Der Skandal scheint perfekt: Am gestrigen Sonntag hielt der Verband der jüdischen Gemeinden Ungarns (MAZSIHISZ) eine Vollversammlung ab, bei dem der Boykott sämtlicher offizieller Veranstaltungen im Holocaust-Gedenkjahr wegen dem umstrittenen Denkmalsentwurf, der geplanten Gedenkstätte „Haus der Schicksale“ und problematischen Äußerungen von Sándor Szakály, dem Leiter des staatlichen Veritas-Institutes beschlossen wurde.
Der Verband hatte vorab vom verantwortlichen Amt des Ministerpräsidenten den Stopp des geplanten und umstrittenen “Besatzungsdenkmals” auf dem Szabadság tér im V. Bezirk und des “Haus der Schicksale” am Josefstädter Bahnhof im VIII. Bezirk gefordert, ferner müsse der Leiter des historischen Veritas-Instituts, Sándor Szakály, wegen seiner Bewertung der Deportationen von mehreren tausend Juden nach Kamenez-Podolsk durch die damalige ungarische Regierung im Jahr 1941 (die Juden wurden dort anschließend von deutschen SS-Angehörigen ermordet) als “fremdenpolizeiliche Aktion” abberufen werden. Mit 76 Ja- zu 2 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen beschloss die Vollversammlung, die bisherigen Anstrengungen der Regierung zur Klärung dieser kritischen Punkte als „ungenügend“ zu werten.
Der MAZSIHISZ-Vorsitzende András Heisler teilte mit, man erwarte Vorschläge der Regierung für das weitere Procedere. Bis dahin werde man den Veranstaltungen fernbleiben. Der ungarische Dachverband habe bei seinem Standpunkt die volle Unterstützung des Jüdischen Weltkongresses, so der Verbandsvorstand. Als Begründung für den Boykott führte er an, dass das geplante Besatzungsdenkmal die Argumente und Gefühle der Holocaust-Opfer nicht beachte, „unter diesen Umständen wird der MAZSIHISZ den durch die Regierung organisierten öffentlichen Veranstaltungen des Holocaust-Gedenkjahres fernbleiben“, verkündete Heisler. Man gebe in den drei geforderten Punkten nicht nach, warte aber auf Vorschläge der Regierung, der Boykottbeschloss sei kein endgültiger.
Bereits zuvor hatten einzelne jüdische Gemeinden aus Protest gegen die Erinnerungspolitik der Regierung die Kooperation verweigert. Premier Viktor Orbán will in dieser Woche an den Gesprächen am “Runden Tisch” mit den jüdischen Gemeinden Ungarns teilnehmen und auf “offene Fragen” antworten. Warum er sich nicht vor der Vollversammlung und dem geplanten Boykott zu dem Thema äußerte, ist nicht bekannt.
Daniel Hirsch