Seit seiner Gründung im Jahre 1995 leitet Ágnes Perlaky das auf Firmen- und exotische Reisen spezialisierte Reisebüro Morea, die letzten 15 der insgesamt 17 Jahre sogar als Inhaberin. Die Budapester Zeitung sprach mit ihr unter anderem über die neue Situation auf dem ungarischen Markt seit der Malév-Pleite und die Notwendigkeit einer neuen nationalen Fluggesellschaft.
Hat sich die Lage seit dem Malév-Aus wieder einigermaßen beruhigt?
Nein, eine beruhigte Lage sieht anders aus. Nach wie vor gibt es viel Bewegung am Markt. Die Aufteilung des Malév-Kuchens ist noch in vollem Gange. Endgültig ist momentan noch nichts.
Wie gut konnten die ausgefallenen Malév-Destinationen ersetzt werden?
Nur in groben Zügen. Für einige Destinationen, hauptsächlich innerhalb der Region wie Pristina, Sarajewo oder auch Belgrad, gibt es aber immer noch keinen Ersatz. Ich gehe davon aus, dass sich daran so schnell auch nichts ändern wird, da sich die Diskont-Fluggesellschaften nur auf die hoch profitablen Strecken stürzen. Die Situation ist nicht gut für unser Geschäft, da bei unseren Firmenkunden die jetzt verwaisten Destinationen sehr populär waren.
Was bringt die neue Lage noch für Sie?
Mehr Arbeit! Statt hauptsächlich nur mit einer bestimmenden Fluggesellschaft müssen wir uns jetzt mit einer Vielzahl verschiedener Diskont-Fluggesellschaften beschäftigen. Das kostet viel zusätzliche Zeit. Während wir bei Malév Zugang über das einheitliche Amadeus-System hatten, müssen wir uns jetzt durch eine Fülle an Internetseiten durcharbeiten. Für die gleiche Gebühr müssen wir jetzt also viel mehr arbeiten, um für unsere Kunden die jeweils beste Lösung zu finden.
Haben die Kunden wenigstens Kostenvorteile, da sie jetzt gezwungenermaßen mehr mit Billigfliegern unterwegs sind?
Nein, spürbare Kostenvorteile gab es höchstens ganz am Anfang, insbesondere nachdem Ryanair auf den Markt drängte. Diese Phase ist jetzt aber schon wieder vorbei. Auf dem ersten Blick sehen die Preise der Billigflieger vielleicht auch jetzt noch günstiger aus als die einstigen von Malév. Rechnet man aber all die Gebühren, die Flughafensteuer und sonstige Kostenelemente hinzu, ist von den scheinbar so günstigen Tickets meist nicht mehr viel übrig. Das Wort „billig“ in der Bezeichnung für diese Klasse an Fluggesellschaften ist also nicht so ganz wörtlich zu nehmen. Statt auf den Preis bezieht es sich zumeist nur auf die Servicequalität und die Zuverlässigkeit.
Also ist die neue Situation weder für die Reisebüros, noch für die Kunden günstiger. Das wären doch schon einmal zwei Gründe für die Schaffung einer neuen nationalen Fluggesellschaft.
Ich glaube, dass es bald eine derartige Fluggesellschaft geben wird. Die Lage ist für unsere gesamte Branche nicht gut. Ganz zu schweigen von den schwerwiegenden volkswirtschaftlichen direkten und indirekten Schäden. Die jetzige Situation kann kein Dauerzustand bleiben. Früher war die Anzeigentafel mit den ankommenden Flügen so voll, dass sie nicht gleichzeitig angezeigt werden konnten. Jetzt haben sie alle bequem auf der Tafel Platz. Wo man hinschaut, es ist deutlich zu spüren, dass eine Menge Flüge fehlen. Diese Lücke verlangt einfach, dass sie so bald wie möglich wieder geschlossen wird.
Wie könnte eine neue nationale Fluggesellschaft aussehen?
Sie hätte vermutlich mehrere Eigentümer und deutlich weniger Personal als Malév. Im Gespräch sind derzeit verschiedene mögliche Eigentümer und Konstellationen. Endgültige Informationen gibt es aber noch nicht. Ich hoffe sehr, dass sich auch der Staat hinter verschlossen Türen mit solchen Plänen beschäftigt.
Warum kann die existierende Wizz Air nicht zur neuen nationalen Fluggesellschaft werden?
Eine Diskont-Fluggesellschaft kann diese Rolle nicht übernehmen. Auch eine Beteiligung des Staates ist – wie hoch auch immer – auf jeden Fall notwendig. Wir brauchen eine wirkliche, verlässliche nationale Fluggesellschaft, und nicht eine, die sich nur einige profitable Brocken herauspickt und diese je nach Marktlage pflegt oder rasch wieder fallenlässt. Wir brauchen eine Fluggesellschaft, die sich systematisch, langfristig und flächendeckend um die Region kümmert und den Knotenpunkt Budapest strategisch aufbaut. Viele Kunden sind auch nicht bereit, die Begleiterscheinungen von Diskont-Fluggesellschaften wie eine höhere Häufigkeit bei Verspätungen, geringere Zuverlässigkeit und schlechteren Service zu akzeptieren.
Warum kam es beim plötzlichen Aus von Malév nicht sofort zur Gründung einer nationalen Alternative?
Bis zum heutigen Tag versteht dieses unverzeihliche Versäumnis niemand. Schon seit geraumer Zeit war klar, dass Malév nicht mehr zu retten war. Permanent legte die Fluggesellschaft ein Verlustjahr nach dem anderen hin. Der Ausgang der Geschichte war für jeden halbwegs gescheiten Beobachter klar zu erkennen, Zeit sich über Alternativen Gedanken zu machen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, wäre also auch gewesen. Ich verstehe nicht, warum man sehenden Auges in die Malév-Pleite schlitterte, ohne zeitgleich eine Alternative aufzubauen. Vielleicht haben die Verantwortlichen die Rolle von Diskont-Fluggesellschaften fahrlässig überschätzt. Vielleicht waren sie sich aber auch nicht im Klaren darüber, wie viele Arbeitsplätze und wie viel Umsatz von der Existenz einer nationalen Fluggesellschaft abhängen – nicht nur direkt bei Malév, sondern auch bei den Zulieferern und bei den Tourismusanbietern. Auch das große Leid bei den Malév-Mitarbeitern scheint die Verantwortlichen nicht berührt zu haben. Viele waren ihr ganzes Leben lang nur bei Malév beschäftigt. Wegen einer wenig durchdachten Entscheidung war damit auf einen Schlag Schluss. Das ist für viele sehr bitter. Ich selbst habe übrigens im ehemaligen Ticketbüro von Malév am Vörösmarty tér meine berufliche Karriere begonnen. Es war mein erster Arbeitsplatz. Fünf Jahre lang habe ich dort viel gelernt. Damals waren gerade die von Pierre Cardin designten Uniformen eingeführt worden. Mitarbeiter von Malév zu sein, hatte damals ein hohes gesellschaftliches Prestige.
Haben Sie Informationen darüber, dass von Seiten des Staates endlich das Bewusstsein reift, dass hier etwas getan werden müsse?
Nein, nichts Konkretes, nur Gerüchte. Währenddessen wird aus dem Ausnahmezustand immer mehr Normalität, an die sich alle Beteiligten anpassen. Jetzt wurde sogar der Terminal 1 geschlossen, die Diskonter wurden zum Terminal 2B umgeleitet. Das muss man sich einmal vorstellen: An unserem wunderschönen neuen Terminal, dem Zentralterminal der ungarischen Hauptstadt tummeln sich jetzt die Billigflieger! Da stimmt doch was nicht! So etwas gibt es auf keinem anderen europäischen Zentralflughafen! Aber das ist nun einmal die traurige ungarische Realität!
Welche Schäden wird es in Ihrer Branche geben?
Ich kenne etliche Ticketbüros, die wegen der Malév-Pleite Arbeitsplätze abbauen müssen. Auf dem ungarischen Flugticketmarkt rechne ich in diesem Jahr mit einem Umsatzeinbruch von 20 bis 30 Prozent. Nach der Stagnation des Vorjahres keine schöne Aussicht.
Wird es auch zum kompletten Aus von Reisebüros kommen?
Ganz sicher! Wer keine Reserven hat und den Umsatzeinbruch nicht anderweitig kompensieren kann, wird dieses Jahr nicht überleben. Unsere Branche wird aber nicht nur durch ein schrumpfendes Marktvolumen gebeutelt, auch der allgemeine Vertrauensverlust wirkt sich negativ aufs Geschäft aus. Immer mehr Kunden buchen deutlich kurzfristiger.
Worauf sollte man im Bewusstsein bevorstehender Reisebüropleiten als Kunde achten?
Man sollte möglichst nur bei solchen Reisebüros buchen, die schon lange auf dem Markt sind, eine gute Reputation und einen gute Namen beziehungsweise namhafte Netzwerkpartner haben. Speziell wir sehen uns bei unseren Reisebüro-Partnern inzwischen deren wirtschaftlichen Hintergrund noch genauer an. Hätte man sich rechtzeitig für die Zahlen des im letzten Jahr gescheiterten Reisebüros Aeroviva interessiert, wären vielen viele böse Überraschungen erspart geblieben. Leider lassen sich ungarische Verbraucher zu sehr vom Preis leiten. Darauf setzen einige unseriöse Anbieter auf unserem Markt.
Kann man sich als Kunde nicht über Versicherungen schützen?
Theoretisch schon, aber praktisch… Solange die Polizei einen Pleitefall nicht abgeschlossen hat, gibt es kein Geld. Das kann sich schon einmal über Jahre hinziehen. Die Kunden gehen nach so langer Zeit zumeist leer aus.
t Wie viel Geld schuldet Malév Ihnen?
Zum Glück nicht so viel, unter anderem, weil wir mit Malév keine Chartergeschäfte gemacht haben. Anfang April erwarten wir die Entscheidung, wie viel Geld wir zurückbekommen. Inzwischen gibt es in unserer Branche begründete Vermutungen, dass es Reisebüros gibt, die unter dem Vorwand Malév-Pleite einfach Geld ihrer Kunden einbehalten. Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen: Bei uns gibt es ein solches unsauberes Gebaren nicht! Alle Gelder, die wir von Malév bekommen sollten, werden wir vollständig den Kunden zurückgegeben, die diese eingezahlt haben. Wir denken langfristig und sind an rufschädigen kurzfristigen Einnahmen nicht interessiert.
Welche Existenzberechtigung haben Reisebüros im Internetzeitalter?
Bei uns gibt es persönliche, individuelle Beratung. Wir können etwa unsere Kunden auf Grund eigener Erfahrungen über die Qualität von Fluggesellschaften und Hotels informieren, unseren Kunden also mehr Sicherheit und Komfort bieten. So braucht sich der Kunde nicht mehr durch den riesigen Dschungel an im Internet durchaus verfügbaren Hotelbewertungen durchzuarbeiten. Zumal diese häufig widersprüchlich sind und es hier nicht selten sogar getürkte Bewertungen gibt.
Welche Gründe sprechen noch für die Existenz von klassischen Reisebüros?
Neben der Zuverlässigkeit auch unsere Flexibilität, die besonders in Ausnahmefällen, wie dem Vulkanausbruch im letzten Jahr oder eben jetzt der Malév-Pleite zur Geltung kommt. Kunden, die in solchen Situationen schon einmal versucht haben, über irgendwelche Call-Center ihr Glück zu finden, wissen es sehr zu schätzen, wenn ihnen jemand effizient hilft. Bei den beiden genannten Fällen waren wir rund um die Uhr im Einsatz, um flexible, pragmatische Lösungen zu finden. Im Übrigen sehen wir das Internet nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung. Wir haben selber zwei Internetseiten, die wir permanent weiter entwickeln. Für viele Fälle ist das Internet auch einfach die bessere Alternative, aber eben nicht für alle.
Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich für die Reisenden durch die neue Situation auf den ungarischen Markt? Wird es neue, attraktive Direktflüge aus Budapest geben?
Dazu kann ich mich noch nicht endgültig äußern. Zu viel ist noch im Umbruch. Die Lage hat sich noch nicht beruhigt. Fest steht, dass unsere Kunden über uns jederzeit alle Destinationen buchen können, die von Budapest, aber auch von Wien aus bedient werden. Es ist aber deutlich zu spüren, dass sie nicht so gerne mit Diskont-Flugzeugen fliegen. Auch wir selbst setzten weiterhin bevorzugt auf nationale Fluggesellschaften mit einem zuverlässigen Service, festen Flugzeiten und damit für alle geringeren Risiken. Insofern warten wir ungeduldig auf die neue ungarische nationale Fluggesellschaft.
Exotische Reiseziele
Das Reisebüro Morea wurde 1995 als Tochtergesellschaft des Reisebüros Vista gegründet. Sein Name ist die ungarische Transkription des Namens der Ferientrauminsel Moorea in Französisch-Polynesien. 1997 wurde das Reisebüro von seiner bisherigen Geschäftsführerin Ágnes Perlaky gekauft, die in den Folgejahren die schon zu Vista-Zeiten begonnene Konzentration auf exotische Reiseziele konsequent fortsetzte. Im Laufe der Jahre baute sie neben der Tourismus-Sparte den Geschäftsreisebereich auf, der inzwischen für etwa 80 Prozent des Umsatzes ihrer Firma verantwortlich ist. Statt ursprünglich zwei sind inzwischen 29 Mitarbeiter in drei verschiedenen Büros in Budapest für Morea tätig. 2010 schloss sich das Reisebüro der Lufthansa City Center-Gruppe an, einem Verbund von 600 Büros in 80 Ländern, die gleichermaßen hohen Qualitätsstandards genügen. Gleich im ersten Jahr seiner Mitgliedschaft erhielt Morea innerhalb der Gruppe das Prädikat Business Plus. Außerdem wurde Morea 2011 beim Weltkongress der Gruppe in Griechenland als „Aktivstes Reisebüro“ geehrt. Die Geschäftsführerin selbst reist leidenschaftlich gern, besonders natürlich an exotische Orte fern von Massentourismus. Sie ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder, von denen das größere seit fünf Jahren die Deutsche Schule besucht.