Nach Außenminister János Martonyi und EMMI-Minister Zoltán Balog konnte sich der Deutsche Wirtschaftsclub Budapest auf seiner Oktoberveranstaltung über einen weiteren Minister als Gastreferent freuen: Tibor Navracsics. Der Minister für Justiz und Verwaltung (KIM) äußerte sich zu den Ergebnissen und Perspektiven der Regierungspolitik.
Seit 2006 sei es seiner Meinung nach klar gewesen, dass der Fidesz die nächsten Parlamentswahlen gewinnen würde, die einzige Frage war lediglich, in welchem Umfang. Dass es dann sogar zu einer Zweidrittelmehrheit im Parlament reichte, sei nicht nur eine große Gelegenheit, sondern auch eine große Verpflichtung gewesen. „Diese Mehrheit war auch eine Riesenlast für uns. Es hätte keine Entschuldigung gegeben, wenn wir in den vier Jahren, in denen wir eine einmalige Gestaltungsmöglichkeit hatten, nicht den enormen Reformstau angegangen wären.”
Nach einer Prioritätsliste habe man dann begonnen, sämtliche Gesetze, die erneuert oder gar erst erlassen werden mussten, vor das Parlament zu bringen. Dieses enorme Tempo, räumte der Minister freimütig ein, sei auch zu Lasten der Berechenbarkeit gegangen. Rasch gehandelt werden musste nicht nur wegen des begrenzten Zeitfensters, sondern auch wegen dem hohen Anteil an armen Staatsbürgern, der ein enormes Risiko für die Gesellschaft in sich berge. Vor diesem Hintergrund habe die Regierung auch entschieden bei den Wohnnebenkosten reagiert, westliche Preise bei ungarischen Löhnen zu verlangen, sei einfach nicht mehr haltbar gewesen.
In Sachen EU wies Navracsics darauf hin, dass seine Regierung eine neue Partnerschaft mit der EU anstrebe. „Die ungarischen Wähler haben uns das Mandat für eine aktivere Vertretung ungarischer Interessen auch auf EU-Ebene gegeben“, stellte der Minister klar. Insgesamt gehe es aber darum, dass sich ein neues Ungarn und eine neue EU finden sollten. Eine Erneuerung der EU halte er deshalb für angeraten, weil die Ursachen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise nicht so sehr an der Oberfläche, sondern viel tiefer liegen würden. Seiner Meinung nach befinde sich die EU unter anderem in einer Identitätskrise.
Angesprochen auf denkbare Koalitionsvarianten nach den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr stellte Navracsics unmissverständlich klar, dass für den Fidesz eine Koalition mit extremen Parteien nicht in Frage käme. Zur rechtsextremen Partei Jobbik merkte er noch an, dass sie isoliert werden müsse. „Wir werden ihr keine Chance geben zu wachsen.“ Was die wichtigsten Aufgaben für die Zeit nach den kommenden Wahlen betreffe, so erwähnte er zu allererst die Notwendigkeit eines neuen Steuersystems und weitere Verbesserungen am Arbeitsmarkt. Generell wies er auf die Notwendigkeit einer neuen Partnerschaft mit der Wirtschaft hin. „Es gibt viel Raum, um den Dialog mit der Wirtschaft zu verbessern“, ließ der Minister Problembewusstsein erkennen.