Budapest ist auf dem Weg, ein europäischer Hotspot für junges, urbanes Design zu werden. Zwar fehlt es der Donaumetropole bisher an einer internationalen Fashion Week, doch erweist sich die Stadt als fruchtbarer Nährboden für unverbrauchte, kreative Talente mit Innovationspotential. In dieser Artikelreihe stellen wir bisher unbekannte, aber auch etablierte Gesichter der Designszene in und aus Budapest vor. Lesen sie in dieser Ausgabe über Piroshka; ein Modelabel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Fortschritt und Tradition, Berlin und Budapest. Wir sprachen mit dem kreativen blonden Lockenkopf Anna Hegedűs, der sich hinter den Kostümchen in Pusztaromantik-Manier verbirgt.
Die Designerin Anna Hegedűs fühlt sich zerrissen zwischen zwei Welten. Die eine geprägt vom multikulturellen, pulsierenden Leben der deutschen Hauptstadt in der sie aufgewachsen ist, und die andere von der romantisch verklärten Sentimentalität, die sie ihrem ungarischen Erbe gegenüber empfindet. Diese kulturelle Schizophrenie verarbeitet die geborene Ostberlinerin mit dem ungarischen Herzen aus Paprika in ihren Kollektionen.
Auf der Straße könnte man eines der Piroshka-Unikate sofort an den auffällig knalligen Farbkombinationen erkennen. Auf bedruckten Hosen, Kleidern und volkstümeligen Jacken ringt Indigoblau mit feurigem Paprikarot um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Rot hat für das junge Modelabel eine besondere Bedeutung. Laut Anna Hegedűs ist der Farbton, der im Ungarischen als piros bezeichnet wird und so auch seine Entsprechung im Labelnamen findet, das Markenzeichen der aktuellen und aller kommenden Piroshka-Kollektionen. Die einzigartige Handschrift der Designerin zeigt sich ebenfalls in der originellen Auswahl und Kombination verschiedener schwerer Materialien, auch Leder und Fell und den prachtvollen Details der zum Teil eigenen Stoffdesigns.
Piroshka – Design mit eklektischer Ästhetik
Den Namen der Bekleidungsmarke verbinden viele gedanklich mit dem erfolgreichen deutschen Nachkriegsklassiker „Ich denke oft an Piroschka“. Sein Klang beschwört Bilder herauf von Pusztaromantik und der liebreizenden Lilo Pulver, die als Piroschka in schönster ungarischer Tracht auf dem Maisfest bezauberte. Doch auch, wenn diese Interpretation auf den ersten Blick plausibel erscheint, der Name des Labels ist ein Tribut an Annas ungarische Großmutter, Piroska. „Meine Großmutter war selbst Schneiderin in Szolnok und obwohl es niemals ein Thema war, glaube ich, dass ich von ihr mein Händchen für die handwerkliche Seite des Modedesigns, wie Schneidern, Schnitt-machen und Anpassen geerbt habe. Ich denke sie blickt von irgendwo da oben auf mich und ist stolz, dass ihre Lieblingsenkelin in ihre Fussstapfen getreten ist.“ Viel modisches Talent hat Anna auch von der deutschen Seite der Familie geerbt. Die Mutter war Kostümbildnerin und auch die deutsche Oma lehrte Modetheorie an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, wo auch Anna Hegedűs studierte.
Altes Handwerk bewahren
Das Design der Modelinie Piroshka ist überwiegend von traditioneller ungarischer Volkstracht inspiriert. Dabei bemüht sich die Modeschöpferin authentische Stoffe und Muster zu verwenden, wie zum Beispiel den in der ungarischen Folklore so häufig anzutreffenden Blaudruck der Familie Kovács. Regionales Textilhandwerk zu unterstützen und aufrechtzuerhalten, ist eines der Ziele, das die ungarisch-deutsche Fashiondesignerin mit ihrer Fusion aus moderner und folkloristischer Mode zu erreichen versucht. Sie hofft so auch Anstoß zu einem Dialog der Kulturen zu geben. Dies könnte ihr unter Umständen mehr Erfolg in Berlin als in Budapest bescheren. Der Ethno-Chic findet in Deutschland zahlreich Anhänger. So hat zum Beispiel auch das angesagte junge süddeutsche Label „Blutsgeschwister“ in der Vergangenheit mit Kombinationen aus moderner Urbanität und einer Zeitreise zurück ins deutsche Brauchtum bei seinen Kunden gepunktet. Oder das Münchener Modelabel „Lollipop und Alpenrock“, dass mit seinen Couture-Dirndln für Aufsehen gesorgt hat. Hierzulande werden solche Versuche eher verhalten aufgenommen. Auch Anna Hegedüs spürt, dass sich die Mode des modernen Ungarns eher nach internationalen Trends richtet, statt sich auf die eigenen Wurzeln zu besinnen.
Viele kreative Köpfe unter einem Dach
Eine richtige Designerin braucht natürlich einen Ort für Modeproduktion und künstlerische Selbstinszenierung. Im Heinrich Alkotói Szint, einem Gemeinschaftsatelier, das sie selbst mitbegründete, hat Anna Hegedűs ihr kreatives Nest gefunden. „Ich musste mir damals meine eigene Gemeinschaft schaffen“, erzählt Anna „Als Fremde in andere Ateliers reinzukommen war unmöglich.” Die weiten Räumlichkeiten des ehemaligen Eisenwarenhofes Heinrich Udvar gegenüber dem Museum für Angewandte Kunst, sind ideal für eine Ateliergemeinschaft wie diese. Aus der Not einen Platz für ihre Arbeit zu finden, tat sich die Schöpferin von Piroshka mit anderen jungen Designern zusammen und mietete diese Räume an. Seitdem wächst die Anzahl der Designer, die sich zu diesem Kollektiv hinzugesellen ständig an. Dabei beflügelt sich die Arbeit der jungen Kreativen gegenseitig. „ Wir stecken alle in den gleichen Schuhen. Alle sind mit ihrem kleinen Label noch am Anfang, da tauscht man sich aus und gibt sich gegenseitig Tipps. Wo produziert man, wie verkauft man, wie vermarktet man sich.“. Manchmal schauen auch Kunden, nachdem sie eines der anderen Labels besucht haben noch in meine Räumlichkeiten rein, oder sehen die Bilder meiner Kollektionen an den Wänden“, so die junge Designerin.
Im Designerkostüm zum Traualtar
Ein zweites modegeschäftliches Standbein, das Anna Hegedüs auf einer separaten Webseite vermarktet, sind maßgeschneiderte Kostüme für den großen Tag im Leben zweier Liebender. Dabei ist jedes Stück ein Unikat. Keine vorgefertigten Stücke stehen zur Anprobe bereit. Die Piroshka-Hochzeitsmode wird für jede Kundin oder jeden Kunden individuell auf dem Reißbrett entworfen, angepasst und in Handarbeit gefertigt. Die handwerklich besonders geschickte Modeschöpferin kann dabei auf jede kleine individuelle Abweichung vom Standardmodell eingehen. So wird eine schiefe Schulter, eine ungewöhnliche Körperform oder ein zu kurzes Bein im Nu ausgeglichen. Das Ziel der Piroshka-Hochzeitsmode ist Braut und Bräutigam mit dem passenden Kostüm für ihren großen Auftritt in das bestmögliche Licht zu rücken.

Piroshka-Design: Die Kleider der Marke Piroshka sind noch nicht für die Straße entworfen, dafür aber jedes ein kleines Kunstwerk
Junges Design kurz vor dem Durchbruch
Noch steckt die Marke Piroshka in den Kinderschuhen. Bei Wettbewerben wurde das Label in Budapest schon mit Begeisterung aufgenommen. Der nächste Schritt für Anna ist die rechtliche Begründung ihres Labels. Dann kann die junge Modeschöpferin auch anfangen ihre Entwürfe in Serie zu produzieren und in Läden zum Verkauf zu stellen. Ziel ihrer nächsten Kollektion ist es, die wunderbaren Details, die die urbane Tracht von Piroshka zu so etwas Besonderem machen an die Maßstäbe der industriellen Fertigung anzupassen. Das ein oder andere urbane Rotkäppchen wird dann vielleicht auch durch deutsche Großstadtwälder stolzieren.
Katrin Holtz
Weitere Informationen unter: www.piroshka.hu