In einem Interview, das er am Montag der Fernsehjournalistin Olga Kálmán vom linksliberalen Fernsehsender ATV gegeben hat, kritisiert OTP-Präsident Sándor Csányi die Regierung, staatliche Gelder dafür verwandt zu haben, um einzelne heruntergewirtschaftete Unternehmen der Lebensmittelindustrie zu „retten“ und darüber hinaus denjenigen unter die Arme zu greifen, die ihre spekulativen Investitionen über Fremdwährungskredite finanziert haben.
Csányi hat die Position des Präsidenten und Vorstandes der OTP Bank seit 1992 inne. Er war auch als stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates der ungarischen Ölgesellschaft MOL Nyrt und als Vizepräsident der VOSZ (Landesverband der Unternehmer und Arbeitgeber) tätig. Im Juli 2010 wurde er zum Präsidenten des ungarischen Fußballbundes (MLSZ) ernannt. Csányi genießt enge persönliche Beziehungen zu vielen ranghohen Fidesz-Politikern, darunter Ministerpräsident Viktor Orbán, den er häufig zu wichtigen Fußballspielen begleitet.
Abgesehen davon, dass Csányi der Kopf der OTP Bank ist, ist er angesichts seines sagenhaften Wirtschaftsimperiums auch einer der wichtigsten Kunden der OTP. Sein Wirtschaftsimperium umfasst eine breite Palette von Betrieben der Lebensmittelindustrie (darunter finden sich der Milcherzeuger Sole-Mizo Zrt. und der Fleischproduzent Délhús Zrt.). Neben Großinvestitionen im Telekommunikationsbereich und auf dem Immobiliensektor steht Csányi auch im Ruf, einer der größten Eigentümer von Landwirtschaftsflächen und als solcher einer der größten Empfänger von EU-Agrarsubventionen in Ungarn zu sein. Anfang dieses Jahres schätzte die Wirtschaftszeitung Napi Gazdaság sein persönliches Vermögen auf 135 Milliarden Forint, was ihn zum reichsten Mann in Ungarn macht.
Csányi diesmal ungewohnt kritisch
Im Juli hatte Csányi nicht nur die Regierung, sondern auch die Finanzmärkte überrascht, als er um 7,8 Milliarden Forint nahezu alle 2,7 Millionen OTP-Aktien verkaufte, die in seinem Eigentum waren – wenige Tage vor einer geplanten Parlamentsdebatte darüber, ob der Bankensektor verpflichtet werden sollte, weitere Verluste der Opfer von Fremdwährungskrediten im Rahmen eines zweiten „Rettungspaketes“ abzudecken. Der Verkauf der Aktien durch Csányi und andere OTP Direktoren wurde weithin als ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Orbán gesehen, die in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe von Sondersteuern für Banken eingeführt hatte.
Entgegen seines sonst stoischen Wesens waren Csányis Äußerungen am Montag ungewohnt kritisch. So warf er der Regierung vor, mit dem gesamtgesellschaftlichen Problem der Fremdwährungskredite schlecht umgegangen zu sein. Er behauptete, dass unter den Begünstigten des ersten Rettungspaketes viele waren, die die in Anspruch genommenen billigen Euro- und Schweizer Franken-Kredite für spekulative Investitionen verwendet hätten. Er sagte auch, dass die Maßnahmen der Regierung, die 503.000 Inhaber von Fremdwährungskrediten zu „retten“ mehr geschadet als genutzt hätten. Die Regierung habe nichts unternommen, um den 640.000 ungarischen Haushalten zu helfen, die Schwierigkeiten haben, ihre Forint-basierten Hypothekendarlehen zurückzuzahlen. Csányi sprach sich dafür aus, dass alle künftigen Initiativen der Regierung sich auf jene Haushalte konzentrieren sollten, die nicht in der Lage sind, ihre Hypothekendarlehen (sowohl in Forint als auch in Fremdwährungen) zu bedienen. Familien die Hunger leiden und ohne Heizung leben, Familien, die unter dem Existenzminimum leben.
Parlamentarier als Kreditnehmer
Csányi stellte auch die Behauptung auf, dass Ende 2011 73 Prozent der Parlamentsabgeordneten selbst die Gelegenheit genutzt hätten, sich ihre Fremdwährungsdarlehen auszahlen zu lassen. Er wies darauf hin, dass unter den Hauptnutznießern des sogenannten Fremdwährungs-Rettungspaketes im Jahr 2011 hochrangige Politiker und Regierungsbeamte gewesen seien, die finanziell eigentlich selbst in der Lage gewesen wären, ihre Fremdwährungskredite zu bedienen, etwa in Form von Forint-basierten Darlehen im Rahmen einer Umwandlung.
Unter Anerkennung der Tatsache, dass die Banken die Vergabe der Fremdwährungskredite ohne ausreichende Bonitätsprüfung geleistet hätten, wies er darauf hin, dass Ungarn 2004 der EU mit dem Ziel beigetreten sei, im Jahr 2008 den Euro einzuführen. Wäre dies geschehen, gäbe es heute keine Schuldenkrise im Fremdwährungsbereich. Csányi bestritt kategorisch, dass die OTP-Bank ihre Kunden über die Risiken der Fremdwährungsdarlehen nicht angemessen informiert hätte. Jeder Kunde der OTP-Bank habe in Gegenwart eines Notars einen Vertrag unterschreiben müssen, dass er über die Risiken in Bezug auf den Devisenkredit vollinhaltlich informiert worden sei.
Csányi behauptete ferner, dass sehr viele Spekulanten vom Rettungspaket 2011 profitiert hätten, die nicht hilfsbedürftig gewesen seien und den Banken und den ungarischen Steuerzahlern enorme Kosten verursacht hätten. Nach Csányis Berechnungen würden die nun geplanten Maßnahmen der Regierung dem Bankensektor Kosten in Höhe von rund 900 Milliarden Forint aufbrummen (davon entfielen allein auf die OTP etwa 300 Milliarden Forint). Während Csányi davon ausging, dass die OTP einen Verlust in dieser Größenordnung überleben werde, gab er sich in Hinblick auf die OTP-Konkurrenten pessimistisch. Viele Banken werden seiner Ansicht nach nicht überleben.
Während des Interviews mit Olga Kálmán kritisierte er auch heftig die Praxis der Regierung, maroden staatlichen Unternehmen interventionistisch unter die Arme zu greifen. Dies verzerre den Marktwettbewerb zum Nachteil der Privatunternehmen, die keine Subventionen von Seiten der Regierung erhielten. Deshalb sprach er sich denn auch dagegen aus, maroden Unternehmen staatliche Finanzspritzen zu geben, etwa dem Fleischproduzenten Gyulai Húskombinát Zrt. Wie Csányi ausführte, müsste die Lebensmittelindustrie als Ganzes auf Vordermann gebracht werden. Darüber hinaus müsste die Schattenwirtschaft zurückgedrängt, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel gesenkt und die Steuerflucht eingedämmt werden. Wenn die Regierung schon interventionistisch auf den Plan trete, dann sollte sie allen Produzenten gleichermaßen helfen, so Csányi.
Mit Blick auf den Landwirtschaftssektor sagte der OTP-Chef, dass die Agrarproduktion um das Zweifache erhöht werden könnte, wenn die Produzenten Zugang zu angemessenen Krediten hätten. Csányi gab diesbezüglich seiner Meinung Ausdruck, dass eine „Grüne Bank“, die an Agrarproduzenten Niedrigzins-Kredite vergeben würde, von größerem Nutzen wäre als interventionistische Maßnahmen der Regierung. Besonders bedauerlich sei, so Csányi, dass die Regierung dieser Möglichkeit per Grundgesetz einen Riegel vorgeschoben habe.
Zu seinem Zwist mit dem leitenden Staatssekretär im Ministerpräsdialamt, János Lázár, sagte Csányi, dass die Differenzen auf das Jahr 2006 zurückdatierten, als Lázár noch Bürgermeister der südostungarischen Stadt Hódmezővásárhely war (eine hochverschuldete Stadt). Näheres wollte er darüber aber nicht sagen. Er bestätigte jedoch, dass er gegen Lázár Anzeige erstattet habe, weil dieser ihn kürzlich als den „größten Wucherer“ des Landes bezeichnet hatte. Zum Abschluss des Interviews machte er noch auf den zynischen Versuch der Regierung aufmerksam, mit ihrer Banken-feindlichen Rhetorik um die Stimmen von verschuldeten Wählern zu buhlen. Wie er sagte, gereicht das jetzige politische Klima hierzulande Ungarn wettbewerbsmäßig zum Nachteil.