Die deutschsprachige evangelische Gemeinde ist ein Nest für viele Deutsche, deren Lebensweg sie nach Budapest verschlagen hat. Am 1. Advent dieses Jahres zelebrierte die Gemeinde ihr 20-jähriges Bestehen.
„Anfang 20, energiegeladen und abwechslungsreich“ – so könnte man die deutschsprachige evangelische Gemeinde Budapest (DEGB) beschreiben, die am ersten Adventssonntag ein rundes Jubiläum festlich beging. Amtierender Pfarrer dieser vom ständigen Wechsel und einer recht jungen Altersstruktur geprägten Gemeinde ist Johannes Erlbruch. Die fließende Veränderung und ständige Bewegung, in der sich die Auslandsgemeinde befindet beschreibt er als den größten Unterschied zu einer Gemeinde in Deutschland. Wie in Heraklits berühmten Gleichnis, das besagt, dass man nicht zweimal in den selben Fluss steigen kann, kann man nicht zweimal die Weihnachtsmesse der DEGB besuchen und dabei dieselbe Gemeinde vorfinden. Die Auslandsgemeinde lebt von den Expatriots, also den Deutschen, die für zwei bis drei Jahre arbeitsbedingt in Ungarn leben. „Derzeit haben wir etwa 230 eingeschriebene Mitglieder, von denen wiederum schätzungsweise 60 aktiv am Gemeindeleben teilhaben“, so Erlbruch. Als einen der Vorzüge dieser Fluktuationen nennt Erlbruch, dass er seine Schäfchen nicht erst bitten muss, auch auf Neuankömmlinge zuzugehen. Gäste und Hinzugekommene werden automatisch und herzlich aufgenommen. Jeder weiß, wie es ist, in der neuen Stadt anzukommen und noch niemanden zu kennen. Für viele ist die Gemeinde der erste Anker im neuen Alltag. Laut dem Pfarrer, der schon in seinem fünften Jahr in Budapest predigt, bringt der stetige Wechsel aber nicht nur viel Dynamik in die Gemeinde aber auch praktische Probleme mit sich: „Kirchenämter können nicht langfristig besetzt werden, immer wieder müssen Positionen neu ausgeschrieben werden.“
Die Gemeinde wurde am 1. Advent 1993 als Auslandsgemeinde der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und als Gemeinde in der Ungarischen Evangelischen Kirche gegründet. Am Jubeltag gratulierten unter anderem der erste EKD-Auslandspfarrer der Gemeinde Dietrich Tiggemann, der auch die Predigt hielt, der Gesandte der deutschen Botschaft Budapest Klaus Riedel, der ungarische Pfarrer Arpád Zsigmondy und viele mehr. Manche Gratulanten sandten sogar Glückwünsche per Internetvideobotschaft, so zum Beispiel der scheidende Vorsitzende des Kirchengemeinderats Marcel Barf, der sich live aus Thailand zu Wort meldete. Selbiger äußert sich zum Jubiläum wie folgt: „20 Jahre, das schafft nicht eine Einzelperson, das schafft nicht ein Pfarrer, das machen wir alle.“
Anekdotisch erzählt Pfarrer Erlbruch, dass nicht jeder das zwanzigjährige Jubiläum anerkennt, denn auch wenn die DEGB offiziell ihr zwanzigstes Jahr des Bestehens zelebriert, führen die Wurzeln viel weiter in den Kaninchenbau der Geschichte hinab. Schon im Jahre 1844 begrüßte die Erzherzogin Maria Dorothea von Württemberg Budapests ersten deutschsprachigen Pfarrer Johann Georg Bauhofer am Burgberg, und nur zwei Jahre später folgte die Einweihung der ersten Ofener (deutsche Bezeichnung für Buda) Kirche am Dísz tér hoch oben in der Burg. Der Anteil der deutschen Bevölkerung war zu dieser Zeit natürlich bedeutend höher. Eine Volkszählung in 1821 ergab, dass bis auf rund 1.100 Serben und ein paar hundert Magyaren Buda nur deutsche Einwohner zählte. Bis Ende des 19. Jahrhunderts hielt sich diese Dominanz des Deutschen in der evangelischen Gemeinde in Buda. Im Verlauf der ersten Hälfte des 20ten Jahrhunderts wurde die Gemeinde jedoch zunehmend magyarisiert, bis, mit Kriegsende 1945, die Tätigkeit der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde eingestellt wurde. Die darauf folgenden Jahrzehnte waren geprägt von politischen Repressalien gegen die Kirche als Folge der Spaltung Europas durch den Eisernen Vorhang. Albrecht Friedrich beschreibt, dass insbesondere die deutsche Gemeinde es dabei schwer hatte. „Die ‚Offiziellen‘ aus der DDR wollten oder durften von der Kirche nichts wissen“, so Friedrich, der schon vor der Wende in Budapest als Pfarrer tätig war. Weiterhin erzählt er aber auch, dass die deutschsprachige evangelische Gemeinde eine wichtige Rolle beim Erhalt von Familienbanden zwischen Ost und West spielte. Hier konnten sich von der Mauer auseinandergerissene Familien zum Abendmahl zusammenfinden ohne dabei, wie am Plattensee, staatlich beäugt zu sein. Mit der Wende blühte die evangelische Gemeinde, die damals ein Zweig in der Ungarischen Evangelischen Burggemeinde war, regelrecht auf. Die Gottesdienste füllten sich und die Kerngemeinde wuchs dank der vielen deutschen evangelischen Christen, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Budapest zogen. Schließlich wurde fast vier Jahre nach dem Mauerfall die Selbstständigkeit der Gemeinde erreicht. Seitdem hat sie ihren Sitz im I. Bezirk am Burgberg in unmittelbarer Nähe des Wiener Tores (Bécsi Kapu). Die Kirche der ungarischen Burggemeinde stellt der DEGB die Räumlichkeiten zur Verfügung. Auch für das geistige Heil der deutschsprachigen evangelischen Christen in Kecskemét, bei denen es sich hauptsächlich um Mitarbeiter des dort ansässigen Mercedeswerkes und ihren Familien handelt, übernimmt die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde Budapest Verantwortung. Einmal monatlich organisiert Pfarrer Erlbruch dort einen deutschsprachigen Gottesdienst. „Wir freuen uns, dass uns dazu die dortige ungarische evangelische Kirche die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt“, sagt Erlbruch, der gute Kontakte mit den ungarischen Kirchgemeinden pflegt und sich über jede Zusammenarbeit freut. Im Bereich der Wohltätigkeit ist die DEGB rege tätig: So werden Spenden gesammelt und verteilt nicht nur für Kinder-, aber auch Behinderten- und Obdachlosenheime. Auch das Gemeindeleben brummt. Regelmäßig werden Bibelstunden, Frauengesprächskreise und Krabbelgruppen gehalten, sogar einen kleinen Chor und ein winziges Orchester hat die Gemeinde auf die Beine gestellt. Die Energie scheint dabei nicht nachzulassen und die Vermutung liegt nahe, dass sie es auch die nächsten 20 Jahre nicht tun wird.