Ferenc Gyurcsány hat die Aufmerksamkeit der ungarischen Öffentlichkeit wieder einmal auf sich gelenkt. Am Sonntag verkündete der Ex-Premier (2004-2009) und heutige Vorsitzende der linksliberalen Demokratischen Koalition (DK) ein 16-Punkte-Programm.
Wie Gyurcsány sagte, wird die Ausarbeitung des DK-Programms im Februar abgeschlossen sein. Zu den 16 Punkten sollen noch weitere 70 bis 80 Punkte hinzukommen. Nach seinen Worten denkt die DK nie und nimmer daran, „mit der Willkür einen Kompromiss zu schließen“, womit er wohl die nationalkonservative Regierung von Viktor Orbán meinte. Vielmehr wolle die DK die „Willkür“ besiegen, noch dazu mit anständigen, rechtmäßigen Mitteln.
Gyurcsány erklärte, dass er und seine Partei die Einführung des Euro im Jahr 2020 anstrebten, die Voraussetzungen dafür sollen bereits im Jahr 2018 geschaffen werden. Der Ex-Regierungschef machte auch in Sachen Wahlrecht den Standpunkt seiner Partei klar: Bei ungarischen Wahlen sollen nur diejenigen zur Stimmabgabe zugelassen werden, die einen ständigen Wohnsitz in Ungarn haben, hierzulande ihre Steuern zahlen und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen. Damit sprach er sich unmissverständlich dagegen aus, dass die rund 2,5 Millionen Auslandsungarn das Wahlrecht bekommen.
Keine Privilegien für Kirchen
Gyurcsány ging auch auf die Frage der Religionsausübung ein. Wie er sagte, sollte die religiöse Überzeugung eines jeden Bürgers dessen intimste Privatsache sein. Sollte die DK ans Ruder gelangen, will sie nicht nur den zwischen Ungarn und Rom geschlossenen Vatikan-Vertrag* auflösen, sondern auch den „Privilegien“ der Kirchen ein Ende setzen und ihre Subventionen beschneiden. Das Geld, das dadurch gespart wird, wollen Gyurcsány und die DK für die Schaffung einer sogenannten Solidaritäts-Bank verwenden, einem Geldhaus für die Ärmsten.
Im Hinblick auf die Wirtschaft sagte Gyurcsány, dass er an den Wettbewerb, das Privateigentum und die selbstregulierenden Kräfte des Marktes glaube. Indes müsste der Staat in den rückständigen Regionen des Landes eingreifen. Er sprach diesbezüglich von „besonderen Wirtschaftszonen“, wo nach den Vorstellungen der DK unter anderem Steuersenkungen, eine zielgerichtete Ausbildung und der Ausbau des Nahverkehrs zur Umsetzung kämen.
Der DK-Chef kam auch auf die Familienpolitik zu sprechen. Wie er betonte, sei es für einen linksgesinnten Menschen unmöglich, die Familienpolitik der Regierung gutzuheißen. Seiner Meinung nach bestrafe das heutige System die armen Familien. Aus diesem Grund sollte es statt Steuererleichterungen für Familien, wie es heute der Fall ist, eine weit höhere Familienbeihilfe geben (derzeit erhält eine Familie mit zwei Kindern 13.300 Forint pro Kind). Er sprach hierbei auch von der Notwendigkeit, ein Programm zum Bau von Krippen und Kindergärten auf die Beine zu stellen.
In Sachen Bildungspolitik merkte Gyurcsány an, dass es wichtig sei, die Erinnerung an den Friedensvertrag von Trianon im Jahr 1920 wachzuhalten (die jetzige Regierung hat 2010 eigens einen Gedenktag eingeführt), allerdings sollte das Land vielmehr „nach vorne“ blicken. So sei es wünschenswert, dass jeder ungarische Abiturient zumindest eine Fremdsprache spricht, sagte er. Ziel der DK sei es, dass spätestens im Jahr 2020 jede Grund- und Mittelschule in Ungarn einen zweisprachigen Unterricht habe. Was die Universitäten und Hochschulen angehe, betonte Gurcsány, dass diese allen zugänglich gemacht werden müssten. Wie er sagte, stellt sich bei den Prüfungen in den ersten beiden Semestern ohnehin heraus, wozu die Studenten fähig sind. Er betonte, dass die Studiengebühr nicht allzu hoch sein dürfe, außerdem sollten die besten Studenten in den Genuss von großzügigen Stipendien kommen.
Kein gesetzliches Renteneintrittsalter
Der DK-Vorsitzende kam auch auf die Rentner zu sprechen. In diesem Zusammenhang sagte er, dass er und seine Partei das verpflichtende Renteneintrittsalter streichen wollen. Stattdessen sollten vom Staat verwaltete individuelle Rentenkonten eingeführt werden. So könnten die 50 bis 55-Jährigen jederzeit sehen, wie viel Rente sie bekämen, wenn sie in Pension gingen. Im Rahmen eines solchen Systems könnte jeder individuell entscheiden, wann er sich aufs Altenteil zurückzieht, so Gyurcsány. Er fügte hinzu, dass die „gestohlenen“ Einzahlungen in die – vom Fidesz verstaatlichten – Privatrentenkassen gutgeschrieben würden.
Ferenc Gyurcsány hatte auch zum Thema Nebenkostensenkung („rezsicsökkentés“) etwas zu sagen. Statt eines „Zahlenkriegs“ hinsichtlich der Nebenkostensenkung will die DK in die Sonnen- und Windenergie investieren. Zudem sollen bei einer halben Million Familien einerseits die Wärmedämmung, andererseits Fenster und Türen ausgetauscht werden. Damit bezog er sich auf jene Familien, die in Plattenbauten wohnen (in Ungarn leben rund zwei Millionen Menschen in Plattenbauwohnungen). Zum Thema Frauenpolitik sagte der Ex-Premier, dass die Frauen-Quote sowohl in staatlichen Firmen als auch in der Politik radikal erhöht werden müsse.
Schließlich redete Gyurcsány noch der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens das Wort. Für die Aufrechterhaltung des Staatsfernsehens würden mehrere zehn Milliarden Forint jährlich vergeudet. Dieses Geld sollte stattdessen für die Erstellung unter anderem von Nachrichtensendungen, TV-Filmen und kulturellen Programmen ausgegeben werden, sagte der Ex-Premier.
Laut dem Fidesz haben die Ungarn von jenen Politikern genug, die das Land vor 2010 an den Rand des Bankrotts geführt hatten, so auch von Gyurcsány. Was Gyurcsány und die DK wollen, ist die Streichung der Steuererleichterungen für Familien, das Rückgängigmachen der Senkung der Wohnnebenkosten und die Erhöhung der Steuern, stellte die Regierungspartei fest.
*Im Vatikan-Vertrag ist einerseits festgeschrieben, dass die von der Kirche betriebenen Schulen genau so viel staatliche Unterstützung bekommen wie die staatlichen Schulen, andererseits, dass die ungarischen Bürger die Möglichkeit haben, ein Prozent ihrer Einkommensteuer einer Kirche ihrer Wahl zu spenden.
„Im Hinblick auf die Wirtschaft sagte Gyurcsány, dass er an den Wettbewerb, das Privateigentum und die selbstregulierenden Kräfte des Marktes glaube“
Gyurcsány spricht zu Dir als Linker – oder war es doch die FDP ??
Nur – die FDP hätte einem Land wie Ungarn nicht so schaden können, wie es MSZP
(Sozialisten) und SZDSZ (Liberalen) in ihren acht unsäglichen Regierungsjahren
von 2002 bis 2010 getan haben.
Wie will der ungarische Sozialisten-Haufen, der noch immer unter dem Psychopaten Gyurcsány leidet, die Regierungsverantwortung übernehmen? Ist die dramatische Erhöhung der Staatsschulden auf ca. 80% unter seiner Verantwortung nicht genug?
Will DK den totalen Bankrott? Ich hoffe, dass MSZP sich in Zukunft (noch) deutlicher
von diesem Idioten distanziert.
Eine Stellungnahme des Betreibers des Ungarn-Blogs „Hungarian Voice“ ist hier zutreffend:
https://hungarianvoice.wordpress.com/2013/12/02/versus-die-standpunkte-von-jan-mainka-und-bernhard-odehnal/#comments
„Ich selbst wünschte mir eine funktionsfähige Opposition außerhalb von Postkommunisten. Ungarn braucht eine wählbare Sozialdemokratie, keine in neoliberales Gewand gekleidete, zu Kapitalisten gewordene Ex-Nomenklatur. Das größte Kunststück, das der Teufel jemals zuwege gebracht hat, ist die Welt davon zu überzeugen, dass er gar nicht existiert – und das größte Kunststück der MSZP ist, die Welt davon zu überzeugen, sie sei eine sozialdemokratische Partei.“
Ansonsten: Programme sind geduldig und der Erfolg dieser hängt nicht zuletzt von den Personen ab, die hinter ihnen stehen. So mag der eine oder andere der hier vorgestellten 16 Punkte sinnvoll sein. Einem Profilneurotiker wie Gyurcsány werden die meisten Ungarn jedoch nicht mehr trauen. 2 bis 3 % bei der kommenden Wahl sind DK jedoch gewiss.
Lieber Herr Nyúl,
ich teile Ihre Einschätzung nicht: Mit dieser Art von Programm wird die DK den Einzug in das Hohe Haus schaffen. Das Programm dient nur diesem Zweck. Es geht nicht ums Regieren, sondern ums Überleben und um die Wahl 2018.
Dass die „Vatikanverträge“ auflösen? Warum? Was Gyula Horn wohl dazu sagen würde? Schließlich fiel der Abschluss dieser Vereinbarungen in seine Amtszeit.
Gyurcsány ist und bleibt der Totengräber der ungarischen (sog.) Linken.
Lieber HV,
es mag so sein oder werden. 5% für Gyurcsány wären ein peinliches Zeugnis für Ungarn, aber nicht so übel wie die heutigen 16% für Jobbik.
Mit der DK (Demokratischen Koalition), die mit dem Slogan „az összefogás partja“ (Partei der Koalition/des Zusammenhalts) wirbt, können wohl nur einige
Journalisten im Westen koalieren. Gyurcsány bleibt wirklich der Totengräber der ungarischen Linken, hoffentlich nicht Ungarns.
[…] Ex-Premiers Beobachter mit einem 16-Punkte-Programm für die kommenden Wahlen im Frühjahr 2014 (die Budapester Zeitung berichtete), welches bis zum Frühjahr um weitere 70-80 Punkte erweitert werden soll. Bereits die ersten […]