Jenseits von rechts und links gibt es seit letztem August mit der Volkspartei Gemeinschaft für gesellschaftliche Gerechtigkeit (KTI) eine neue Partei. Sie möchte nichts Geringeres, als die von Fidesz und MSZP inszenierte bipolare Parteienlandschaft Ungarns aufbrechen, um endlich im Interesse Ungarns ein vernünftigeres Miteinander zu schaffen. Die KTI-Vorsitzende sowie langjährige MSZP-Spitzenpolitikerin und Parlamentspräsidentin Katalin Szili erzählt uns, wie sie das erreichen möchte.
Wie kam es zum Bruch mit Ihrer ehemaligen Partei MSZP?
Im Jahr 2009, als ich noch Parlamentspräsidentin war, spürte ich immer mehr, dass die Linke nicht den Erwartungen ihrer Wähler und den gesellschaftlichen Wünschen entspricht. Dieser Prozess begann bereits 2006. Ich denke hier aber nicht nur an die Ösződer Rede, sondern auch an die soziale Volksabstimmung, in deren Folge Gesetze zurückgezogen werden mussten. Schon damals hatte ich wiederholt angemahnt, dass sich unsere Partei stärker nach links orientieren sollte.
Was war es konkret, was Sie in Ihrer Partei vermissten?
Soziale Sensibilität. Weiterhin bemängelte ich, dass es versäumt wurde, die Privatisierungsverträge einer Revision zu unterwerfen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Es ging mir nicht darum, sie rückgängig zu machen. Bei den Arbeitsplatzzusagen und anderen eingegangenen Verpflichtungen lohnte es aber, einmal genauer hinzusehen. Noch vor der Krise schlug ich all das vor. Im Frühjahr 2007 meldete ich mich etwa mit dem Artikel „Wagen wir es, links zu sein!“ zu Wort. Außerdem schlug ich eine neue Übereinkunft mit den Multis vor. Jedoch nicht auf die diktatorische Art, wie es jetzt der Fidesz macht, sondern indem wir uns gemeinsam hinsetzen und überlegen, wie jeder seinen Teil leisten kann.
Wie ging es mit Ihnen und Ihrer ehemaligen Partei weiter?
Auf dem Parteitag der Sozialisten im Juli 2009 schlug ich erneut vor, uns vor den Wahlen stärker nach links auszurichten und eine Ära abzuschließen. Wenn die alten verbrauchten Gesichter einen Schritt nach hinten getreten wären, hätten wir eine Zweidrittelmehrheit des Fidesz verhindern können. Aber nicht einmal mein Rücktritt als Parlamentspräsidentin leitete einen kathartischen Prozess ein. Ich sagte der Parteiführung damals: „Wenn das kein anderer macht, dann nehme ich mich der brachliegenden Themen an.“ Und so gründeten wir innerhalb der Partei zunächst die Plattform „Verband für die Zukunft“. Als im Dezember die Listenplätze vergeben wurden, wollte ich nicht mehr auf die Landesliste gesetzt werden. Ich hoffte aber immer noch darauf, dass es der Partei nach den Wahlen gelingen würde, mit sich ins Reine zu kommen und von Erneuerung nicht nur zu sprechen. Das geschah aber nicht, deshalb wartete ich 2010 noch die Kommunalwahlen ab und trat danach zusammen mit einigen sozialistischen Mitstreitern aus der Partei aus. Auf der Grundlage der Plattform schufen wir die Partei „Soziale Union“.
Wie wollen Sie sich damit von Ihrer einstigen politischen Heimstätte abheben?
Etwa, indem wir uns von sozialer Sensibilität leiten lassen, uns außerdem aber auch fest zur ungarischen Nation bekennen. Unverzüglich machten wir uns an die Ausarbeitung eines entsprechenden Programms. Davon ausgehend waren wir am 15. März 2012 auch die einzigen, die einen alternativen Vorschlag für eine Verfassung präsentieren konnten. Entsprechend unseres Programms formulierten wir darin verschiedene staatsbürgerliche Grundrechte und unterfütterten sie mit einer staatlichen Garantieübernahme. Enthalten war unter anderem das Recht auf Arbeit und Wohnraum, im Fall der Devisenkreditnehmer sehen wir jetzt, wie groß das Bedürfnis danach ist. Gleichzeitig hatten wir uns für die Schaffung eines Zweikammernparlamentes ausgesprochen. Leider wurden unsere Vorschläge jedoch nicht in die Diskussion miteinbezogen. Deshalb habe ich mich dann auch der Abstimmung über das neue Grundgesetz enthalten.
Warum erachten Sie die Schaffung einer zweiten Kammer als notwendig?
Damit könnte die heute von Hass geprägte politische Kultur wirksam befriedet und ein gesellschaftlicher Dialog angestoßen werden. In der zweiten Kammer würden zivile Organisationen, Kirchen, Interessenvertretungen, öffentlichen Institutionen, Vertretungen von Auslandsungarn, aber auch der nationalen Minderheiten eine ständige Kontrolle über die andere Kammer ausüben. Ich bedaure es sehr, dass es die gegenwärtige Zweidrittelmehrheit versäumt hat, diesen Schritt zu gehen. So ist die Gesellschaft weiterhin dem Gutdünken der Parteien ausgeliefert. Ich denke hier daran, dass es der Regierung nach wie vor frei steht, ob sie sich mit der Gesellschaft auf einen Dialog einlässt. Ich glaube nicht, dass man die scharfe Polarisierung auf eine andere Weise auflockern könnte. Die Gesellschaft ist viel differenzierter als das Bild, das die politische Palette bietet. In unserem Land gibt es nicht nur Fidesz- und MSZP-Anhänger, hier gibt es auch viele Menschen, die christlich-sozialen Werten anhängen, es gibt weiterhin zahlreiche Befürworter eines sachlichen politischen Dialogs, und es gibt auch Menschen, denen soziale Sensibilität immer noch wichtig ist, im Gegensatz zu jenen “Linken”, die in einen neoliberalen Umhang gehüllt ist. Deshalb würde ich mich darüber freuen, wenn mehr Parteien den Einzug ins Parlament schaffen würden. Das würde helfen, die Bipolarität des ungarischen Parteiensystems zu durchbrechen und die Vielfarbigkeit der Gesellschaft besser abzubilden. Der Entwicklungsstand einer Demokratie wird genau dadurch zum Ausdruck gebracht. Das würde auch wohl den Radikalismus und Extremismus aus der Parteienstruktur zurückdrängen. Es darf nicht nur Parteien geben, welche die sozial Unzufriedenen in die Arme der Extremisten treiben, sondern auch gemäßigte, die diese selbst absorbieren und die Lösung nicht im Radikalismus und in einer Law and Order-Politik sehen, sondern in einem dialogfähigen, differenzierten Parteiensystem, das der Gesellschaft dient. Jeder, der in der Bipolarität die Lösung für die Probleme der Gesellschaft sieht, gießt Wasser auf die Mühlen des Radikalismus. Das wollen wir verhindern. Verantwortungsvolle Politiker sind diejenigen, die klar zu erkennen geben, dass entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft auch die parteipolitische Angebotspalette differenziert sein muss.
Sie bringen das klassische Rechts-Links-Schema gehörig durcheinander!
In Ungarn wird ganz anders darüber gedacht, was etwa links bedeutet. Hier herrschen noch viele Klischees, etwa, dass die Vertretung der ungarischen Nation nur von der Rechten entsprechend wahrgenommen werden kann. Für mich ist es immer sehr interessant, dass bei einem Deutschen, einem Griechen oder einem Franzosen unvorstellbar ist, dass nur die Rechten für die Nation einstehen und die Linken nicht. Oder dass nur die Linke sozial sensibel sein kann und die Rechte nicht. Ich denke, dass diese Wertewelt, die heute in Ungarn in Erscheinung tritt, veraltet ist. Sie entspricht dem Denken des vergangenen Jahrhunderts. So kann man aber kein Land aufbauen. Ein solcher Aufbau ist nicht eine Frage von rechts oder links, sondern vielmehr, wer welche Prioritäten für wichtig hält. Wir haben keine ideologische Partei geschaffen. Unsere Identität beruht darauf, dass wir gleichzeitig treu gegenüber der Nation und sozial sensibel sind. Wir glauben daran, dass in Ungarn ein neues europäisches Bürgertum geschaffen werden muss. 25 Jahre nach der Wende halte ich es für eine Sackgassenpolitik, die Gesellschaft in ein rechtes und ein linkes Lager zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen. Das bringt doch nichts!
Trotzdem wird dieses Schauspiel von den beiden großen Lagern weiter leidenschaftlich inszeniert, weite Teile der Bevölkerung machen in diesem Stück als Statisten bereitwillig mit.
Beide Seiten haben sich mindestens zwei Zyklen vorgestellt, beide Seiten hatten schon einmal eine Zweidrittelmehrheit. Und jetzt steht das Land da, wo es steht. Deshalb vertraue ich auf die Weisheit der Wähler. Es ist notwendig, diese Starre aufzubrechen und die politische Palette entsprechend der gesellschaftlichen Realität auszudifferenzieren. Heute sind beide politischen Kräfte in ihrem Ringen einander viel ähnlicher als sie zugeben würden. Deshalb haben wir die Soziale Union geschaffen. Im August vergangenen Jahres haben wir dann mit 25 Zivilorganisationen die Volkspartei „Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit“ (KTI) gegründet. In 106 Wahlkreisen schicken wir eigene Kandidaten ins Rennen. Ich hoffe, dass wir im Februar unsere Parteiliste fertig haben. Dabei ist es nicht wesentlich, wer auf welchem Listenplatz steht. Unsere Kandidaten rekrutieren sich nicht aus den Kreisen der politischen Elite, sondern sind Menschen aus Fleisch und Blut, die in ihrem eigenen gesellschaftlichen Umfeld anerkannt sind und die die Alltagssorgen der ganz normalen Menschen gut kennen. Wir sind von einem Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft angetrieben, das es in Westeuropa schon lange gibt. Davon ist Ungarn leider noch weit entfernt. Wer in Ungarn heute einer gewissen politischen Kraft einen Treueeid leistet, der wird von der jeweils anderen politischen Seite scheel angesehen und distanziert behandelt. Die Treue gegenüber einer politischen Partei wird höher bewertet als die Leistungen und die Leistungsfähigkeit einer konkreten Person gegenüber der Gesellschaft. Ungarn verfügt aber nicht über so viel gute Köpfe, um sich alle vier Jahre ein Köpferollen leisten zu können.
Hat Ihre Partei außer Ihnen selbst derzeit noch weitere Abgeordnete im Parlament?
Der Abgeordnete Gábor Ivády hat sich uns angeschlossen. Wir sind im Parlament also zu zweit. Vor Kurzem hat sich uns auch die Vereinigung Bankcsapda angeschlossen, hinter der eine starke zivile Kraft steht. Über unser ziviles Netz möchten wir unseren neuen Stil und unsere positiven Botschaften in die Gesellschaft tragen. Wir wollen nicht daraus politisches Kapital schlagen, indem wir andere politische Kräfte diskreditieren, sondern durch unsere eigenen positiven Botschaften auf uns aufmerksam machen. Wenn nur die beiden großen politischen Kräfte und die Radikalen ins Parlament einziehen, dann ist im neuen Parlament, das sich nur noch aus 200 Abgeordneten zusammensetzen wird, die Kontrolle der Führung des Landes leider genau jenen politischen Kräften überlassen, die das Land hierher geführt haben.
Welche Chancen rechnen Sie sich bei der Parlamentswahl aus? Wäre es zusammen mit einer anderen Kraft nicht leichter?
Wenn wir uns irgendeiner Kraft anschließen würden, dann würden wir den jetzigen Zustand weiter zementieren. Man darf nicht unterschätzen, in Ungarn gibt es sehr viele Wähler, die weder dem einen noch dem anderen großen Lager gerne ihre Stimme geben würden. Viele sind auch von der linken Wahlallianz enttäuscht. Diese ist wie eine Zeitreise zurück und wird nur dazu beitragen, dass die jetzigen Regierungskräfte wieder eine Zweidrittelmehrheit bekommen.
Warum hat die Allianzbildung Ihrer ehemaligen Mitstreiter so lange gedauert?
Sie haben es verpasst, eine Ära abzuschließen. Es gab keine Erneuerung. Das was sie sagen, steht nicht im Einklang mit dem, was sie tun. Man kann nicht gleichzeitig warme und kalte Luft ausatmen. Man kann nicht sowohl Arbeit als auch Brot bieten und dann solche Menschen ins Team holen, die ganz offensichtlich wieder eine neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgen würden. Die Schritte des Fidesz sind heute vielfach linker als das, was innerhalb der acht Jahre sozialistischer Regierungen geboten wurde.
Was halten Sie generell von der linken Allianz?
Sie ist eine aus Karrieregründen gegründete Interessenvereinigung. Darum geht es ihren Exponenten und deshalb sprechen sie auch so wenig davon, was sie dem Land bieten wollen, mit welchen Methoden sie Arbeitsplätze schaffen wollen, wie sie Ungarn in Europa halten wollen. Ich glaube an die Demokratie und an die Vielfarbigkeit. Nicht nur in der Natur, sondern auch in der Politik. Die Wähler sind weise genug. Man darf sie nicht unterschätzen. Man muss Ihnen authentische Angebote präsentieren, die ihr Schicksal und ihre Zukunft tatsächlich berühren.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer ehemaligen Partei?
Es gibt keins.
Die Existenz Ihrer Partei ist ein Schlag ins Gesicht jener Linken, die sich ebenso sozial geben wie Sie.
Die linke Rhetorik der Allianz ist für mich nicht glaubwürdig. Tatsache ist: Sie konnte nicht mit ihrer Vergangenheit brechen und demonstriert das jetzt auch mit ihrem Spitzenpersonal. Wir haben es also heute mit der gleichen Partei zu tun, in der mir als Linken vor dreieinhalb Jahren die Luft knapp geworden ist. Ich musste aus dieser Partei raus, um meinen Idealen treu bleiben zu können. Ich mache mir aber keine Illusionen, die Allianz-Politiker werden sich durch die Existenz meiner Partei sicher nicht aus dem Konzept bringen lassen. Und überhaupt: Sie halten mich für eine Verräterin, weil ich sie verlassen habe. Dabei habe nicht ich sie verlassen – ich bin derselbe linke Mensch geblieben – sondern die Partei mich. Die Führung, die dafür verantwortlich ist, hat sich seitdem nicht verändert. Es ist jetzt nur zu verständlich, dass sie all jene hassen, die ihnen einen Spiegel vorhalten. Der prinzipielle Unterschied zwischen uns beiden ist, während sie zerstören, bauen wir auf. Vielleicht kommen wir mit unserem Wertesystem nicht im ersten Anlauf ins Ziel. Es kann sein, dass unser Werk erst von der Generation vollendet wird, für die wir es jetzt schaffen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die bipolare Politik und der wechselseitige Hass heute die Atmosphäre in unserem Land prägen. Sie sollten so rasch wie möglich der Vergangenheit angehören.
Wo steht Ihre Partei derzeit in den Umfragen?
Noch nicht da, wo wir hinwollen. Ich gehe aber davon aus, dass es ein größeres Segment in der Gesellschaft gibt, das sich derzeit noch nicht zu erkennen gibt und unsicher ist, jedoch mobilisierbar ist. Ich treffe Tag für Tag Menschen, die genug haben von diesem Hass und diesem Freund-Feind-Schema. Wo sich zwar ab und zu einmal die Exponenten austauschen, wo aber alles nach dem altbekannten Muster abläuft: Die Opposition sagt zu allem nein, und die Regierenden üben sich in grenzenloser Überheblichkeit. In Deutschland konnte seit der Jahrtausendwende bereits zum zweiten Mal im Interesse des Landes eine große Koalition geschaffen werden. Hier fängt die Kunst der Politik an. Einander zu hassen ist sehr einfach, ebenso, sich ständig zu widersprechen. Sich jedoch zusammenzuraufen, konstruktive Lösungen zu erarbeiten und sie dann auch umzusetzen, dazu gehört eine politische Reife, zu der in Ungarn derzeit leider nur sehr wenige Kräfte in der Lage sind. Das muss die ungarische politische Klasse erst noch lernen.
Wie wollen Sie das vorhandene Wählerpotenzial zu ihren Gunsten mobilisieren?
Wir bemühen uns um eine möglichst breite und intensive Medienpräsenz. Wir wollen diese dann bis zum Wahltag auf einem hohen Hitzegrad halten. Ich sehe, dass in der Gesellschaft eine Empfänglichkeit für eine ruhige, ausgeglichene und konsensorientierte Tonart vorhanden ist. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen auf unsere Alternativen aufmerksam werden. Wir halten jeden zweiten Tag eine Pressekonferenz ab. Dabei ist es uns wichtig, nicht pausenlos Kritik zu üben, sondern eher positiv aufzutreten und unsere Vorstellungen positiv zu präsentieren. Außerdem haben wir damit begonnen, unsere Kandidaten vorzubereiten. Wir arbeiten kontinuierlich an unserer Wahlvorbereitung, wir haben auch schon einen Wahlkampfstab. Unsere Internetpräsenz funktioniert. Wir nutzen Twitter, Facebook und verschiedene Blogs.
Sehen Sie unter den Parteien potentielle Bündnispartner?
Nein. Wir sind aber deshalb nicht einsam, unsere Partei baut sich von unten auf. Die meisten anderen Parteien sind Kopfparteien, die sich von oben organisieren. Wir brauchen in Ungarn eine zivile Demokratie anstelle einer Parteiendemokratie. Ansonsten sehe ich die Gefahr, dass sich das nächste Parlament noch weiter von den Bürgern entfernt und sich die Kluft zwischen der politischen Klasse und der Gesellschaft noch weiter vergrößern wird. Die ungarische Zivilgesellschaft darf sich der Parteiendemokratie nicht ausliefern. Heute sieht es so aus, dass die politisch aktiven Teile der Gesellschaft gezwungen sind, entweder der einen oder anderen politischen Seite einen Treueschwur zu leisten und sich als Wasserträger anzudienen. Deswegen ist die ungarische Gesellschaft heute auch so zerrissen. Die Politiker sind primär damit beschäftigt, ihre eigene Karriere zu gestalten und nicht damit, gesellschaftlichen Zielen zu dienen. Wir haben uns demgegenüber dem Dienst an der Gesellschaft und der Lösung von konkreten Problemen verschrieben.
Zum Beispiel der Schaffung einer neuen Verfassung…
Mir wurde von meinen Kritikern vorgeworfen, dass ich mich konstruktiv an diesem Prozess beteiligt habe. Ich empfand es aber als meine Pflicht, einen eigenen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Es ist doch keine Lösung, einfach den Plenarsaal zu verlassen und sich in keinster Weise an diesem Prozess zu beteiligen! Wir waren die einzigen, die einen alternativen Vorschlag präsentieren konnten. Auch generell ist es nicht unsere Art, die Katze im Sack zu verkaufen. Wir sagen stets deutlich, wofür wir stehen und was wir wollen.
Was hätten Sie etwa zum bisher nur unsauber gelösten Problem der Parteienfinanzierung anzubieten?
Auch dazu haben wir einen alternativen Vorschlag auf den Tisch gelegt. In Ungarn kann man mit einem Prozent seiner zu entrichtenden Steuern bestimmte Kirchen und wohltätige Organisationen unterstützen. Unser Vorschlag wäre es, ein weiteres Prozent einzuräumen, mit dem die Bürger eine Partei ihrer Wahl unterstützen können. Das wäre eine ganz saubere Sache. Nebenbei wäre das für die Parteien auch ein ganz klarer Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Unterstützung und Anerkennung ihrer jeweiligen Leistung. Ein solches System würde die Politiker also dazu motivieren, im Interesse der Steuerzahler zu agieren. Eine zutiefst unangenehme Aussicht für viele Politiker! Kein Wunder also, dass sich bisher keine der etablierten Parteien für unseren Vorschlag erwärmen konnte. Ebenso wenig wie für die von uns vorgeschlagene Rückrufbarkeit von Abgeordneten durch eine zweite Kammer des Parlaments mit Vertretern ziviler Organisationen. Wir haben klare Vorstellungen davon, wie man gewisse Korrekturen vornehmen könnte, damit das deformierte ungarische System wieder auf einen gesunden, nachhaltigen Pfad kommt.
Woher bekommen Sie Anregungen für solche innovativen Lösungen?
Teilweise gibt es dafür internationale Vorbilder, teilweise entspringen diese Lösungen auch unseren eigenen Überlegungen. Wir haben einen aus 80-90 Leuten bestehenden Expertenhintergrund, der auch unser Programm ausgearbeitet hat. Darunter sind unter anderen namhafte Professoren, Leute der Praxis und auch ausgezeichnete Agrarexperten. Ihnen können wir verdanken, dass wir so eine Fülle an lebensnahen Vorschlägen im Parlament präsentieren konnten. In den letzten dreieinhalb Jahren haben wir über 50 solcher Vorschläge präsentiert.
Was ist Ihre Vision? Wo wollen Sie hin?
Wir möchten ein europäisches Ungarn bauen. Wir glauben daran, dass ein Parteiprogramm nicht nur eine bloße Formalität ist, sondern ein wichtiges Hilfsmittel, um dieses Ziel zu erreichen. Bei der Verfolgung dieses Ziels haben wir ständig die ganz konkrete gegenwärtige Realität vor Augen und reagieren auf sie. Uns ist ganz wichtig zu wissen, wo dem Bürger der Schuh drückt, welche Alltagssorgen die Menschen haben und wie dem Abhilfe geleistet werden kann. Ein permanenter, offener und konsensorientierter Dialog mit allen Betroffenen ist dabei unerlässlich. Das verstehe ich unter ziviler Demokratie. Diesem Ideal hat sich meine Partei verschrieben.
Jan Mainka
Vielen Dank, Jan Mainka, für das Interview mit Katalin Szili.
Es ist eine Freude, ihre Worte zu lesen – nicht weil sie die MSZP abwatscht, sondern weil mit ihrer Person die ungarische Gesellschaft wieder ein Vorbild hat, welches europäische und soziale Gesinnung glaubwürdig und intelligent vertreten kann.
Ich wünsche ihr viel Erfolg.
Der westlichen, übverwiegend MSZP-nahen Presse möchte ich nahelegen, folgende Sätze von Katalin Szili zu überdenken:
„Die Schritte des Fidesz sind heute vielfach linker als das, was innerhalb der acht Jahre sozialistischer Regierungen geboten wurde“
„Die linke Rhetorik der Allianz ist für mich nicht glaubwürdig. Tatsache ist: Sie konnte nicht mit ihrer Vergangenheit brechen und demonstriert das jetzt auch mit ihrem Spitzenpersonal“