Der ungarische Staat lässt ein Denkmal zum Gedenken an die deutsche Besetzung errichten. Welches Licht wirft das Denkmal auf das Verhältnis der Regierung sowie Ungarns
zum Holocaust, und was verrät es vom Geschichtsbild der Regierung? Als eine der ersten Nachrichten des neuen Jahres war zu lesen, dass die Regierung zum 70. Jahrestag der deutschen Besetzung Ungarns ein Denkmal errichten will. Viele werden jetzt wohl denken, dass es sich dabei um einen schlechten Scherz handelt, gab es doch nach solch einem Denkmal nicht einmal zu Zeiten eine Nachfrage, als in Ungarn der Antifaschismus gleichsam Pflicht war (während des real existierenden Sozialismus; Anm.).
Jubel für die Besatzer
Die Idee der Regierung ist in Wahrheit die logische Fortsetzung jenes Geschichtsbildes, das bereits dem neuen Grundgesetz eingeschrieben wurde. Im Kern ist dieses Bild folgendermaßen zusammenzufassen: Ungarn hat im März 1944 seine Unabhängigkeit verloren und diese erst 1990 wiedergewonnen. Im Hinblick auf das neue Denkmal kommt mir das berühmte Bonmot des deutschen Generalfeldmarschalls Maximilian von Weichs in den Sinn. Als dieser gefragt wurde, wieviel Zeit seine Truppen zur Besetzung Ungarns benötigen würden, lautete seine Antwort „24 Stunden”. Verdutzt bohrte der Fragesteller daraufhin nach, wie lange die Aktion im Falle eines Widerstands dauern würde. Weichs lapidare Antwort: 12 Stunden. Denn dann blieben die Begrüßungsreden aus. Es ist hierbei noch hinzuzufügen, dass Weichs sich in seinem Tagebuch darüber beschwerte, in Ungarn überflüssig zu sein, hätte er doch nichts anderes zu tun, als an Banketten und Weinverkostungen teilzunehmen und die Oper zu besuchen. Seine Truppen wurden von jenem Land, das er besetzt hat, herzlich und teilweise sogar frenetisch empfangen.
Wer das politische Konzept durchschaut hat, das hinter dem Geschichtsbild der ungarischen Regierung steht, kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass das Denkmal als Memento des nationalen Selbstfreispruchs fungieren wird. (…) Um Missverständnisse zu vermeiden: Dies ist freilich nur eine Stimme der Regierungspropaganda. Eine andere Stimme gesteht die nationale Verantwortung Ungarns offen und aufrichtig ein, wie es etwa Tibor Navracsics (stellvertretender Ministerpräsident; Anm.) getan hat. Diese Form der Rollenverteilung wurde von den PR-Experten beim Fidesz bereits bis zum Äußersten perfektioniert. Am besten ist sie in den Printmedien zu beobachten: Während Heti Válasz (Wochenzeitung; Anm.), Hír TV (Nachrichtensender; Anm.) und Magyar Nemzet (Tageszeitung; Anm.) die gemäßigten Rechts-Wähler bedienen, gehen Demokrata (Wochenzeitung; Anm.), Echo-TV (Nachrichtensender; Anm.) und Magyar Hírlap (Tageszeitung; Anm.) auf die Wünsche der radikalen Rechts-Wähler ein. Letztgenanntes Publikum ist in seiner Gesinnung von den Wählern der rechtsradikalen Partei Jobbik kaum zu unterscheiden, ideologisch gibt es praktisch keinen Unterschied.
Im Grunde gewinnt das neue Denkmal nur im Kontext jener Erinnerungspolitik einen Sinn, die vom Fidesz (Regierungspartei; Anm.) verfolgt wird. Die Narration der Besetzung stellt für all jene – vor allem rechtsgesinnte – Ungarn einen Selbstfreispruch dar, die sich dagegen sperren, sich mit den historischen Tatsachen auseinanderzusetzen. (…) Was die Tatsachen anbetrifft: Nach der Besetzung Ungarns war ein hemmungsloser Deportations-Furor der ungarischen Behörden zu beobachten. Der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höss, bat vergeblich um die Verlangsamung der ungarischen Transporte, in Budapest wurde seiner Bitte kein Gehör geschenkt. SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner war angesichts des fehlenden Widerstands derart überrascht, dass er eine Schein-Widerstandsbewegung ins Leben rufen wollte, um die echten Antifaschisten in Ungarn zu enttarnen. Der Chef der politischen Polizei in Ungarn, Péter Hain, beruhigte ihn indes: Das sei völlig überflüssig, denn wenn es einen Widerstand gebe, wüsste er schon seit Langem darüber Bescheid. (…)
Geschichtsschreibung nach Gutdünken
Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die historischen Tatsachen diejenigen, die an der Formung der nationalen Erinnerung arbeiten, nicht im Geringsten irritieren. Ihre Bestrebungen sind in gewisser Hinsicht verständlich, gibt es doch eine rege Nachfrage danach. Sofern diese Art der Geschichtserinnerung in Ungarn allerdings einen offiziellen Status erlangt, kehren wir dorthin zurück, wo wir in den dunkelsten Jahrzehnten der Kádár-Ära waren: der staatlichen Geschichtsfälschung.
Der Autor ist Historiker. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 8. Januar 2014 auf dem Meinungsportal Komment.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
Glückwunsch Herr Ungváry,
ein feiner Artikel, intelligent und aufrichtig.
Die rechtsnationalen Kräfte bedienen sich der Methoden der polnischen Geschichtschreibung, deren Phantasie der Wahrheit die Luft zum Atmen nimmt.
Wie will das ungarische Volk zu sich selbst finden, wenn es derart heuchelt?
Der Volkscharakter Ihrer Vorfahren war Glanzlicht im Osten.
Alles Gute