
Spontaneität im Motiv: Ohne Vorauswahl der Bilder hofft Alexander Schikowski die
Authentizität seiner Bilder erhalten zu können.
Als Alexander Schikowski vor 20 Jahren das erste Mal nach Rumänien und Ungarn reiste, war es die Herzlichkeit, die sich die Menschen dort unter schwierigsten Umständen bewahrten, welche ihn nicht mehr los lassen sollte. Mit Fotografie, Malerei und ‚Aktionskunst‘ setzt sich der Künstler heute gegen Vorurteile und Abgrenzung und für mehr menschliches Miteinander ein. Seit 2006 ist der gebürtige Bamberger in Budapest beheimatet und wünscht sich mit seiner Kunst in der hiesigen Gesellschaft anzusetzen und den kritischen Dialog zu fördern. Leicht ist das nicht immer.
Ein alter Mann mit Blumensträußchen auf einer Parkbank. Eine junge Dame in knallengen Shorts, die ihren Einkauf nach Hause schleppt. Eine Männerrunde beim Schachspielen. Es mögen keine dramaturgischen Meisterwerke sein, die unzähligen Fotoeindrücke, die Alex Schikowski von seinen langen Rumänien- und Ungarnreisen in den neunziger Jahren mit nach Hause nahm und die einige Jahre später für ‚blikkfangos‘ an den Wänden der Kunstakademie in Stuttgart der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Dafür sind sie aber eben genau das, was sie sein sollen: Schnappschüsse, die von Menschsein, Menschlichkeit und alltäglichen Kuriositäten in vergessenen Winkeln der Welt erzählen. Indem er die Momentaufnahme für sich sprechen lässt und keine Vorauswahl über die ausgestellten Bilder traf, versucht er, so gut es geht, eine Objektivität der Darstellung herzustellen und sich als Künstler einer Wertung zu entziehen. Die Authentizität der Aufnahmen soll dem Betrachter so einen Eindruck der einnehmenden Lebensfreude der abgebildeten Menschen inmitten ihrer oft bescheidenen Verhältnisse vermitteln und so einen persönlichen Zugang schaffen zu einem fremden Stückchen Europa.
Einfach und dabei würdevoll, weder exotisiert, noch dämonisiert oder als Opfer stilisiert – durch die Spontanität der Motive hoffte Schikowski auch mit den fotografischen Portraits ungarischer Roma in seiner Budapester Ausstellung ‚I am collecting bricks to build a home‘ von 2013 die Menschen hinter den Stereotypen hervorzubringen und den engen Rahmen etablierter Klischees und Erwartungen zu sprengen. Das nicht inszenierte, wertfreie Bild gewinnt besondere Bedeutung im Zusammenhang mit einem Volk, dessen Instrumentalisierung seit jeher grenzenlos war und an dessen kultureller Identität schon immer viele mitkonstruiert haben, selten gefragt wurden nur die Roma selbst. Die Arbeit des Künstlers Schikowski, so die Kuratorin Timea Junghaus anlässlich der Eröffnung, zeugt von seinem starken Glauben daran, dass ein politischer Kampf auch auf der visuellen Ebene austragen werden könne.
Schikowskis kreatives Schaffen ist breitgefächert, offiziell begonnen hat er seine Künstlerlaufbahn Anfang der neunziger Jahre. Nach dem Studium an den Kunstakademien in Nürtingen, Stuttgart und Nürnberg, zog die Liebe zur Region den Oberfranken vor acht Jahren schließlich in die Donaumetropole, wo er heute als Lehrer an der Thomas Mann Schule Budapest beschäftigt ist. Während die Fotografie früh einen hohen Stellenwert einnahm, ist heute auch die Malerei eines seiner Steckenpferde. Frönen durfte er der Malerei unter anderem 2009, als er als ‚Grafschaftsmaler zu Werthausen‘ eine baden-württembergische Kleinstadt künstlerisch erarbeitete. Besonders wichtig
bei seiner Arbeit ist für den Wahl-Budapester und ‚Stadtforscher‘ der direkte
Kontakt zu den Menschen. Im Rahmen ihrer Aktionsforschung entwickelt er mit der ‚forschungsgruppe f‘ interaktive Kunst im öffentlichen Raum und möchte Kontakte über den Kreis Kunst-affiner Akademiker hinaus möglichmachen.
Bei aller Vielseitigkeit der Mittel, die Ziele von Schikowskis Schaffen bleiben
dieselben, nämlich die Diskussion von Klischees, das Hinterfragen festgefahrener Werte und die Kritik an den etablierten Verhältnissen – ein Ansatz, für den der Künstler in Ungarn nicht überall mit offenen Armen empfangen wird. Unsichtbare Barrieren Im Kontext des ungarischen Kulturkampfes treffen diese Ur-Ansprüche der Kunst auf besondere Hindernisse. Untrennbar miteinander verbunden sind Kunst und Politik immer, in Ungarn folgt die Abhängigkeit ihrer ganz eigenen Logik. Der institutionelle Kunstbetrieb hat seine eigenen Regeln und nicht alle können dem Doppelanspruch genügen, in der Kunst und in persona das zu verkörpern, was offiziell als magyarisch definiert wird.
Und so stößt auch der Bamberger, der politisch aktiv ist und sich insbesondere
für die Integration der Roma einsetzt, im offiziellen Kunstgeschäft auf unsichtbare Barrieren. Zu spüren bekam er das nicht nur 2009, als sein Mahnmal ‚Robert és Robika‘, entworfen anlässlich der Ermordung eines Roma Vaters und seines fünfjährigen Sohnes, nach kurzer öffentlicher Kontroverse seinen geplanten Platz im Heimatdorf der beiden nie einnehmen durfte. Und so ist der Künstler, bei aller Liebe zu Ungarn, auch bedrückt über so manche Entwicklung im Land. Entwicklungen, die sich darin äußern, dass viele Künstlerkollegen das Land verlassen, weil sie hier keine Zukunft mehr für sich sehen. Und die dazu führen, dass kritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik nur noch in der Subkultur stattfinden kann. Das Ungarn von heute sei ein anderes Land als das, welches er 2006 kennengelernt hat, erzählt der Künstler, es ist ein verschlosseneres Land.
Judith Huber
www.redstargate.net
www.forschungsgruppe-f.net