Das neue ungarische Zivilgesetzbuch ist am 15. März 2014 in Kraft getreten. Dieses regelt unter anderem die beliebteste aller Gesellschaftsformen, die GmbH, auch in deutschsprachigen Kreisen bereits unter ihrem ungarischen Namen Kft. bekannt. Im Internet und in der Presse kursieren Nachrichten, die bestimmte Neuerungen im Gesetz teils überhöhen, teils dramatisieren. Doch wie sieht es wirklich aus?
#1 Das Stammkapital muss gleich bei der ersten Firmenänderung angehoben werden.
Urban legend: „Das Stammkapital einer ungarischen GmbH muss bei der ersten Firmenänderung auf 3 Mio HUF angehoben werden.“
Fakt ist: Die bereits bestehenden Gesellschaften genießen eine Schonfrist und müssen ihr Stammkapital erst zum 15. März 2016 anheben. Dies gilt auch dann, wenn andere Änderungen gemacht werden, wie z.B. ein Geschäftsführerwechsel, WP-Wechsel oder die Sitzverlegung. Ab dem 15. März diesen Jahres ist bei Neugründungen tatsächlich ein Stammkapital von mindestens 3 Mio. HUF (~ 10.000 EUR) erforderlich. Wichtig ist aber, dass die alten Gesellschaften nicht bei der ersten Änderung eine Stammkapitalerhöhung durchführen müssen, um andere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen vornehmen zu können. Außerdem gibt es auch nach dem 15. März 2016 die Möglichkeit, das Stammkapital statt einer sofortigen Einzahlung aus zukünftigen Dividenden zu „erwirtschaften“.
#2 Persönliche Haftung des Geschäftsführers?
Urban legend: „Der Geschäftsführer haftet fortan solidarisch mit seinem Privatvermögen für die von der Gesellschaft verursachten Schäden.“
Fakt ist: Im Zusammenhang mit der persönlichen Haftung des Geschäftsführers nach neuem ungarischen Zivilrecht kursieren etliche Meldungen im Internet. Es stimmt, dass der Geschäftsführer fortan solidarisch für die von der Gesellschaft verursachten Schäden haftet, jedoch ausschließlich bei Schadensverursachung durch ihn selbst und nur, wenn es keinen Vertrag gibt. Der Geschäftsführer haftet also nicht für vertragliche Schäden, was ja im B2B-Bereich das viel realistischere Schadensszenario ist (Schlechtlieferung, Zahlungsverzug). Freilich wird eine bösgläubige Vertragspartei schnell merken, dass sich mit einer deliktischen Schadensersatzforderung deutlich mehr Druck aufbauen lässt, eben wegen der Verletzbarkeit des Geschäftsführers. Mit ein wenig Cleverness ist man über ein verbundenes oder befreundetes Unternehmen schnell bei der deliktischer Haftung. Insofern empfehlen wir weitestgehend vertragliche Absicherungen in den Handelsverträgen. Außerdem kann man intern eine Schadloshaltung mit den Gesellschaftern (Eigentümern) vereinbaren.
#3 Wurde die vertragliche Schadenshaftung drastisch verschärft?
Urban legend: Eine besonders hartnäckige Legende besagt, dass die Schadenshaftung für Vertragsverletzungen „deutlich verschärft“ worden ist.
Fakt ist: Die Haftung für Schäden aus einer Vertragsverletzung wurde verschärft, aber auch bedeutend gelindert – mit Bilanz klar in Richtung Haftungserleichterung! Der Reihe nach: Die Haftung ist jetzt strikter, da das Prinzip des Pacta sunt servanda gestärkt wurde, dies ist zutreffend. Soll heißen, dass der Schädiger in Zukunft weniger Schlupflöcher haben wird, um sich aus seiner Haftung für die Folgeschäden seiner Vertragsverletzung herauszuwinden. Allerdings stellt man auf den zweiten Blick fest, dass sich der Gesetzgeber nicht zu einem rein objektiven Haftungsmaßstab durchringen konnte. Dann nämlich wäre die Haftungsbefreiungsmöglichkeit des Schädigers klar und eindeutig auf den Extremfall „Vis Major“ beschränkt. Stattdessen gibt es nun eine Reihe von schwammigen Kriterien (Unkontrollierbarkeit, Unvorhersehbarkeit bzw. Unabwendbarkeit des Schadens). Diese werden bei zukünftigen Gerichtsprozessen zu einem zusätzlichen Wust an „klärungsbedürftigen Beweisfragen“ führen, was wiederum Tür und Tor öffnet für die bekannten Prozessverschleppungstaktiken – natürlich alles zulasten des Geschädigten. Und sogar drastisch haftungserleichternd ist das neue Zivilgesetzbuch insofern, als die Höhe des Schadensersatzes nunmehr begrenzt ist auf diejenigen Schäden, die bei Vertragsschluss (!) objektiv vorhersehbar waren. Die Beweislast hierfür obliegt natürlich dem Geschädigten. Im Lichte der hesitativen Entscheidungsfindungskultur der ungarischen Gerichte daher die provokative These, dass Schadensersatzprozesse nach dem neuen Gesetz noch uferloser werden als es bis jetzt der Fall ist.
#4 Protest von Geschäftsführern – Mitgehangen, mitgefangen!
Urban legend: „Das neue Rechtsinstitut „Protestmöglichkeit“ wird die Position der Geschäftsführer stärken.“
Fakt ist: Bis jetzt war bei mehreren Geschäftsführern lediglich zu regeln, ob die beiden Geschäftsführer ein gemeinsames oder eigenständiges Zeichnungsrecht haben. Ab März wird den eigenständig zeichnungsberechtigten Geschäftsführern die Möglichkeit eingeräumt, gegen die Aktion des anderen Geschäftsführers „Protest“ einzulegen. Der Protest wird von der Gesellschafterversammlung bzw. von der Alleingesellschafterin entschieden. Dieses Recht des Geschäftsführers wird de facto bald als Pflicht auf ihm lasten. Es ist daher auf jeden Fall empfehlenswert, in einer gesonderten Geschäftsführersatzung die einzelnen Verantwortungsbereiche klar zu regeln. Ansonsten setzt sich der Co-Geschäftsführer der Gefahr der Mithaftung aus.
#5 Entlastung des Geschäftsführers: Echte Neuerungen?
Urban legend: „Die Entlastung des Geschäftsführers kann bei Mandatsende auch unterjährig erfolgen und schafft dadurch für klare Verhältnisse.“
Fakt ist: Die Entlastung des Geschäftsführers wurde nach deutschem Muster im Jahre 2006 in Ungarn eingeführt. Nun wird es möglich sein, eine Entlastung nicht nur zum Ende eines Geschäftsjahres zu gewähren, sondern auch bei unterjähriger Beendigung des Geschäftsführermandats. Es ist fraglich, bei welchem Szenario diese Neuerungeinen echten Mehrwert haben wird. Jedoch ist die weit weniger bekannte Neuerung zu begrüßen, dass ie Entlastung nicht mehr zuerst im Gesellschaftsvertrag eigens ermöglicht werden muss. Empfohlen wird, die Entlastungsfrage alljährlich auf die Tageordnung zu setzen, offen zu diskutieren und einen klaren Beschluss zu fassen. Dabei können auch fallspezifische Ausnahmen formuliert werden bzw. Rechtsvorbehalte kundgetan werden.
Csongor Buzády ist Rechtsanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht mit dem Schwerpunkt Corporate finance.
Buzády & Udvari Rechtsanwälte
Telefon: +36 23 889 145
csongor.buzady@bud-legal.hu
www.bud-legal.hu