Stärkung der Betriebsräte und Schwächung der Gewerkschaften
Im letzten Teil unserer Serie zum neuen Arbeitsgesetzbuch (ArbG) beschäftigen wir uns mit dem kollektiven Arbeitsrecht. Obgleich die Reaktionen vor Inkrafttreten des ArbG eine andere Interpretation nahe legen, ist das erklärte Ziel des Gesetzgebers die Stärkung der Arbeitnehmervertretungen, insbesondere der Betriebsräte.
Die Verabschiedung des ArbG war begleitet von teilweise vehementen Protesten der Gewerkschaften, deren Nachwehen immer noch nicht ganz abgeklungen sind. Neben der Sorge, dass unter anderem der Kündigungsschutz gelockert werde, befürchteten die Gewerkschaften (teilweise zu Recht), dass ihre Bedeutung abnehmen würde. Eine Ursache dieses gefühlten Bedeutungsverlustes ist sicherlich die eindeutige Stärkung der Betriebsräte. Wenngleich die Betriebsräte im Gegensatz zu Gewerkschaften weiterhin keine juristischen Personen sind und über kein eigenes Vermögen verfügen, so können diese künftig wieder Betriebsvereinbarungen mit dem Arbeitgeber schließen (wie dies schon vor einigen Jahren möglich war), sofern beim Arbeitgeber kein Kollektivvertrag oder eine zum Abschluss eines Kollektivvertrages berechtigte Gewerkschaft existiert. Eine solche Betriebsvereinbarung kann sowohl Rechte als auch Pflichten der Arbeitnehmer regeln.
Betriebsräte können die auf die Arbeitserrichtung bezogenen Regeln kontrollieren
Die Rolle der Betriebsräte wird ebenfalls dadurch gestärkt, dass dieser berechtigt sein wird, die Einhaltung der auf die Arbeitsverrichtung bezogenen Regeln zu kontrollieren. Zur Erreichung dieses Ziels erweitert das ArbG die Themenfelder, in denen der Arbeitgeber zur Einholung der Meinung des Betriebsrates verpflichtet ist. So ist der Arbeitgeber künftig verpflichtet, die Meinung des Betriebsrates vor jeglicher Umstrukturierung einzuholen, ungeachtet, ob eine solche Umstrukturierung wie bislang eine größere Gruppe an Arbeitnehmern betrifft. Allerdings führt die Verletzung der Rechte des Betriebsrates nur zur Abgabe einer Stellungnahme und nicht wie früher zur Nichtigkeit der Maßnahme des Arbeitgebers.
Im Gegensatz zu Betriebsräten beklagen Gewerkschaften die Beschneidung ihrer Rechte. Besonders schwer wiegt der Vorwurf, wonach das ArbG diverse ILO-Abkommen verletzen soll. So soll die Regelung gegen ILO-Abkommen verstoßen, wonach künftig nur noch sechs Gewerkschaftsvertreter arbeitsrechtlich geschützt sein werden. Auch wurde bislang je drei Gewerkschaftsmitgliedern monatlich zwei Stunden Arbeitszeitvergünstigung gewährt, wohingegen künftig je zwei Gewerkschaftsmitgliedern nur noch eine Stunde Arbeitszeitvergünstigung gewährt wird. Weiter wird es nicht mehr möglich sein, diese Arbeitszeitvergünstigung in Geld abzugelten, wodurch den Gewerkschaften eine nicht unwichtige Einnahmequelle entfallen wird.
Gewerkschaften können keinen Einspruch mehr erheben
Die wahrscheinlich wesentlichste Beschneidung der Rechte der Gewerkschaften ist aber die Abschaffung der Möglichkeit zur Erhebung eines Einspruchs gegen Maßnahmen des Arbeitgebers. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: die Rolle von Gewerkschaften und Betriebsräten war in Ungarn auch in der Vergangenheit sehr beschränkt. So gab es in Ungarn auch bislang keine echte Mitbestimmung, wie dies beispielsweise in Deutschland der Fall ist, sondern Gewerkschaften (und eingeschränkt Betriebsräte) verfügten lediglich über Informations- und Anhörungsrechte. In der Praxis musste der Arbeitgeber daher auch bislang bei seinen Maßnahmen keine Rücksicht auf die Auffassung der Arbeitnehmervertretungen nehmen – er musste diesen lediglich die Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Durch die Abschaffung der Möglichkeit des Einspruchs muss der Arbeitgeber allerdings künftig noch nicht einmal befürchten, dass der Einspruch einer Gewerkschaft eine von ihm beschlossene Maßnahme zumindest zeitlich aufhalten könnte.
Als Beschneidung ihrer Rechte empfinden die Gewerkschaften auch, dass ihre Berechtigung zum Abschluss eines Kollektivvertrags nicht mehr daran geknüpft ist, welches Ergebnis die Gewerkschaftsvertreter bei der Betriebsratswahl erzielen. Vielmehr müssen künftig mindestens 10% der Mitarbeiter einer Gewerkschaft angehören, damit diese im Namen der Arbeitnehmer einen Kollektivvertrag schließen darf.
Ob das erklärte Ziel des Gesetzgebers, die Verbreitung von Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträgen zu steigern, erreicht werden wird, wird die Zukunft zeigen. Die bisherige Praxis zeigte nämlich, dass insbesondere die Privatwirtschaft diesbezüglich ausgesprochen zurückhaltend war. Motivation für Arbeitgeber soll jedenfalls sein, dass die Parteien in einigen Fällen auch zum Nachteil der Arbeitnehmer von den Regelungen des ArbG abweichen dürfen.
Andreas Köhler, Dr. Gábor Jagicza
Rechtsanwaltskanzlei
K?vári Tercsák Salans