Seit bald zwei Jahrzehnten ist die von Andreas Moellendorf geleitete Beratungsfirma Moellendorf & Company Kft. in Budapest aktiv. Während das Gros der Geschäfte inzwischen in den Partnerbüros in München, Warschau, Moskau und Istanbul abläuft, sieht der Geschäftsführer aber auch in Ungarn durchaus noch gute Entwicklungsmöglichkeiten.
In letzter Zeit ist es in Ungarn in Sachen M&A, also der Veräußerung von Unternehmen und Unternehmensanteilen, ein wenig ruhiger geworden. Trifft dieser Eindruck zu?
Ja, wir haben hier durchaus schon einmal bessere Zeiten erlebt. Ganz am Boden ist das ungarische Transaktionsgeschäft aber auch nicht. Im Wesentlichen spielt es sich heute in zwei Bereichen ab. Zum einen dort, wo der Staat direkt oder im Hintergrund mitwirkt, wie etwa bei Rába, MOL, der Takarékbank und den Budapester Wasserwerken. Zum anderen in der Privatwirtschaft, wo aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise, ein hoher Restrukturierungs- und Konsolidierungsdruck besteht. Ausländische Unternehmen prüfen zumeist aufgrund pessimistischer Ertrags- und Wachstumsperspektiven ihr bestehendes Engagement in Ungarn, inländische wiederum insbesondere wegen ungünstiger Finanzierungskonditionen, Fehler bei der strategischen Ausrichtung und dem Fehlen von Nachfolgeregelungen. Aber auch insgesamt ist es in der von uns bearbeiteten Region Zentral- und Südosteuropa deutlich ruhiger geworden. Infolgedessen haben wir unser Netz an Vertretungen gestrafft. Während wir in den guten Jahren fast in jedem Land, in dem wir geschäftlich aktiv waren, gleich ein eigenes Büro aufmachten, haben wir uns inzwischen auf die Schwerpunktländer unserer Aktivitäten konzentriert, namentlich auf Deutschland, Polen, Russland und die Türkei. Unsere Zentrale ist aber weiterhin Budapest.
Warum ist in Polen, Russland und der Türkei in Sachen M&A mehr los als in Ungarn?
Die Erklärungen dafür sind vielfältig. Hier nur einige: Polen hat es beispielsweise geschafft, eine gut funktionierende Börse zu entwickeln und gleichzeitig eine Vielzahl international wettbewerbsfähiger inländischer Unternehmen zu fördern. Von beidem kann in Ungarn leider nicht die Rede sein. Die Türkei und Russland stehen wiederum für große Wirtschaftsräume mit einem enormen Investitionsbedarf. Ein gutes Geschäftsklima macht in beiden Ländern die relativ höheren Landesrisiken mehr als wett. Dazu kommt bei beiden Märkten als relativer Standortvorteil, dass sie zwar außerhalb der EU liegen, jedoch mit akzeptablen Investitionsschutz- beziehungsweise Handelsabkommen ausgestattet sind. In beiden Ländern sehen wir in den kommenden Jahren viel Wachstumspotenzial.
Warum haben Sie Ihre Zentrale weiterhin in Ungarn, wo doch das Land derzeit für Sie geschäftlich kaum noch eine Rolle spielt?
Das hängt einfach mit unserer Entwicklung zusammen. Unsere Firma hat in Ungarn ihre Wurzeln, sie wurde hier gegründet und wuchs hier entscheidend. Wir haben in den 1990er Jahren in einem sehr aktiven Transformationsumfeld in Budapest Fuß gefasst und konnten nach unserer Gründung an mehreren bedeutenden Transaktionen und Privatisierungen teilnehmen. Daneben begleiteten wir eine Vielzahl kleinerer und mittlerer Investitionen und Beteiligungen, so etwa aktiv den Kauf des größten ungarischen Zuckerherstellers Magyar Cukor Rt. durch Südzucker/Agrana und die Privatisierung der Budapester Abwasserbetriebe durch Berliner Wasserwerke/Ondeo. In Ungarn und hauptsächlich durch ungarische Geschäfte ist unsere Firma groß geworden. Von daher haben wir eine besondere Beziehung zu diesem Land und bleiben unseren Wurzeln noch immer treu. Nach den Boomjahren in Ungarn lebte ich mehrere Jahre in Polen, Rumänien und Russland, um unsere dortigen Aktivitäten aufzubauen. Vor etwa acht Jahren kehrte ich aus mehreren Überlegungen nach Budapest zurück. Budapest ist ein hervorragender Standort für die Bearbeitung der umliegenden Länder. Vor Ort gibt es gut ausgebildete und hochmotivierte potenzielle Mitarbeiter zu überschaubaren Kosten. Außerdem gibt es im europäischen Vergleich attraktive Steuern. Das alles sind Dinge, die unser Festhalten an Ungarn mitbegründen. Daneben möchte ich aber auch nicht übergehen, dass Ungarn ein hohes Maß an Lebensqualität bietet und es hier sehr angenehm ist, mit der Familie – wir haben drei Kinder – zu leben.
Wie sind Ihre geschäftlichen Aussichten in Ungarn?
Im Moment haben wir nur wenige Mandate mit Ungarn-Relation. Das kann sich aber jederzeit ändern. Wir halten hier unsere Augen und Ohren offen. In Bezug auf Ungarn interessieren uns aber nicht nur M&A-Themen. Auf Grund unseres reichen Erfahrungsschatzes in vielen Branchen und unserer guten Landeskenntnis halten wir auch nach Unternehmen Ausschau, an denen wir uns mit Kapital, aber auch mit Managementkapazitäten beteiligen können. Nachdem wir jahrelang den Kauf und Verkauf von Unternehmen und Unternehmensanteilen begleitet haben, würde es mich persönlich sehr reizen, Unternehmen auch auf der operativen Ebene zum Erfolg zu führen. Unser M&A-Geschäft würde aber – wenn es zu einem solchen Schritt kommen sollte – selbstverständlich nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir sehen das Beratungs- und Beteiligungsmodell als Weiterentwicklung, nicht aber als Abkehr von unserem Kerngeschäft.
Welche Einstiegsmöglichkeiten würden Sie konkret interessieren?
Wir können uns vorstellen, aktiv zu werden, wenn etwa ein ausländisches Unternehmen enger mit einem lokalen Unternehmen zusammenarbeiten möchte, eine Übernahme aber nicht möglich ist. Weiterhin interessieren uns Unternehmen mit nicht ausgeschöpftem Wachstumspotenzial und unter Umständen auch Restrukturierungsfälle. Derzeit prüfen wir solche Projekte. Uns drängt hier aber nichts, daher nehmen wir uns die Zeit, behutsam vorzugehen und sorgfältig abzuwägen.
Wie muss man sich generell Ihr M&A-Geschäft vorstellen?
Unser Geschäft besteht darin, entweder für einen Käufer beratend tätig zu sein, das kann für ein konkretes Zielunternehmen sein, kann aber auch die Suche und Identifikation derartiger Zielunternehmen im Rahmen einer Käufermandatierung umfassen. Weiterhin unterstützen wir im Rahmen einer Verkaufsmandatierung auch die verkaufende Seite. Ein wesentlicher Mehrwert unserer Tätigkeit besteht darin, die teilweise sehr komplexen Verkaufsprozesse mit erfahrenen und zuverlässigen Beratern professionell zu begleiten und umzusetzen. Derzeit liegt das Schwergewicht unserer Tätigkeit bei der Betreuung von Kaufmandaten, insbesondere von deutschsprachigen Investoren.
Woher bekommen Sie die Information hinsichtlich möglicher Käufer und Verkäufer?
Besonders bei Verkaufsmandatierungen werden wir immer mehr durch Banken, Anwaltskanzleien oder andere Geschäftskontakte an potenzielle Mandaten empfohlen. Kaufmandate akquirieren wir in der Mehrzahl gezielt dadurch, dass wir für ausgesuchte Branchen und uns bekannte Adressen potenzielle Beteiligungsmöglichkeiten vorstellen und eine Beratung vereinbaren. Wenn wir etwa erfahren, dass ein russischer Süßwarenproduzent zum Verkauf steht, dann bereiten wir den Fall auf und sprechen gezielt potenzielle Interessenten an. Wenn wir erkennen, dass ein Unternehmen sehr gut zu einem anderen Branchenplayer passen würde, gehen wir sogar soweit, gezielt an diese Unternehmen heranzutreten, selbst wenn sie bisher noch keine Verkaufsabsicht bekundet haben.
Also kein bloßes Vermitteln von Angebot und Nachfrage…
Wenn man in unserem Bereich erfolgreich mitspielen möchte, reicht es nicht, auf fertige Gelegenheiten zu warten, immer wieder müssen sie geschaffen werden. Proaktivität ist bei uns ganz wichtig. Um wiederum zu wissen, für was sich potenzielle Käufer interessieren könnten, ist eine möglichst genaue Kenntnis ihrer Unternehmen, aber auch generell der Branchentrends entscheidend. Neben den erwähnten Empfehlungen durch Banker und Anwälte spielen bei uns aber auch Informationen aus unserem weltweiten Kontaktenetzwerk eine große Rolle. Viele zweckdienliche Informationen besorgen wir uns aber auch einfach über das Internet. Oft ist nicht die Information selbst das Entscheidende, sondern das Erkennen ihres Potenzials, was man aus ihr machen kann. Hier kommt wieder die langjährige Erfahrung mit ins Spiel.
Wie ist Ihre momentane Geschäftslage?
Wir beschäftigen uns derzeit mit etwa 20 Mandaten pro Jahr, die sich auf verschiedene Länder verteilen, in fast allen Fällen handelt es sich um Projekte mit grenzüberschreitenden Transaktionen. Knapp über die Hälfte sind Kaufmandate deutschsprachiger strategischer Investoren, der Rest sind zentral- osteuropäische Verkaufsmandate. In diesem Jahr begleiten wir auch zum ersten Mal zwei Such- und Kaufmandate für den US-Markt, die sehr erfolgversprechend sind. Von daher denken wir derzeit immer ernster darüber nach, auch dort mit einem Partnerbüro Fuß zu fassen.
Wie hat sich die Struktur und Arbeitsweise Ihrer Firma mit dem Abflauen der Aktivitäten im M&A-Bereich geändert?
Wir mussten seit der Lehman-Krise unsere Büro- und Organisationsstruktur völlig umstellen und arbeiten heute eher branchenspezifisch und überregional. Die Anzahl der Mitarbeiter hat sich in Folge dieser Veränderung reduziert. Heute setzen wir auf ein größeres Kernteam in Budapest mit Büros und Partnern in den wichtigsten Regionen beziehungsweise Ländern.
Auf Grund Ihrer geschäftlichen Aktivitäten haben Sie einen guten Überblick über die Länder der Region? Wo tut sich was? Wo trübt es sich ein?
Die Region Zentraleuropa befindet sich generell in einer Rezession, wobei dafür aber andere Gründe verantwortlich sind als in Südeuropa. Die größten Probleme in Ungarn sind die geringe Binnennachfrage und ein schlechtes Investitionsklima. Kurzfristig erwarte ich keine wesentliche Verbesserung der Lage. Die polnische Wirtschaft ist dagegen sehr solide und bietet viele attraktive Möglichkeiten. Die größten Wachstumsraten sehe ich aber in Russland und in der Türkei.
Mit welchen konkreten Maßnahmen könnte Ungarn seine Wirtschaft ankurbeln?
Große Chancen sehe ich im Bereich Forschung & Entwicklung (F&E), speziell bei Biotechnologie, Umwelttechnik und Elektromobilität. Hier gibt es viel Potenzial, das etwa durch noch stärkere Kooperationen mit ausländischen Universitäten und Forschungsstätten gehoben werden könnte. Ich hoffe, dass die ungarische Regierung durch eine optimale F&E-Politik ihren Beitrag dazu leistet. Entsprechende konkrete Schritte von ihrer Seite stimmen zumindest hoffnungsfroh und lassen erkennen, dass sich die Regierung der Bedeutung dieses Gebietes bewusst ist.