Gegenwart“. (Foto: Reinhard Werner)
Dezimierte Diskussionsrunde
Letzterer hatte ursprünglich eigentlich auch einmal sein Kommen zu „Szene Ungarn“ angekündigt. Die Diskussionsrunde zum Thema „Das Theater in der ungarischen Gegenwart“ am 16.März im Kasinotheater am Wiener Schwarzenbergplatz hätte dadurch sicherlich an Schärfe gewonnen. Zur Konfrontation mit dem Minister kam es jedoch nicht, außerdem fehlten ebenso Márton Gulyás von Krétakör, sowie der Choreograph Csaba Horváth, dessen Teilnahme den Witterungsbedingungen zum Opfer gefallen war. Eine etwas dezimierte Diskussionsrunde, bestehend aus dem Direktor des József Katona Theaters Gábor Máté, Bence Mattyasovszky, Verwaltungsdirektor am selbigen, und der Schriftstellerin und Theaterkritikerin Judit Csáki, zog schließlich Bilanz über den aktuellen ungarischen Theaterbetrieb. Entsprechend politischer Anliegen, so befand man, seien eute hauptsächlich Unterhaltung und kaum mehr die Anregung zu kritischem Denken gefragt. So hätte es sich auch der neue Leiter des Nationaltheaters Vidnyánszky laut eigener Aussage zur Aufgabe gemacht, nicht weiter den „Schlamm der Wirklichkeit“ darzustellen, vielmehr sollen Heldenepen das Publikum inspirieren. Politische Einflussnahme ereigne sich dabei mal mehr und mal weniger direkt, hauptsächlich bei der Vergabe
von Geldern, Preisen sowie bekanntermaßen bei der Besetzung von leitenden Positionen.

Bei einem musikalisch-literarischen Abend dem Titel „Tradition ist kein Museumsstück“ las unter anderem der Schriftsteller László Márton aus seinem Werk „Das Versteck der Minerva“. (Foto: Georg Soulek)
Gegenstand des Gesprächs war auch der Vorgänger Vidnyánszkys im Nationaltheater Róbert Alföldi. Im Rahmen der eubesetzung des Postens sei nicht zuletzt im ungarischen Parlament Bezug auf seine angebliche Homosexualität und jüdische Herkunft genommen worden. Für freie Theater, so berichteten Máté und Csáki, sei indes vor allem die finanzielle Unsicherheit gewachsen, die Vergabe von Subventionen sei undurchsichtiger denn je. Das roblem bei allen Vorwürfen daran, auch aus dem Ausland, sei, dass die kritisierte Seite alles auch für ihre Zwecke zu deuten wisse. Austausch, Diskussionen oder Konfrontationen kämen so gut wie nie zustande. Ein unkt, den dieses Festival eindeutig unterstrichen haben sollte.
Judith Huber