Im Mai dieses Jahres wird sich der Amtsantritt der Regierung von Viktor Orbán zum zweiten Mal jähren. Zwar hat die Regierungspartei Fidesz in den Umfragen massiv an Popularität eingebüßt, der linksliberalen Opposition ist es jedoch nicht gelungen, daraus Kapital zu schlagen. Vielmehr gibt sie derzeit ein Bild heilloser Zersplitterung ab.
Anfang des Jahres schien es noch so, als bestehe im Lager der Linken Einigkeit darin, sogenannte Rundtischgespräche zum Zwecke der Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn abzuhalten, die in den Augen der linken oppositionellen Kräfte von der Regierung Orbán demontiert worden seien. Wie sich im Verlauf des Januars allerdings herausstellte, war hierbei nur der Wunsch der Vater des Gedankens.
Zunächst erteilte die parlamentarische Oppositionspartei „Eine andere Politik ist möglich“ (LMP) Rundtischgesprächen eine Absage. Ihre Begründung: Sie habe kein Interesse daran, mit Politikern und Parteien über eine oppositionelle Allianz zu verhandeln, die sich immer noch dagegen sperren, sich ihrer Vergangenheit offen und ehrlich zu stellen. Gemeint sind die Sozialisten (MSZP) und Ex-Premier Ferenc Gyurcsány (2004-2009), der nach seinem Austritt aus der MSZP Endes des Vorjahres die Partei Demokratische Koalition (DK) gegründet hatte. Für die LMP hat sich Gyurcsány nicht zuletzt durch die „Lügenrede“ von Balatonõszöd und das Fehlverhalten seiner Regierung bei den Straßenunruhen am 23. Oktober 2006 in Misskredit gebracht, und die MSZP deshalb, weil sie dies alles als Regierungspartei damals mitgetragen hat.
MSZP und die Gyurcsány-Partei
Der neue Fraktionsvorsitzende der LMP, Benedek Jávor, erklärte bei seiner Wahl im Januar, seine Partei wolle künftig alleine gegen die Regierung Orbán ankämpfen. Jávor und die LMP wollen ihre Politik künftig wieder mehr auf die Straße verlagern und sich der Zivilsphäre öffnen. Die Ende des Vorjahres gegründete linke Partei 4K! (4. Republik!) folgte dem Beispiel der LMP. Auch sie erteilte Rundtischgesprächen eine Abfuhr. Mit Gyurcsány und der MSZP? Auf keinen Fall! 4K! und ihr Kopf András Istvánffy betrachten die MSZP als Mumie und Ferenc Gyurcsány als politische Leiche. Mit der LMP dagegen ist 4K! aber offenbar bereit, engere Bande zu knüpfen. Einem Bündnis zwischen LMP und 4K! könnte sich, wenngleich in loser Form, auch die Facebook-Gruppe Egymillióan a magyar sajtószabadságért (Milla) anschließen. Milla vermochte im März und Oktober des Vorjahres zwei große Demonstrationen auf die Beine zu stellen. Zu einer Partei will Milla nach dem heutigen Stand der Dinge allerdings nicht werden.
Neben 4K! und Milla sticht in der außerparlamentarischen Sphäre noch eine Organisation ins Auge: die Gewerkschaftsbewegung Szolidaritás, die als Initiator der Rundtischgespräche gilt. Im Gegensatz zu Milla steht Szolidaritás der Gedanke nicht fern, zu einer Partei zu werden. Allerdings: Die noch junge Gewerkschaftsbewegung ist dieser Tage von inneren Gegensätzen zerrissen. Nachdem einer der Köpfe der Organisation, Kornél Árok, jüngst unerwartet abgesetzt worden war, legten zahlreiche führende Mitglieder von Szolidaritás ihre Funktionen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung nieder. Wie es mit Szolidaritás und ihrem eigenwilligen Vorsitzenden Péter Kónya nun weitergeht, weiß derzeit niemand.
Ohne die MSZP ist gegen Orbán nichts auszurichten
In einem sind sich die Beobachter des politischen Geschehens in Ungarn einig: Ohne eine Beteiligung der MSZP ist für die linksliberale Opposition gegen die Regierungspartei Fidesz nichts zu holen. Einziges Problem: Die MSZP, die bei vielen Wählern nach acht glücklosen Jahren am Ruder (2002-2010) in Ungnade gefallen ist, tritt seit den Parlamentswahlen 2010 mehr oder weniger auf der Stelle, zumindest in den Umfragen. Die personelle Verjüngung an der Spitze der Partei, die noch im Frühjahr über die Bühne gehen soll, könnte der MSZP aber womöglich wieder Auftrieb geben. Als einen ihrer zukünftigen Allianzpartner betrachten die Sozialisten die Demokratische Koalition von Ferenc Gyurcsány. Daran ließ MSZP-Vorsitzender Attila Mesterházy kürzlich auch gegenüber der Budapester Zeitung keinen Zweifel.
Ex-Premier Gyurcsány ist für viele Ungarn ein rotes Tuch
Die Demokratische Koalition indes hat mit einem schweren Handicap zu kämpfen: Da Ex-Premier Gyurcsány für viele Ungarn ein rotes Tuch ist, hat sie bei den Wählern kaum Rückhalt. Deshalb die Berührungsängste von LMP und 4K!. Die Liberale Bürgervereinigung, die von ehemaligen Mitgliedern des liberalen Bunds der Freien Demokraten (SZDSZ) 2009 ins Leben gerufen wurde, sieht dies offenbar anders. Unter der Führung des ehemaligen SZDSZ-Vorsitzenden Gábor Kuncze strebt sie eine enge Kooperation mit der Gyurcsány-Partei an.
Ist da schließlich noch die Person von Gordon Bajnai. Nach seinem Ausstieg aus der Politik im Jahr 2010 hat sich der ehemalige Ministerpräsident (2009-2010) bis dato noch nicht erklärt, ob er auf die politische Bühne zurückkehren wolle oder nicht. Viele sehen in ihm den einzigen Politiker von Format, der an der Spitze einer linksliberalen Oppositionsallianz, einer sogenannten Olivenbaum-Koalition nach dem Vorbild Italiens, Viktor Orbán und dem Fidesz Paroli bieten könnte. Zuletzt ließ Bajnai mit einem fundierten Aufsatz über die politische Situation in Ungarn aufhorchen. Solange aber kein ernstzunehmendes und tragfähiges Bündnis im zerklüfteten Lager der Linken geschlossen wird, dürfte sich Gordon Bajnai der Politik wohl fernhalten.