Eine denkwürdige Kehrtwende beim geplanten Mahnmal anlässlich der deutschen Besetzung Budapests 1944: Wie ungarische Medien am Dienstag berichteten, werde das Projekt zum Bau des umstrittenen Denkmals vorerst auf Eis gelegt. Hinter der Entscheidung soll Premier Viktor Orbán persönlich stehen.
Das geplante Monument hatte augenblicklich nach Bekanntwerden des Entwurfs Kritik von allen Seiten ausgelöst (wir berichteten). Nicht nur der Projektverlauf an sich – keinerlei öffentliche Debatte oder Ausschreibung, ein eiliger Beschluss am letzten Tag des Jahres 2013, der es als „volkswirtschaftlich bedeutend“ erklärte und so mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausstattete, ein voraussehbar kaum haltbarer Einweihungstermin – wurde moniert, sondern vor allem das Design an sich. Dieses transportiere laut seinen Kritikern, zu denen sowohl ungarische als auch internationale Historiker gehören, ein gelinde gesagt „problematisches Geschichtsbild“.
Architekt Péter Párkányi baute nämlich in seinen Entwurf unter anderem einen großen, schwarzen Reichsadler ein, der sich „von oben herab“ auf ein lädiertes Abbild des Erzengel Gabriel setzt. Der Adler soll dabei für die „gewaltsam“, „aggressive“ Okkupation Ungarns durch Nazi-Deutschland stehen, Gabriel für das „schutzlose“ Ungarn, das sich „aufopfere, vielleicht sogar einen Neuanfang wagt“, wie es wörtlich in der Werkbeschreibung des Künstlers in den offiziellen Projektdokumenten heißt. Dieses Geschichtsbild hatte Entsetzen und Kritik ausgelöst, da als historisch gesichertes Faktum gilt, dass Ungarn seine Besatzer vielmehr mit offenen Armen und freundlich empfangen hatte, denn erbitterten Widerstand zu leisten oder eine Opferrolle einzunehmen. In diesem Zusammenhang ist auch der Absatz im Grundgesetz zu sehen, der festhält, dass Ungarn 1944 mit dem Einmarsch der deutschen Truppen seine Souveränität verlor – was signalisieren soll, dass man sich für nichts verantwortlich fühlt, was ab 1944 in Ungarn geschah.
Breiter, internationaler Protest
Dieser Versuch der Geschichtsklitterung findet in den Augen vieler seine Fortsetzung im Denkmalsentwurf: Das „böse“ Nazi-Deutschland „überfällt“ das „friedliche“ Ungarn, und zwingt ihm die Deportation seiner jüdischen Landsleute auf. Wobei ebenso als historische Tatsache gilt, dass der ungarische Reichsverweser und Hitler-Verbündete Miklós Horthy bereits 1920 erste antijüdische (Universitäts-)Gesetze erließ und dass bereits 1941 erste Deportationen von Juden aus Ungarn Richtung der heutigen Ukraine erfolgten – ohne dass eine „äußere Macht“, wie es der offizielle Standpunkt der ungarischen Regierung formuliert, auch nur eines von beiden befohlen hätte.
Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte die Regierung ein solches Geschichtsbild und einen solchen Entwurf gar nicht präsentieren können: Ist doch 2014 anlässlich des 70. Jahrestages der Shoa das von ihr selbst ins Leben gerufene Holocaust-Gedenkjahr. So unterschrieben etliche Experten eine Petition gegen das Denkmal, sagten ihre Teilnahme an einer Konferenz und Gedenksitzung zur offiziellen Eröffnung des Gedenkjahres im Holocaust-Gedenkzentrum ab, einer von ihnen (Randolph L. Braham) gab sogar seinen ungarischen Verdienstorden zurück. Am Ende der zugehörigen Pressekonferenz kam es im Gedenkzentrum zum Eklat, als ein junger Künstler auf der Bühne lauthals vom Versuch der Abwälzung der Verantwortung auf Nazi-Deutschland sprach und die ungarische Regierung dazu aufforderte, „Farbe zu bekennen“ (unseren Bericht dazu finden Sie hier). Der Kritik hatten sich zuvor jüdische Verbände und selbstverständlich die politische Opposition angeschlossen, auch die Deutsche Botschaft Budapest meldete mit leichter Kritik zu Wort.
Orbán befürchtete Boykott des MAZSIHISZ
Bisher hatte sich Premier Orbán wenig einsichtig gezeigt und etwa in einem offenen Brief an den Verband Jüdischer Gemeinden in Ungarn (MAZSIHISZ), der das Denkmalsprojekt scharf kritisiert hatte, den Entwurf verteidigt. Das Denkmal sei „eine Verneigung vor den Opfern” der Besetzung durch Hitlerdeutschland, hieß es in Orbáns Brief wörtlich, zudem eine Frage der Menschlichkeit und nicht eine der Parteipolitik. Der einflussreiche MAZSIHISZ hatte daraufhin mit einem Boykott aller Veranstaltungen des Holocaust-Gedenkjahres gedroht, was für die ungarische Regierung sehr unangenehm hätte ausgehen können, da wegen dem Gedenkjahr sowieso bereits die Augen aller Welt auf das Magyarenland gerichtet sind und sich der Premier keinen Streit mit den jüdischen Verbänden leisten kann. Auf einer Vollversammlung am kommenden Sonntag wollte der MAZSIHISZ seine endgültige Entscheidung abstimmen, mit dem überraschenden Schritt scheint ihnen nun jedoch die Regierung den Wind aus den Segeln genommen zu haben.
Laut dem Népszabadság-Bericht habe Orbán einerseits einen Boykott des Holocaust-Gedenkjahres durch den MAZSIHISZ befürchtet – hatte er sich doch in der Vergangenheit oft als deren Vertrauter präsentiert, der etwa antisemitische Äußerungen unter gesetzliche Strafe stellen ließ. Für Donnerstag diese Woche waren die Verbandsvertreter bereits seit Januar durch den Staatsekretär im Amt des Ministerpräsidenten, János Lázár zu einem Gespräch am Runden Tisch über „die die jüdischen Gemeinden Ungarns beschäftigenden Fragen“ geladen. Was dort genau besprochen wird, ist nicht bekannt, mehrere Medien berichten aber von dem Aufschub des Denkmalprojektes als eines der Themen. Heti Válasz mutmaßte sogar, dass einzig durch die interne Bekanntgabe dieses Sitzungspunktes die Entscheidung am heutigen Tage heraussickern konnte.
Erst Tags zuvor Baugenehmigung erteilt
Zudem soll der Ministerpräsident eingesehen haben, dass das Mahnmal zum angestrebten Termin (19. März, der 70. Jahrestag der Besetzung Budapests durch Hitlerdeutschland) gar nicht fertig gestellt werden kann. Daher sei vor den am 6. April anstehenden Wahlen von dem Projekt abzusehen, hieß es in dem Népszabadság-Bericht. Hierüber soll auch bereits Antal Rogán, Bürgermeister des V. Bezirks, auf dessen Freiheitsplatz das Denkmal entstehen sollte, offiziell in Kenntnis gesetzt worden sein. Dessen Bauamt hatte zwar bereits zuvor seine zu erwartende Zustimmung geäußert, aber erst am gestrigen Montag die offizielle Erlaubnis zum Bau des Denkmals erteilt (das entsprechende Dokument liegt unserer Redaktion vor).
Als erste Reaktion meldete sich die Ungarische Liberale Partei des früheren Ministers Gábor Fodor zu Wort. Man nehme „beruhigt zur Kenntnis, dass die Regierung von der Aufstellung des geschichtsverfälschenden, sämtliche Verantwortung auf Deutschland abschiebenden Denkmal absieht, auch wenn dies laut Medienberichten nur vorübergehend der Fall ist“, heißt es in einer Pressemitteilung. Orbán habe mal wieder bewiesen, dass er statt auf gesellschaftlichen Konsens, lieber auf allein von ihm selbst getroffene Entscheidungen vertraue, doch diesmal habe er das „Wahrheits- und Verantwortungsbewusstsein der ungarischen Bürger nicht hereinlegen können.“
Daniel Hirsch
Update:
Wenige Minuten, nachdem unser Beitrag online ging, gab die staatliche Nachrichtenagentur MTI eine Meldung von einer Pressekonferenz von Antal Rogán heraus. Auf dieser dementierte der Fidesz-Fraktionsvorsitzende und Bürgermeister des V. Bezirks den Népszabadság-Bericht: „Von so etwas [einer Verschiebung der Denkmalseinweihung] war in keinster Form die Rede.“ Er habe keine entsprechende Mitteilung erhalten, so Rogán, der Artikel sei nicht fundiert, jemand habe entweder das Blatt in die Irre geführt oder der Artikel sei auf Bestellung entstanden, um vom aktuellen Thema um den Ausbau des Kernkraftwerks Paks abzulenken. Auf Nachfrage der Agentur, ob denn das Mahnmal wie geplant am 19. März offiziell eingeweiht werde, antwortete er: „Ich weiß nichts von irgendwelchen Änderungen.“