
„In dem sich zunehmend verschärfenden Krieg der gegenseitigen Unterstellungen und Beschimpfungen der beiden großen Lager obliegt es der Weisheit des ungarischen Wählers, der einen oder anderen Seite Glauben zu schenken oder sich halt nach Alternativen umzuschauen.“ (Fotos: Nóra Halász)
Vergangenen Sonntag ist Ungarn offiziell in die heiße Phase des Wahlkampfs getreten, die – wie auch unsere aktuelle Titelseite illustriert – ein sehr orangenes, also Fidesz-geprägtes Kräftemessen zu werden verspricht.
Immerhin vollzieht es sich ganz nach Fidesz-Spielregeln: Basierend auf den Ergebnissen in den nach Fidesz-Vorstellungen neu gezogenen Wahlkreisen wird nach dem neuen Fidesz-Wahlgesetz letztlich ein nach Fidesz-Vorstellungen neustrukturiertes Parlament gewählt. Durch unübersichtliche Bewegungen
von Staatsgeldern sowie eine hemmungslose Vereinnahmung staatlicher Medien geht der Fidesz zudem auch in Sachen Finanzen und Medienmacht mit einem gewaltigen Vorteil ins Rennen.
Um auch wirklich nichts anbrennen zu lassen, nimmt der Fidesz sicherheitshalber die Protagonisten des einzigen ernsthaften Herausforderers, der Links-Allianz “Összefogás 2014”, unter gezieltes Einzelfeuer aus allen Rohren. So werden etwa die beiden ehemaligen linken Premiers Gyurcsány und Bajnai sowie Orbáns aktueller Herausforderer Mesterházy schon seit Monaten mittels verschiedener Plakataktionen (derzeit: Clown-Plakat), von der wie auch immer finanzierten regierungsnahen Organisation CÖF („Civil Összefogás Fórum“, „Forum des zivilen Zusammenhalts“) auf Plakatwänden und öffentlichen Verkehrsmitteln verhöhnt.
Die Abendnachrichten des staatlichen TV-Senders m1 haben schon seit Wochen eine spezielle Rubrik, in der jeden Tag im Reportage-Stil und mit endlosen Wiederholungen linke Spitzenpolitiker in ein schlechtes Licht gerückt werden. Nachdem etwa der ehemalige Finanzminister Bokros diese Woche angekündigt hatte, die Links-Allianz unterstützen zu wollen, erschien bereits am Abend desselben Tages ein entsprechender Lehrfilm mit etlichen Filmausschnitten aus der Vergangenheit von Bokros, um auch dem letzten Fernsehzuschauer klarzumachen, was für ein Unhold dieser Bokros eigentlich ist. Der aufsehenerregendste Coup gelang dem Fidesz jedoch unmittelbar vor dem offiziellen Wahlkampfauftakt: Indem er regierungsnahen Medien belastende Informationen zuspielte, gelang es ihm, den zweiten Mann in der Hierarchie der Sozialisten abzuschießen. Wobei sich hier die Dummheit der Sozialisten, einen so leicht angreifbaren Politiker so weit oben zu platzieren beziehungsweise Parteigelder bei einer so prominenten Person zu parken, mit der Entschlossenheit des Fidesz paarte, in der sich abzeichnenden Schlammschlacht mit den härtesten Bandagen zu kämpfen.
Zur derzeitigen Taktik des Fidesz scheint aber auch zu gehören, bei maximalem Druck auf den vorrangigen Gegner, also das linke Wahlbündnis, das Risiko von eigenen Imageverlusten zu minimieren. So hält sich die Partei abgesehen von der verunglückten Aktion mit den Geschichtsreinigungsdenkmal schon seit Monaten mit Aktionen à la “Trafikmutyi” auffallend zurück. Zur Fidesz-Risikovermeidungsstrategie gehört auch, dass es – so wie vor vier Jahren und im Gegensatz zu westlichen Ländern mit entwickelter politischer Kultur – auch diesmal keine Fernsehdebatten der Spitzenkandidaten geben wird; die Stichhaltigkeit eigener Argumente kann halt gefahrloser vor eigenen Sympathisanten als an möglichen Gegenargumenten politischer Gegner getestet werden.

Statt sich Fernsehduelle oder Debatten mit den politischen Gegnern zu liefern, visieren die ungarischen Parteien auch dieses Jahr wieder ausschließlich die eigene Wählerschaft an.
So beharken sich beide Gegner also zwangsläufig nur indirekt über nahestehende Medien – wobei die Linken immerhin mit der Unterstützung eines Großteils der deutschsprachigen Medien rechnen können – und eben über Plakatwände. Klar, dass diese Form des Monologisierens keinerlei vernünftigen Austausch von Argumenten oder gar konkreten Vorstellungen über die Zukunft des Landes zulässt. Stattdessen überhäufen sich beide Seiten – und hier herrscht ausnahmsweise einmal Waffengleichheit, sowohl was das Arsenal betrifft als auch die Bereitschaft, sich dessen zu bedienen – mit übelsten Vorwürfen und Unterstellungen.
Danach würden die Linken nach bekundeter Überzeugung des Fidesz-Lagers sofort nach ihrem Wahlsieg am liebsten alles, was nicht niet- und nagelfest ist, an Ausländer verscherbeln und sich der Einfachheit halber ihre Wirtschaftspolitik gleich ganz von ausländischen Firmen und Organisationen diktieren lassen. Weiterhin versucht der Fidesz den Eindruck zu vermitteln, dass die Schubladen der Linken vor lauter Sparprogrammen überquellen würden, die an die Adresse von Studenten, Familien und Rentnern gerichtet sind.
Die Vertreter der Linken haben es hingegen eher darauf abgesehen, die politische Salonfähigkeit der Orbán-Mannschaft, in erster Linie ihre Demokratiefähigkeit zu untergraben. Gleich danach kommt das ganze Sammelsurium aus Verdächtigungen in Sachen Antisemitismus und generell Rassismus, Horthy-Systemrestaurierung nebst verkappter Jobbik-Sympathie, EU-Feindlichkeit gepaart mit Anbetung östlicher Diktaturen und so weiter. Es vergeht kaum ein Tag, an dem keine westliche Zeitung ungarischen Linken Raum gibt, diese Vorwürfe hoch- und runter zu leiern.
Lediglich in Sachen Veruntreuung von Staatseigentum sind sich beide Seiten einmal ausnahmsweise einig, zumindest wenn es dabei um die jeweils andere Seite geht – der Dieb ist immer der andere. Einigkeit herrscht auch bei der Wirtschaftskompetenz, aber hier natürlich nur, wenn es um die eigene geht – während die andere Seite drauf und dran ist, die Wirtschaft des Landes vor den Baum zu fahren.
In diesem sich zunehmend verschärfenden Krieg der gegenseitigen Unterstellungen und Beschimpfungen obliegt es nun der Weisheit des ungarischen Wählers, der einen oder anderen Seite Glauben zu schenken oder sich halt nach Alternativen umzuschauen. Viel Erfolg dabei!
„So beharken sich beide Gegner also zwangsläufig nur indirekt über nahestehende Medien – wobei die Linken immerhin mit der Unterstützung eines Großteils der deutschsprachigen Medien rechnen können – und eben über Plakatwände. “
Zwei Parteien mit demokratischen Defiziten ! – wobei die westlichen Leser oder Hörer nur mitbekommen können, dass die eine, nämlich Fidesz, kappes ist.
Nur so konnte der Wahlbetrug von 2006 unter den Teppich gekehrt werden. Die „Lügenrede“ von Gyurcsány ist nach wie vor im Westen fast unbekannt und der daraus ableitbare Betrug. Die gesamte EU – und insbesondere Brüssel – haben dabei mitgemacht. Wieso sollte Orbán nach diesen Erfahrungen Lösungen im Westen suchen?
Bei aller Kritik an Orbán – Fidesz Wähler wählen weiterhin Fidesz, denn eine Alternative ist nicht in Sicht. Und weil westlichen Leser oder Hörer die Geschichtsklitterung der jüngeren Vergangenheit nicht kennen oder verstehen, können die MSZP- nahen Medien
nach der Wahl sagen: Es war Orbáns aggressiver Wahlkampf und das neue Wahlgesetz
– und natürlich die Vormachtstellung der Regierung in den staatlichen Medien. Letzteres war unter MSZP/SZDSZ nicht wesentlich anders.
„Und weil westlichen Leser oder Hörer die Geschichtsklitterung der jüngeren Vergangenheit nicht kennen oder verstehen,können die MSZP- nahen Medien
nach der Wahl sagen: Es war Orbáns aggressiver Wahlkampf und das neue Wahlgesetz“
Hier muss ich leider widersprechen:Falls FIDESZ die Wahl gewinnen sollte, kann ich mir heute schon das Geschrei vorstellen, welches durch alle Medien geistern wird und das heisst :“Wahlbetrug“
Man sollte dem Land, in welchem man lebt nichts schlechtes wünschen, jedoch bin ich mittlerweile der Meinung, dass man fast wünschen möchte, die Opposition würde gewinnen.
Das Bokros Paket ist schon gepackt und endlich dürfen dann die wieder im Trüben fischen, die jetzt aber so was von sozial und demokratisch sind, also quasi genau das, was Ungarn braucht .