Die Budapester Zeitung verbindet ihre Leser – zum Teil sogar über Kontinente hinweg: Als der in Berlin lebende pensionierte Ungar Georg Tóth unseren Online-Artikel „Auf den Spuren der Familie“ über die Nachforschungen der in Argentinien geborenen Buday-Goldberger-Nachfahrin Jacqueline Rajmanovich las, wollte er unbedingt Kontakt zu ihr aufnehmen. Tóth kannte nämlich den berühmten Industriemagnaten Leó Goldberger persönlich und hatte eine interessante Geschichte über ihn parat. Über unsere Vermittlung läuft der Briefwechsel zwischen Budapest, Berlin und Buenos Aires.
Der auf unserer Webseite Mitte Januar 2013 veröffentlichte Artikel zeichnete die Bemühungen der Argentinierin nach, mehr über ihre Vorfahren und deren Geschichte in Erfahrung zu bringen, wofür sie eigens nach Budapest gereist war. Die Familie Buday-Goldberger hatte die größte Textilfabrik des Landes betrieben, ehe 1997 auch die letzten Überbleibsel der Firmendynastie ihr Ende fanden. Zwischenzeitlich hatte auch die Budapester Zeitung ihre Redaktionsräume auf dem ehemaligen Fabrikgelände in Óbuda gehabt.
Tóth wandte sich Anfang Dezember 2013 an unsere Redaktion, er wolle Kontakt zu Rajmanovich aufnehmen, denn er könne über eine interessante Geschichte berichten: Sein Vater Imre war jahrzehntelang treuer Mitarbeiter von Leó Goldberger und schaffte es 1942 sogar bis zum stellvertretenden Generaldirektor der Fabrik. Auch Georg Tóth kannte den einflussreichen Industriemagnaten persönlich, laut eigener Aussage erhielt seine Familie sogar jedes Jahr bis 1943 ein Weihnachtsgeschenk von ihm. Er habe das Goldberger-Textilmuseum auf dem ehemaligen Fabrikgelände besucht um zu recherchieren, aber nicht alle Fragen zur dunkelsten Zeit der Firmengeschichte, nämlich während des 2. Weltkrieges, beantworten können, sagte Tóth gegenüber der Budapester Zeitung.
Lebensrettende Schmiergelder aus Firmenkasse?
Angesichts der sich zunehmend verschärfenden Judenverfolgung einigten sich die Goldberger-Werke im Dezember 1942 schriftlich mit Imre Tóth, dass dieser vom Betrieb einen Kredit in Höhe von 191.800 Pengő (der von 1927 bis 1946 gültigen Währung Ungarns; Anm.) bar ausgezahlt bekomme, den er nach einem genauen Zeitplan mit Zinsen binnen zehn Jahren zurückzuzahlen habe. Dieses Schreiben fiel Georg Tóth nach dem Tod seiner Schwester zu, außerdem noch ein weiteres, das die Geschichte erst spannend macht: In diesem erklärt Goldberger überraschend vor Zeugen, dass Tóth keinerlei Rückzahlungspflichten habe; er erklärt auch im Namen seiner Erben, dass er (Goldberger) alle Rückzahlungsfristen persönlich übernehme.
Ungeklärte Kreditgeschäfte
Laut Georg Tóth war dies ein Scheingeschäft: „Geld ist nie geflossen, die finanziellen Aspekte unserer Familie haben sich um nichts geändert. Im Nachhinein denke ich darüber nach, was alles mit uns passiert wäre, wenn 1945 die Genossen des über die Werke aufsichtführenden Betriebsrates in der Arany János utca den Kreditbrief in die Hände bekommen hätten.“ Viel wahrscheinlicher sei, dass Goldberger dringend Bargeld aus der Betriebskasse gebraucht hatte und als Beleg dafür den von Tóths Vater unterschriebenen Kreditbrief hinterlegte. „Meine rein spekulative Vermutung geht dahin, dass das Geld als Schmiergeld für die deutsche Gestapo und für die Besorgung von falschen Pässen akut nötig wurde, um die illegale Ausreise einiger Familienmitglieder über Italien in die neutrale Schweiz zu ermöglichen“, so Tóth in einer Email an Rajmanovich und den Verfasser dieser Zeilen Anfang Dezember.
Weitere Recherchen im Textilmuseum
Die Goldberger-Nachfahrin reagierte wie folgt auf Tóths Vermutungen: „Ich habe nie von diesem Schmiergeld gehört, aber es verwundert mich nicht. Das könnte durchaus so passiert sein.“ Jedoch schien der Forscherdrang in der promovierenden Soziologin geweckt – Sie könne es kaum erwarten, endlich wieder nach Budapest zu fliegen und über Recherchen vor Ort, etwa im Goldberger-Textilmuseum, der Sache selbst auf den Grund zu gehen. „Ich würde mich sehr über eine Einladung vom Museum an mich als lebende Goldberger-Nachfahrin freuen“, sagte sie. Dort könnte sie auch auf Georg Tóth treffen, der im März seinerseits einen weiteren Besuch des Museums plant.
Daniel Hirsch