Vier Jahre nach dem triumphalen Einzug der LMP ins Parlament ist der einstige Glanz der Ökopartei verpufft. Die LMP ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst, und sie wird ein Wunder benötigen, um neuerlich den Sprung in die Legislative zu schaffen.
Von Peter Bognar
Das absehbare Scheitern der LMP hat vor allem mit jener politischen Kultur zu tun, deren Veränderung sie in ihren Anfängen auf ihre Fahne geschrieben hat:
Eine andere Politik ist möglich. Die vergangenen vier Jahre haben eindrücklich
bewiesen, dass in Ungarn keine andere Politik möglich ist – noch nicht. Warum? Die politische Kultur des Landes steht nach wie vor im Zeichen einer heillosen Polarisierung, oder mit anderen Worten: einer unversöhnlichen Zweiteilung. Für Parteien, die weder dem rechten noch dem linken Lager zugehören, gibt es im politischen Leben des Landes schlechthin keinen Platz. Sie werden zwischen den Fronten unweigerlich aufgerieben. Die rechtsradikale Partei Jobbik bildet hierbei insofern eine Ausnahme, als sie sich jenseits des Spektrums gemäßigter Politik befindet, so auch ihre Sympathisanten und Wähler.
Lager sind komplett gespalten
Worin sich die – gemäßigte – Linke und Rechte vor unserer aller Augen seit langen Jahren ergehen, ist ein Kampf auf Gedeih und Verderb, der sich zum Leidwesen des Landes auf nahezu alle Lebensbereiche erstreckt. Die Abgrenzung zwischen dem linken und rechten Lager ist geradezu hermetisch,
was selbstredend auch auf das gesellschaftliche Miteinander in Ungarn einen dunklen Schatten wirft. So gibt es in Ungarn praktisch zwei Öffentlichkeiten und damit einher gehend auch zwei Lebenswirklichkeiten.
Während der eine Teil der Wählerschaft ausschließlich jene Medien konsumiert, die der amtierenden nationalkonservativen Regierung von Viktor Orbán gewogen sind, lässt sich der andere Teil ausschließlich von den linken Medien berieseln – die sogenannten Intellektuellen und Meinungsbildner beider Lager sind von dieser selbst auferlegten Gleichschaltung nicht ausgenommen. Ja, sie sind sogar maßgeblich daran beteiligt, die politische Dichotomie im Land zu kultivieren und zu vertiefen.
Wir kennen diese selbstgefälligen Personen allzu gut. Sie sitzen in den Redaktionen der Zeitungen und in den Studios der Rundfunk- und Fernsehanstalten, wo sie gegen das jeweils andere Lager polemisieren – die einen subtiler, die anderen rabiater, je nach Habitus. Denken wir nur an die diversen Journalistenklubs im Fernsehen, die in ihrer politischen Einseitigkeit
und Voreingenommenheit zum Himmel schreien. Das Schlimmste dabei: Diese Personen werden in ihren jeweiligen politischen Lagern als Koryphäen und moralische Instanzen verehrt. Ihre Meinungen gelten für viele als sakrosankt
und werden von vielen denn auch willfährig – und gedankenlos – wiedergekäut.
Was Wunder also, dass die Menschen inmitten einer solchen politischen
Atmosphäre anstatt in einen Dialog zu treten, aneinander vorbeireden, und das zumeist in diffamierendem, gehässigem Ton. Kommt es doch dazu, dass zwei Personen, die politisch unterschiedlicher Gesinnung sind, die Klingen kreuzen, führt das nicht selten zu einem zwischenmenschlichen Bruch – sogar zwischen langjährigen Freunden, ja Verwandten.
Keim der Polarisierung nach Wende gesät
In Bezug auf den Entwicklungsstand Ungarns sprach der Dichter Endre Ady (1877-1919) einst von einem „Fähren-Land”, das zwischen den Ufern des Westens und Ostens hin- und hertreibt und weder hier noch dort dauerhaft
anzulegen vermag. Wenn wir diese Metapher im Hinblick auf das heutige politische Leben in Ungarn gebrauchen, dann können wir weder von Fähren, geschweige denn von Brücken sprechen. Es gibt zwei entfernt voneinander liegende – politische – Ufer, die von einem reißenden Strom getrennt sind, der heute schier unüberbrückbar scheint. Der Keim für die radikale Polarisierung
der ungarischen Politik wurde mutmaßlich schon kurz nach der Wende in Form der sogenannten Demokratischen Charta (1991) gelegt, hinter der der inzwischen in der Versenkung verschwundene linksliberale Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) und ihr nahe stehende Intellektuelle die treibende Kraft waren. Der SZDSZ befürchtete damals, dass die konservative Regierung von József Antall am Aufbau eines autoritären Systems mit scheindemokratischen
Elementen werke.
Gräben haben sich in den Nullerjahren weiter vertieft
Die Infragestellung der demokratischen Gesinnung des konservativen Lagers wurde während der ersten Regierungszeit von Viktor Orbán, das heißt, im Zeitraum 1998 bis 2002, von der Linken unbeirrt fortgesetzt. Dies führte dazu, dass die politischen Gräben sich weiter vertieften. Nach den Parlamentswahlen 2002, als der damalige Wahlverlierer Viktor Orbán aus nachvollziehbaren Gründen daran ging, die Kohäsion im rechten Lager zu stärken – indem er etwa die sogenannten Bürgerkreise ins Leben rief –, nahm die politische Polarisierung an Intensität und Schärfe noch weiter zu.
Wandel nur durch neue Generation möglich
Der Höhepunkt der feindseligen Zweiteilung der ungarischen Politik wurde aber vermutlich nach Bekanntwerden von Ferenc Gyurcsánys berühmt-berüchtigter Őszöd-Rede (September 2006) erreicht, als die politischen Emotionen hochkochten und eine bürgerkriegsähnliche Stimmung das Land ergriff. Die heutige Verteufelung der zweiten Regierung Orbán durch die Linke ist da nur eine logische Folge. Ungarn befindet sich also buchstäblich in einem Teufelskreis.
Freilich, den Hauptanteil an der extremen Polarisierung der ungarischen Politik tragen die Politiker selbst, sind sie doch gewissermaßen Gefangene einer
politischen Logik, die sich aus den spezifischen Gegebenheiten Ungarns speist. Aus dieser Logik beziehungsweise diesem Mechanismus scheint es vorerst keinen Ausweg zu geben. Der Grund: Noch geben jene Politiker sowie jene Kommentatoren und Intellektuellen den Ton an, die maßgeblich daran beteiligt waren, dass die ungarische Politik und die politische Kultur des Landes heute dort stehen, wo sie stehen. Handfeste Veränderungen sind wohl erst von einer neuen Politikergeneration zu erwarten, die das Rüstzeug und nicht zuletzt den Mumm haben wird, aus diesem destruktiven Freund-Feind-Schema auszubrechen.
Zum Abschluss noch ein Satz zur LMP: Wenngleich sie bei der Parlamentswahl
im April scheitern dürfte, ist der Partei gleichwohl hoch anzurechnen, dass sie zumindest den Versuch unternommen hat, eine andere Politik vorzuleben.