Zu Zeiten, in denen sich in Ungarn viel um Fußballstadien dreht, sind andere Sportarten eine willkommene Ablenkung. Eis statt Gras, Puck statt Ball, Kufen statt Stollen: Beim Eishockey geht es um Strategie und den Mut zum Vollkontakt. In Budapest bringt ein Verein Kindern und Jugendlichen die Regeln des Sports nach kanadischem Vorbild bei.
Der 15-jährige Dániel Kővári ist voll bepackt: Große Beinpolster, Gesichtsschutzmaske, Abwehr- und Fanghandschuhe. Es ist Sonntag Nachmittag, er steht kurz vor dem U16-Spiel gegen die Miskolcer Eisbären. Seit acht Jahren spielt der Junge bereits Eishockey, seit 2012 im damals umbenannten Verein, dem kanadisch-ungarischen Eishockey-Klub KMH. Dániel hat Großes vor: „Nächstes Jahr werde ich vermutlich nach Kanada ziehen, dort Abitur machen und studieren und danach Eishockey spielen.“ Wenn es als Spieler nicht klappt, will er die finanziellen und administrativen Tätigkeiten eines Eishockey-Teams übernehmen.
In Ungarn wäre das kaum möglich. Der Stellenwert und vor allem der finanzielle Background des Sports ist hier ein ganz anderer als in Übersee. „Im EBEL, der Erste Bank Eishockey Liga, zu spielen, ist als Ungar ganz in Ordnung. Im MOL will ich aber nicht spielen“, weiß Dániel. Die MOL Liga ist eine 2008 gegründete, ungarisch-rumänisch-slowakische Eishockey-Liga – international zwar, aber nicht vergleichbar mit der nordamerikanischen National Hockey League, der NHL. Im nicht-europäischen Ausland würde Dániel in den USA oder in Kanada spielen, in Europa in Deutschland, Schweden oder Finnland. Auch wenn es die ungarischen Eishockey-Spieler dieses Jahr nicht nach Sochi geschafft haben, so hofft der junge Torwart, dass er es später einmal in die Erwachsenen-Liga oder gar zu den Olympischen Winterspielen darf.
Firmenchefs im Eishockey
Das Spiel beginnt. Erste Pucks flogen schon beim Aufwärmen gegen die Plexiglas-Scheiben am Rande des Spielfelds. Nun gibt es kein Haltenmehr, die jungen Spieler sind aufmerksam und flink. Es ist bereits das vierte Spiel gegen die Miskolcer Eisbären; trotz Heimvorteil ist das Team aus Nordungarn stark und risikofreudig, die Budapester setzen auf Strategie. Die Halle, in der gespielt wird, ist ein großes Zelt und scheint eher provisorisch. Die Tribünen fehlen, viele Besucher passen hier nicht rein. Nur wenige Meter weiter steht das eigentliche Spielfeld des KMH, im Tüskecsarnok (Stachelhalle), deren Äußeres den Namen begründet. 2012 zog der kanadisch-ungarische Eishockey-Klub dort ein. Auf dem Eisfeld prangt das Logo des Vereins – ein Ahornblatt in Rot-Weiß-Grün. Momentan wird das Tüskecsarnok renoviert; die Bauarbeiten sollen Mitte des Jahres abgeschlossen werden. Dániels Vater, Zoltán Kővári, ist einer der drei Vizepräsidenten des Vereins. Zum KMH kam er nur zufällig über seinen Sohn: „Unsere Kinder spielten Eishockey, und vier Eltern wollten gern bei den Tätigkeiten des Vereins mithelfen“, erzählt Kővári. „Am Ende haben so viel mitgeholfen, dass wir Lust bekamen, einen eigenen Klub zu gründen – das wurde dann der KMH. Da wir alle Geschäftsführer mehrerer Firmen sind, haben wir unsere Tätigkeiten dort quasi mit rübergenommen in den Sport.“ Kővári selbst arbeitet nicht als Trainer und auch nicht Vollzeit für den Verein. Mittlerweile gibt es aber bereits mehrere Trainer, die exklusiv für den KMH arbeiten.

Was von außen brutal wirkt, ist in Wirklichkeit ein technisch anspruchsvoller Sport mit taktischen Finessen.
„Bei dem Klub sollte es sich um eines drehen: Kanada“, erklärt Kővári. „Wir möchten die kanadische Eishockey-Schule im KMH verwirklichen, das heißt die Lehrweise und die in gewissen Intervallen eingeplante sportliche Entwicklung.“ Anfangs lud der
Klub deshalb Fachmänner des kanadischen Eishockey wie Bob Leslie ein, um sich von ihm professionell inspirieren zu lassen. Leslie organisiert in Kanada und den USA Eishockey-Camps für Kinder und Jugendliche. Solche Lager bieten den jungen Sportlern konzentriertes und intensives Training und sind gerade für potenzielle Profispieler ein Muss. „So ein Camp wollen wir auch in Budapest anbieten, am besten schon im Sommer“, plant Kővári. Ein weiteres Ziel des KMH für 2014/2015 ist es, in die EBEL-Liga zu kommen. Bis dahin sollte auch die große Halle, das Tüskecsarnok, fertig sein, die momentan renoviert wird, um der Profi-Mannschaft ein Zuhause zu geben. Ein Sportverein ist jedoch nichts ohne seine Spieler. Wichtig ist dem KMH deshalb außerdem der Kontakt zu Schulen und Unis, um beispielsweise eine Uni-Meisterschaft durchzuführen. „Wir wollen, dass die Kinder spielerisch lernen und Sport treiben“, erklärt Kővári die Ziele des Klubs. „Uns ist es wichtig, eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen, in der sich diejenigen wiederfinden, die professionell Sport treiben wollen, aber auch diejenigen, die keine Profisportler sein möchten, den Sport aber nicht aufgeben wollen – sprich, möglichst alle Eishockey-Interessierten anzusprechen.“ Daran, dass das auch in Ungarnmöglich ist, hat Kővári keine Zweifel: „Dafür, dass es wenige Eishockey-Felder und Spieler in Ungarn gibt, ist der Sport aus meiner Sicht sehr beliebt und bekannt. Vor allem aber ist es eine internationale Sportart.“ Natürlich lasse sich der Bekanntheitsgrad von Eishockey in Ungarn und Kanada nicht vergleichen.“ Um zwei Zahlen zu nennen: In Kanada gibt es mehr als 200.000 anerkannte Spieler, in Ungarn sind es fast 4.000. Klar ist das ein riesiger Unterschied.“ Die Wettkämpfe seien dennoch immer ausverkauft. Auch deshalb hofft der KMH auf eine baldige Fertigstellung des Tüskecsarnok: „Oft müssen wir Zuschauer vertrösten, weil einfach nicht genug Platz im Zelt ist.“
Die erste der drei Runden des Eishockey-Spiels ist zu Ende. Die Miskolcer Eisbären liegen mit einem Punkt in Führung. Die Jungen und Mädchen der U16-Gruppe des KMH verlassen das Spielfeld, neues Eis wird aufgetragen. Kővári klopft seinem Sohn auf die Schulter. Der Zukunftsplan: Zurück in die A-Liga, wo die ungarische Nationalmannschaft schon einmal war. Und diesmal mit dem KMH.
Lisa Weil
Webseite des kanadisch-ungarischen Eishockey-Klubs: www.kmh.sport.hu