
v.l.n.r.: Gábor Kaleta (Pressechef des Außenministeriums), Miroslav Lajčák (Slowakei), Frank-Walter Steinmeier (Deutschland), János Martonyi (Ungarn), Lubomír Zaorálek (Tschechien), Artur Nowak-Far (Polen) Fotos: Noémi Bruzák / MTI
Zu einem außerordentlichen Treffen mit Vertretern der Visegrád-Gruppe ist der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier kurzfristig nach Budapest gereist. Thema des Zusammenkommens war die kritische Lage in der Ukraine und das Verhalten gegenüber Russland.
„Wir sind völlig einig“, erklärte Steinmeier im Einklang mit Außenminister János Martonyi gleich zu Beginn der Pressekonferenz am Nachmittag des heutigen Donnerstag, 6. März, im Außenministerium von Budapest. Der deutsche Bundesminister des Auswärtigen zeigte sich dankbar für das Engagement der Visegrád-Staaten. In diesen kritischen Tagen vor dem Referendum arbeite man noch enger zusammen als ohnehin. Hintergrund ist der Entschluss der moskautreuen Führung in der Krim-Hauptstadt Simferopol über eine Bevölkerungsbefragung am Sonntag, in dem über eine Unabhängigkeit der Autonomen Republik sowie einen Anschluss an Russland abgestimmt werden soll. „Russland hat entschieden, seine Grenzen zu korrigieren und ein Staatsgebiet abzutrennen. Das ist völkerrechtlich inakzeptabel“, so Steinmeier. Das Referendum sei überdies nicht im Einklang mit der ukrainischen Verfassung – weder mit der bisher gültigen noch mit der Verfassungsversion von 2004, die die aktuelle ablösen soll.
Kooperation statt Konfrontation
Weiterhin betonte Steinmeier, dass man speziell in der Region der Visegrád-Staaten mehr noch als im Rest der EU mit viel Sensibilität und Erinnerungen, aber auch mit Vorsicht auf die Ereignisse blickt. Nach geschichtlichen Ereignissen wie dem ungarischen Volksaufstand 1956 und dem Prager Frühling 1968 verbinde man auch ein Gefühl der Bedrohung mit der aktuellen Situation in der Ukraine und Russland. „Doch es sind nicht allein tschechische, polnische, slowakische und ungarische Sorgen – es sind europäische und somit auch unsere“, erklärte Steinmeier weiterhin seinen Besuch. „Was jetzt passiert, ist die Drohung einer neuen Spaltung, es ist eine brandgefährliche Situation.“ Deshalb dürfe man nicht kopflos reagieren, sondern müsse im Konsens entscheiden und alle Möglichkeiten der Außenpolitik nutzen. Es haben bereits unzählige Gespräche zwischen europäischen Außenministern und Russland stattgefunden, da man nicht auf Konfrontation, sondern Kooperation setze. „Die diplomatischen Versuche zur Deeskalation schlägt Russland allerdings aus“, zeigte sich Steinmeier enttäuscht.
Dennoch starte man mehrere Bemühungen: Zum einen soll die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, mit weiteren Aufgaben in der Ukraine beauftragt werden, zum anderen sollen Untersuchungen eingerichtet werden, um die Verbrechen aufzuklären, und nicht zuletzt versuche man, internationale Kontaktgruppen zusammenzubringen. Der letzte Versuch sei das morgige Treffen des US-amerikanischen Vorsitzenden im Ausschuss für Außenpolitik, John Kerry, mit seinem russischen Kollegen in London.
Weitere Sanktionen gegen Russland möglich
„Wir haben keine großen Hoffnungen, dass sich vor Sonntag etwas bewegt – obwohl Außenminister immer am längsten hoffen“, sagte Steinmeier mit Blick auf das Referendum am Wochenende im Krim-Parlament. Mit zwei Fragen, vor denen man nun stehe, leitete Steinmeier auf die Frage nach weiteren Sanktionen gegen Russland über: Wie wird man auf die Volksbefragung reagieren und welche Maßnahmen und Instrumente soll man für die Reaktion beschließen. „Es ist nicht unser Wille, doch wenn Russlands Interesse über die Krim hinausgeht und man weiterhin nicht kooperieren will, dann müssen wir eine heute beschlossene dritte Stufe erwägen“, so Steinmeier. Bereits beim Treffen der G7-Industriestaaten in der letzten Woche drohte man mit weiteren Maßnahmen gegenüber Russland. Auf die Frage einer Journalistin nach den konkreten Formen der Sanktionen blieb Steinmeier allerdings diskret: „Es wäre unprofessionell und unklug, jetzt schon darüber zu sprechen.“ Dennoch wird gemutmaßt, eine nächste Stufe der EU-Sanktionen könnte mit Konten- und Einreisesperren einhergehen. Laut Außenminister Steinmeier suche man aber in jedem Falle, weitere Sanktionen zu verhindern: „Solche Maßnahmen sind kein Selbstzweck – niemand will einen Wirtschaftskrieg“, hob Steinmeier hervor. Weder für die ukrainische Übergangsregierung, noch für die EU-Nachbarschaft sei die Situation einfach. Und auch für die Diplomatie und Außenpolitik stelle sich hier eine verantwortungsvolle Aufgabe.
Martonyi: „Wir müssen uns auf alles vorbereiten“
Auf die Frage eines Journalisten nach den möglichen wirtschaftlichen Konsequenzen, die weitere Maßnahmen gegen Russland für Ungarn haben könnte, antwortete Martonyi nur knapp. Er verwies auf seine bisher in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen und sagte, man könne keine genauen Zahlen nennen, da man die detaillierten Folgen unmöglich absehen könne. „Wir müssen uns auf alles vorbereiten“, stellte Martonyi klar, „und so eine Situation so gut es geht vermeiden. Die Visegrád-Staaten seien verletzlich, so Martonyi weiter, und Sanktionen gegenüber Russland würden die V4 am stärksten treffe. Da man den Konsequenzen von eventuellen wirtschaftlichen Sanktionen am offensten ausgesetzt sei, würden die Visegrád-Länder auf die Solidarität der EU-Mitgliedsstaaten zählen.
Eines, so Steinmeier, müsse jedoch hervorgehoben werden: Die Perspektive auf der Krim sei das eine, der Kern der Sache sei aber die Unterstützung für die Ukraine selbst. Auch sein Amtskollege Martonyi betonte die Wichtigkeit der Frage, wie man der Ukraine gegenüber seine Hilfe verstärken könne, sei es bezüglich Handel, dem angestrebten Assoziierungsabkommen der Übergangsregierung mit der EU, weiteren Finanzpaketen oder der Energiefrage.
Nebenden Außenministern von Deutschland und Ungarn, Frank-Walter Steinmeier und János Martonyi, nahmen auch die Außenminister der weiteren Visegrád-Staaten, der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák, tschechischer Außenminister Lubomír Zaorálek und Artur Nowak-Far, polnischer Staatssekretär im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, an der Pressekonferenz teil.
Lisa Weil