Von Krisztián Ungváry
Ich werde in diesem Aufsatz den Fokus auf jene eklatante Geschichtsfälschung richten, für die der Bildhauer Péter Raab Párkányi und die Budapest Galerie verantwortlich zeichnen. Dies ist insofern geboten, als im Falle des geplanten Denkmals zum Gedenken an die deutsche Besetzung Ungarns am 19. März 1944 der Auftraggeber vergessen hat, die Fachmeinung eines Historikers dafür einzuholen. Dieser Aufsatz will dieses Versäumnis nun nachholen.
Laut Meinung der (regierungsnahen; Anm.) Bildhauer Miklós Melocco und György Benedek ist das Konzept des entstehenden Denkmals im Hinblick auf den „tieferen Inhalt hinter den eingängigen Symbolen beispiellos und herausragend (…) auch ist seine historische Einbettung nicht alltäglich (…) Wir konnten mehr als 200.000 polnischen Flüchtlingen Zuflucht bieten. Bis 1943 herrschten hierzulande friedliche Zustände. Die massenmordenden deutschen Truppen versetzten im Schulterschluss mit ihren Pfeilkreuzler-Küken dem Land aber den Todesstoß”. (…)
Diese Argumentation überrascht mich deshalb, weil auch weniger Geschichtsverzerrungen ausreichen würden, um bei einer Universitätsprüfung durchzufallen. Ganz zu schweigen davon, dass das geplante Denkmal im Lichte der historischen Ereignisse eine ziemlich grobschlächtige Symbolik hat. Elek Tokfalvi hat in seinem gestrigen Aufsatz (20. Januar 2013, Online-Ausgabe von hvg, als Übersetzung auch in der kommenden Budapester Zeitung) mit Recht darauf verwiesen, dass der Schöpfer des Denkmals sich mit dem als nazistisch titulierten Adler keineswegs der Nazi-Symbolik bediene, sondern vielmehr eines nationalen Sinnbildes der Deutschen, was künstlerisch wie politisch geschmacklos sei. Das ist in etwa damit zu vergleichen, als würde man in der Slowakei oder in Rumänien ein Denkmal aufstellen, dessen zentrales Element entweder der Turul-Vogel (nationales Symbol Ungarns; Anm.) oder die Heilige Stephanskrone wären, um eine Aggression gegen die slowakische oder rumänische Nation zu versinnbildlichen – wofür es leider auch einige traurige Beispiele gibt. Mit dem Denkmal auf dem Szabadság tér wird Ungarn jedenfalls auf das ästhetische Niveau eines Gheorge Funar (ehemaliger nationalistischer Bürgermeister der rumänischen Stadt Cluj Napoca; Anm.) oder Ján Slota (nationalistischer slowakischer Politiker; Anm.) sinken.
Zur geschmacklosen Ästhetik gesellt sich aber auch eine große Portion Geschichtsfälschung. Der Reihe nach:
1. Die Ereignisse des Jahres 1944 sind gelinde gesagt komplexer, als dass man sie mit dem Kampf zwischen den „bösen” Deutschen und „guten” Ungarn umschreiben könnte. Eichmann etwa war von seinen Erlebnissen in Ungarn mehr als angetan, so hielt er fest, dass die Ungarn sicher die Nachfahren der Hunnen seien, habe er doch im Zuge der „Lösung der Judenfrage” nirgendwo anders eine derartige Brutalität erlebt.
2. Infolge der deutschen Besetzung Ungarns wurde die Bevölkerung des Landes nicht unterjocht. Vielmehr bekam die rechte Elite des Landes die Möglichkeit, das Vermögen von rund 800.000 Menschen neu zu verteilen. Davon bekamen sehr, sehr viele Menschen etwas ab, weshalb wohl kaum anzunehmen ist, dass sie das Gefühl hatten, unterjocht worden zu sein.
3. In Ungarn fanden nicht 200.000 polnische Flüchtlinge Zuflucht, sondern rund 70.000. Diese Zahl ist auch sehr hoch, was durchaus ein Positivum ist, nur hat dies überhaupt nichts mit der deutschen Besetzung zu tun.
4. Für viele war Ungarn bis 1944 tatsächlich eine Insel des Friedens, für die Juden allerdings nicht im Entferntesten (immer wieder wird das Gegenteil behauptet; Anm.). Abgesehen von den mehr als hundert Juden-feindlichen Gesetzen und Dekreten wurden an mehreren Orten im Land Pogrome (Kisvárda 1938, Munkács 1942, Máramarossziget 1942) und Massenmorde (im Jahr 1942 wurden insgesamt 700 Juden in der Vojvodina ermordet) verübt, darüber hinaus wurden rund 17.000 Menschen nach Kamenez-Podolski massendeportiert (laut dem Direktor des Veritas Instituts, Sándor Szakály, war das aber bloß eine „fremdenpolizeiliche Aktion”), schließlich gab es noch den unmenschlichen Arbeitsdienst für Juden, bei dem schon vor 1944 mehr als zehntausend Menschen starben.
5. Die deutsche Armee hatte keinen Massenmord begangen, als sie in Ungarn einmarschierte. Das, was wir als Massenmord bezeichnen, wurde in Bausch und Bogen von den ungarischen Behörden vorbereitet und von ihnen auch zum Teil in die Tat umgesetzt. Im ungarischen Parlament wurden schon im Jahr 1941 Vorschläge eingereicht, die auf die totale Ghettoisierung der Juden abzielte, und es war nur dem Taktieren des damaligen Ministerpräsidenten Miklós Kállay und des Reichsverwesers Miklós Horthy zu verdanken, dass darüber nicht abgestimmt worden war.
6. Die ungarische Verwaltung bereitete sich bis zum März 1944 akribisch darauf vor, das Leben Hunderttausender bürokratisch zu beenden; ehe sie die Juden in Waggons pferchte, ließ sie von ihnen noch deren Wasser-, Strom und Gasrechnungen bezahlen.
7. Hier ist es wichtig hervorzuheben, dass die ungarischen Behörden nicht nur Ideen in die Tat umsetzten, die ihnen von den Deutschen aufgetragen worden waren. Es wurden auch antisemitische Maßnahmen ergriffen, die in einigen Fällen den deutschen Vorstellungen zuwiderliefen. Ein Beispiel dafür ist die Massendeportation ungarischer Juden nach Kamenez-Podolski. Der Deportationsfuror der ungarischen Behörden löste in diesem Fall erstmals eine humanitäre Katastrophe aus, da ein Teil der mehr als zehntausend ausgeplünderten und unversorgten Juden den örtlichen Antisemiten überlassen wurden, die sofort daran gingen, sie dahinzumorden. Erst nach dem Blutbad von Kamenez-Podolski entschieden die Deutschen, ihr eigenes antisemitisches Programm zu verwirklichen und die Juden massenhaft zu töten. Kamenez-Podolski war mithin der erste Massenmord des Holocaust, bei dem mehr als zehntausend Juden ermordet wurden.
8. Die „Pfeilkreuzler-Küken“ hatten mit der deutschen Besetzung Ungarns überhaupt nichts zu tun. Nach der Besetzung wurde in Ungarn eine Koalitionsregierung gebildet. (…) Die Pfeilkreuzler waren NICHT Teil dieser Regierung. Dem Führer der Pfeilkreuzler, Ferenc Szálasi, missfiel es sogar, dass die Juden deportiert wurden. Er betrachtete die Deportationen als eine Verschwendung nationaler Arbeitskräfte. An dieser Stelle lohnt es sich, an die Äußerung des Fraktionschefs der Regierungspartei Fidesz, Antal Rogán, zu erinnern, wonach „die Souveränität des ungarischen Staates aufgrund der Verhaftung eines Großteils der Regierungsmitglieder eingeschränkt wurde”. Bis auf den Ministerpräsidenten Miklós Kállay und dem Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer wurde niemand von der Gestapo verhaftet. (…) Was hat es also mit dem „Großteil” auf sich?
9. Entgegen anders lautender Meinungen war es übrigens niemals Ziel der deutschen Besatzer, die ungarische Nation zu vernichten.
Zum Abschluss meines Aufsatzes ein Vorschlag: Aus Ungarn wurde praktisch keine einzige Frau deportiert, die nicht eine Leibesvisitation mitsamt einer vaginalen Durchsuchung über sich hatte ergehen lassen müssen. Die damalige Begründung: Nichts aus dem nationalen Vermögen solle verloren gehen. Über die Arbeit jener Frauen, die für die Leibesvisitation zuständig waren, gibt es detaillierte Dokumente, ja wir wissen sogar, dass diese Frauen aus Spar- und Zeitgründen ihre Gummihandschuhe während der Arbeit nicht wechselten; sie benutzten die Handschuhe den ganzen Tag, ohne sie zu desinfizieren. Wenn man schon ein Denkmal aufstellen will, dann sollte es zum Gedenken an diese Frauen der Leibesvisitation sein.
Der Autor ist Historiker. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 21. Januar 2014 in der Online-Ausgabe der linksliberalen Wochenzeitung hvg.
Aus dem Ungarischen
von Peter Bognar
Chapeau für diesen Beitrag! Ungváry als Stachel im Fleisch der offiziellen Geschichtsklitterung!
Was jetzt in Ungarn passiert ist vergleichbar mit dem, was in Polen 2002/2002 passiert ist: der öffentliche Streit über Antisemitismus und Kollaboration von Polen in der NS-Zeit … und das ist dort bis heute nicht abgeschlossen. Auslöser war dort ein Buch von Jan T. Gross … und in dessen Rolle scheint nun Krisztián Ungváry in Ungarn zu geraten. Ungarn ist in seiner Diskussion leider gegenüber Polen nochmal um 12 Jahre zurück … und das wird noch sehr lange dauern.
Hinter den Ideen, gegen die Ungváry sich in vorstehendem Artikel wendet, steht doch recht eindeutig nicht nur die (berechtigte) Ablehnung jeglicher „Kollektivschuld“ der Ungarn, sondern die Übernahme jedweder Verantwortung. Seine eigene Verantwortung sollte Ungarn aber doch tragen und sich endlich seiner eigenen Geschichte stellen. Genau das aber will Orbán explizit wohl nicht … schon in der Präambel der neuen Verfassung steht ja drin, daß die Ungarn zwischen dem 19. März 44 und Mai 1990 fremdbestimmt waren und daher für nichts verantwortlich sind, was in diesem Zeitraum passiert ist. Dem soll ja dieses neue Denkmal nochmals dienen. Das ist übelste Geschichtsklitterung …
… und Ungváry spielt genau diese Rolle von Gross in Polen, weil er eben diese Verantwortung der Ungarn vor dem 19.03.44 wie danach thematisiert … auch wenn die Diskussion ja noch völlig in den Kinderschuhen steckt, dreht sie sich bisher doch lediglich um Symbole, nicht aber um konkrete Taten.
Tatsächlich stellt die gegenwärtige Nomenklatura ja in Abrede, daß es vor 1944 antisemitische Handlungen in Ungarn gegeben hat … und danach sei dies deutscherseits zu verantworten … ebenso, wie die Austreibung der Deutschen ja lediglich in der Verantwortung „einzelner“ Täter ungarischer Nationalität gelegen habe (in einer Zeit, in der die Ungarn ja laut Verfassung nun ohnehin nicht verantwortlich für was auch immer waren) …
Worum es der ungarischen Regierung tatsächlich geht, wird aus den unablässigen offiziellen wie offiziösen Statements der letzten Woche deutlich. Vor allem Staatssekretär János Lázár, Leiter des Büros des Ministerpräsidenten und Viktór Orbáns engster Vertrauter, machte am Abend des 27. Januar 2014 in Paris anläßlich einer Gedenkfeier in der UNESCO-Zentrale nochmals klar, wie die vier Eckpositionen der ungarischen Regierung zum Verständnis und zum Umgang mit dem Holocaust aussehen:
– Zum einen, so Lázár, war der Holocaut eine „nationale Tragödie“ der Ungarn, weil nämlich 10 Prozent der Opfer ungarische Staatsbürger gewesen seien! Demzufolge sind also die Ungarn als Nation als Opfer zu betrachten.
– Zum zweiten sei der damalige [nicht von den Ungarn per neuer Verfassung und per zu errrichtendem Denkmal an die Besetzung nicht zu verantwortende] Staat verantwortlich, weil er nicht „sein Möglichstes“ getan habe, „seine Bürger zu schützen“.
– Zum dritten trügen „einige ungarische Führer“ [also die von Staatspräsident Áder so genannten „Pfeilkreuzler-Marionetten“ oder Pfeilkreuzler-Küken“] individuelle „schwere, persönliche Verantwortung für die Deportation der ungarischen Juden“ und deren Tod.
– Und zu guter letzt sei es der jetzige [von den Ungarn zu verantwortende] Staat unter der jetzigen Fidesz-Regierung, der an diesem „Wendepunkt in der Geschichte der freien Ungarn“ „alle seine Söhne und Töchter gegen böse Absichten, äußere Feinden und inneren Verrat“ verteidigen werde!
Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen!
Zur Genese dieser Geschichtsklitterung in den letzten Tagen (mit Links zu den Quellen): https://gulaschkessel.wordpress.com/2014/01/26/ungarns-verantwortung-fur-den-ungarischen-holocaust-per-verfassung-aufgehoben/