
LMP-Vorsitzende Bernadett Szél: „Wir nennen dieses Bündnis (Mesterházy-Bajnai-Gyurcsány, Anm.) nur „Gemeinsam 2006“, das ist dieselbe Gruppe von Personen wie damals.“
Wir sprachen mit der Parteivorsitzenden Bernadett Szél über die Notwendigkeit einer Partei jenseits des Rechts-links-Schemas, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die anstehende Parlamentswahl.
Am 26. Februar feiert die Partei Lehet Más a Politika (Deutsch: Eine andere Politik ist möglich), kurz LMP ihr fünfjähriges Bestehen. Die aus Nichtregierungsorganisationen hervorgegangene grün-liberale Partei hatte bei ihren ersten Parlamentswahlen 2010 aus dem Stand 7,44 % der Stimmen erzielt und erreichte damit den Einzug ins Parlament. Die Ambitionen der jungen Partei sind keine geringeren als: Korruption zu bekämpfen, politische Transparenz zu fördern und die Ideologien zu überwinden, die Land und Leute bisher in zwei Lager teilen. Neben der Erneuerung des politischen Systems will LMP als grüne Partei Ungarn energie- und umweltpolitisch in ein neues Zeitalter der Nachhaltigkeit führen. Doch nach vier Jahren auf der Oppositionsbank scheint der Wiedereinzug der Partei fragwürdig.
Wo liegen die Wurzeln Ihrer Partei?
Szél Bernadett: Die LMP wurde ursprünglich gegründet, um grünen bürgerlichen Bewegungen eine Stimme im Parlament zu verleihen. So setzen wir uns für die Schaffung grüner Arbeitsplätze ein und streben den Ausbau der erneuerbaren Energien in Ungarn an. Das macht auch unser Standpunkt zum Ausbau des AKW Paks deutlich, dem wir ablehnend gegenüberstehen. Aber natürlich gibt es da noch einen zweiten Aspekt, der der in zwei Lager geteilten ungarischen Gesellschaft geschuldet ist. Wir möchten eine Plattform für all jene bieten, die die alten politischen Reflexe überwinden wollen, die noch aus dem vorigen Jahrhundert herrühren. Denn die Herausforderungen, die wir heute zu meistern haben, sind andere als die im letzten Jahrhundert.
Wie genau sehen Ihre Pläne zur Schaffung von Arbeitsplätzen aus?
Im Gegensatz zu Viktor Orbán versprechen wir nicht, eine Million Arbeitsplätze innerhalb von 10 Jahren zu schaffen. Stattdessen haben wird ein Programm entworfen, das darauf abzielt, von Jahr zu Jahr mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir nennen dieses Programm „Initiative für grüne Arbeitsplätze“, das wir noch in diesem Monat der Presse vorstellen werden. Dabei sind uns drei Punkte wichtig: Die Initiative konzentriert sich auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Dies ist nicht nur ein wichtiger Schritt in eine nachhaltige Zukunft, sondern bringt Ungarn auch einer Energieunabhängigkeit beziehungsweise -souveränität näher, die ja heute in den Medien so oft diskutiert wird. Ein weiterer Punkt ist die Energieineffizienz unseres Landes. Die meisten Wohnhäuser in Ungarn wurden vor langer Zeit gebaut und haben kaum oder gar keine Isolierung. Wir heizen quasi mit russischem Gas die Straßen. Das wiederum führt zu hohen Nebenkosten für die Bürger. Mit der gesetzlichen Wohnnebenkostensenkung (“rezsicsökkentés”; Anm.) zieht die Regierung die Bürger über den Tisch. Wir schlagen vor, die Isolierung der Gebäude mit EU-Fördermitteln zu finanzieren. Damit könnten wir noch im ersten Jahr rund 100.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Unser letzter Punkt besteht in der Entwicklung der regionalen und lokalen Wirtschaft. Wir müssen uns davon abrücken, zum Vorteil des ausländischen Kapitals nur Unternehmen zu fördern, die sich mit der Montage einzelner Teile beschäftigen und deren Angestellte beliebig austauschbar sind. Wie Prof. Péter Róna betont, ist es für Ungarn wichtig, eigene Werte und vollständige Produkte zu schaffen.
In den vergangenen Jahren sind in Ungarn vermehrt EU-kritische Stimmen
laut geworden. Denken wir nur an Slogans wie: „Wir sind keine Kolonie“. Wie positioniert sich die LMP gegenüber der Europäischen Union?
Kurz nach der Gründung unserer Partei sind wir der Fraktion der Grünen im Europaparlament beigetreten. Und bringen uns hier auch mit unseren Bedenken, Ideen und Vorschlägen ein. Wir sehen in der EU eine großartige Chance für Ungarn. Doch muss sich auch die Union einigen Reformen unterziehen, um tatsächlich im Interesse der gesamteuropäischen Bevölkerung handeln zu können. Insbesondere muss eine Abspaltung und Distanzierung der Kernländer von der Peripherie verhindert werden, denn nur wenn wir geeint agieren, sind wir fähig, die Probleme des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.
Wie Sie zuvor gesagt haben, fühlt sich die LMP weder dem linken noch dem rechten politischen Lager zugehörig. Damit stehen Sie, was mögliche Koalitionen angeht, allein auf weiter Flur. Sehen Sie irgendwo Chancen und Schnittpunkte für Kooperationen? Zum Beispiel mit der Partei 4K?
Es gibt zur Zeit keine Partei, mit der wir uns eine Koalition oder eine Wahlallianz vorstellen könnten. Was die Partei 4K! angeht, sind wir in Sachen Systemkritik und Anti-Korruption einer Meinung. In anderen Punkten gibt es aber Differenzen. Unsere Werte und unsere Aufstellung als Partei sind hierzulande einmalig. Ich glaube daran, dass unsere wichtigsten Verbündeten die Bürger sind. Die alte politische Elite hat erreicht, dass die Leute heute Politik-verdrossen sind. Sie sind all der Lügen müde, sie sind aber auch der heillosen Polarisierung der hiesigen Politik müde. In diesem Sinn sind wir also ganz und gar nicht allein, sondern haben viele Menschen hinter uns, die uns unterstützen.
Wie bewerten Sie die Bildung einer Wahlallianz im linken Lager?
Um mich kurz zu halten: Wir nennen dieses Bündnis „Gemeinsam 2006“,
denn das ist dieselbe Gruppe von Personen, die Ungarn seinerzeit in die
Krise geführt hat.
Allerdings könnte diese Wahlallianz der LMP viele potentielle Wähler abspenstig machen. Laut Meinungsumfragen liegt Ihre Partei bei drei Prozent. Bereuen Sie es nicht, die Chance verspielt zu haben, die moderate Linke unter ihrem eigenen Schirm zu vereinigen?
Wir bereuen nichts. Lange Zeit hatte sich die Partei in parteiinterne Kämpfe
verstrickt, ehe uns ein Teil unserer Mitglieder verließ, um sich der linken Allianz anzuschließen (“Dialog für Ungarn”; Anm.). Wir werden weiter unverdrossen an jenem Kurs festhalten, auf den wir uns verständigt haben (dieselbe Distanz zur Linken wie zur Rechten; Anm.). Wir machen unseren Kurs nicht von Meinungsumfragen abhängig, sondern machen Politik entsprechend unserer Ideen und Moralvorstellungen.
Denken Sie nicht, dass die parteiinternen Rangeleien der vergangenen Monate Ihre potentiellen Wähler verunsichert haben?
Die Auseinandersetzungen datieren auf die Zeit vor der Abspaltung der Plattform “Dialog für Ungarn” zurück. Seitdem haben wir unser Netzwerk neu aufgebaut und unsere interne Organisation umstrukturiert. Wir sind bereit für den Wahlkampf. Alle Probleme liegen hinter uns.
Experten verweisen darauf, dass das neue Wahlgesetz großen Volksparteien
wie dem Fidesz zugute kommt. Wie sehen Sie die Chancen kleiner Parteien wie der LMP?
Es wird kleine Parteien ungerechterweise benachteiligen. Deshalb haben wir schon damals, als das Gesetz im Parlament diskutiert wurde, unsere Ablehnung ausgedrückt. Wir haben alles unternommen, um dieses Wahlgesetz zu verhindern – leider erfolglos. Jetzt müssen wir eben das Beste daraus machen. Ich denke, dass Parteien, die für ihre Ideale konsequent einstehen, die Menschen immer erreichen werden. Daran glauben wir.
Und glauben Sie auch daran, dass LMP den großen Erfolg von 2010 wiederholen kann?
Ich wünsche mir einen noch größeren Erfolg als jenen im Jahr 2010. Allerdings
wäre unter den gegebenen Umständen auch dasselbe Ergebnis wie 2010 ein Erfolg. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Die LMP hat in der vergangenen Legislaturperiode bewiesen, dass sie sich keiner Seite beugt. Ungarn braucht eine Partei im Parlament, die jene Leute vertritt, die einfach ein normales, aber gerechtes Leben führen wollen; Leute, die arbeiten wollen oder die, wenn sie nicht arbeiten können, die Sicherheit haben wollen, dass die Gesellschaft sie nicht abschreibt. Kurz: Ungarn braucht die LMP, und wenn die Wähler uns ihr Vertrauen schenken, werden wir alles daran setzen, um zu beweisen, dass wir es verdient haben.
Das Gespräch führte
Katrin Holtz
Lesen Sie hier einen Kommentar unseres Redakteurs zu dem Thema.