Die Architektur dieser Stadt hat mich vom ersten Moment an in ihren Bann geschlagen. Auf Schritt und Tritt sieht man, dass den einstigen Stadtvätern und den von ihnen beauftragten visionären Architekten jedwede Zurückhaltung und Bescheidenheit fern standen. Das Gros der Budapester Altbauten verströmt ein Fluidum der Größe, Bedeutsamkeit und Imposanz. Sie sind gewissermaßen ein Spiegelbild der ungarischen Volksseele, die seit jeher der fixen Idee verfallen ist, Ungarn größer, erhabener und mächtiger zu sehen, als es den tatsächlichen Dimensionen des Landes entspricht. Es reicht, bloß an die Grandiosität des Parlaments oder der St. Stephans Basilika zu denken.
Man kann es dem Besucher dieser Stadt nicht oft genug sagen: Richten Sie den Blick doch bitte empor! Ja, empor! Denn über dem hektischen Budapester Verkehr und den invasiven Schaufenstern, die unsere Aufmerksamkeit förmlich knebeln, fängt der ästhetische Genuss erst an. Welche Geschichten entfalten sich da an den Fassaden, wenn man nur den Blick hebt und der ins Korsett des Alltagstrotts gezwängten Vorstellung freien Lauf lässt!
Denken wir nur an die mannigfachen Gesichter und Fratzen, die seinerzeit kunstvoll aus Stein gehauen wurden und den Fassaden buchstäblich ein Gesicht verleihen, oder an die unzähligen Narben, die von den Gefechten der Weltkriege und des Freiheitskampfes 1956 künden. Doch zurück zur Ästhetik früherer Architektur. Welch hehrer Anspruch herrschte dereinst bei der Planung und beim Bau von Wohngebäuden – während heute das Diktat prosaischer Kalkulation dominiert. Der Gestaltungseifer und die Detailverliebtheit an den Fronten der Gebäude ist einem phantasielosen Nützlichkeits- und Funktionalitätsprinzip gewichen – wodurch sich unweigerlich auch der Blick des Passanten entleert. An den glatten, monotonen Oberflächen neuerer Bauten findet unsere Phantasie schier keinen Halt mehr, in unserer Vorstellungswelt entspinnen sich keinerlei Geschichten, was uns lediglich übermannt, ist ein beklemmendes Gefühl der Tristesse.
Um wieder von den Altbauten der Stadt zu sprechen: Eine Ode an diese ist nicht vollständig, ohne die schummrigen Innenhöfe mit ihren schwindelerregenden Rundgängen zu erwähnen, wo der Muff alten Gemäuers, die Ausdünstungen der Wohnungen und ein Duftcocktail aus húsleves, rántott hús und pörkölt* eine säuerlich riechende Gemengelage bilden. Die Innenhöfe sind gewissermaßen das kollektive Unterbewusste der Stadt, ein Echoraum der Budapester Seele. Tag für Tag tragen sich hier Dramen und Tragödien, aber auch Freuden und Glücksmomente zu. Nehmen Sie doch einmal ihren ganzen Mut zusammen und stehlen Sie sich in einen dieser majästetischen Altbauten hinein, um sich drinnen, im kühlen Dämmerlicht der Innenhöfe, dem gärenden Seelenleben der Stadt hinzugeben! Sie werden Budapest und seine Bewohner danach besser verstehen…
Ein Budapester Stadtstreicher
*Fleischsuppe, Schnitzel und Gulasch
Besuch in einer Garküche
Wer an einem Ort speisen will, wo der Durchschnittsbudapester regelmäßig einkehrt, ist hier genau richtig! Hat es Sie schon mal in den Bezirk Újpest im Norden der Stadt verschlagen? Um dorthin zu gelangen müssen Sie lediglich in die blaue Metro steigen und bis zur Endhaltestelle „Újpest központ” fahren. Wählen Sie in der Metro-Unterführung den Ausgang Richtung István út und spazieren sie in die rechts von besagtem István út gelegene Parallelgasse namens Kassai utca (stadtauswärts). Ziemlich am Ende finden Sie die etwas schäbige, aber dennoch einladende „Kassai Étkezde” im Souterrain eines Eckgebäudes, eine Garküche („kifőzde”) vom alten Schlag! Zu wohlfeilen Preisen können Sie hier – durch ein Fensterchen in die Küche – praktisch alles bestellen, was ein eingefleischter Ungar zu essen pflegt, angefangen von der Knochensuppe (csontleves) über Pilzgulasch (gombapaprikás) mit galuska (Spätzle) bis hin zu Schnitzel (rántott hús). Und wie diese Traditionsgerichte dort schmecken!