Neuer erster Mann im Staat gesucht
Während sich die nationale und internationale Presse an Ministerpräsident Viktor Orbán aufreibt und ein ums andere Mal dessen Rücktritt fordert, ist es um den Ersten Mann im Staat still geworden. Dabei attestieren ihm oppositionelle Kräfte durchaus das Potential zur politischen Zielscheibe.
Ähnlich wie in Deutschland derzeit um Christian Wulff, drehte sich auch in Ungarn vor einigen Monaten alles um den Staatspräsidenten. Wulffs ungarischer Amtskollege, Pál Schmitt, stolperte jedoch nicht über einen Hauskredit von befreundeten Unternehmern, sondern ging aktiv daran, sagen wir, nicht ganz ernst genommen zu werden. Wie bekannt wurde, soll auch Schmitt in seiner Promotionsarbeit 1992 „geguttenbergt“ haben – laut einem Bericht der Wochenzeitung hvg wird ihm vorgeworfen, 180 Seiten seiner 215 Seiten starken Doktorarbeit abgeschrieben zu haben. Ungeachtet dieser Schreibschwäche verschrieb sich Schmitt nach seiner Wahl im Sommer 2010 der „Pflege der ungarischen Sprache“. Doch fiel er immer wieder durch Schreibfehler negativ auf.
Neben dieser noch als menschlich und mit gutem Willen sogar als sympathisch zu bezeichnenden Schwäche machte sich Schmitt auch durch einen anderen Umstand einen Namen. Der Staatspräsident hat allein im vergangen Jahr mehr als 300 von den Regierungsparteien Fidesz-KDNP verabschiedete Gesetze unterschrieben. Damit liegt er weit über dem Schnitt seiner Amtsvorgänger. Immer wieder wurde seitens der Opposition gewitzelt, der Staatspräsident mache von seinem Recht zur Prüfung der Gesetze genau so lange Gebrauch, wie es dauerte, seinen Kugelschreiber zu zücken.
Erste Kandidaten werden vorgestellt
Diese beiden Faktoren sind neben vielen anderen ausschlaggebend für die nun angelaufene „Wahl“ eines alternativen Staatspräsidenten. Zu dieser Wahl rief am 23. Oktober des vergangenen Jahres die Zivilorganisation „Mit einer Million für die Pressefreiheit“, kurz Milla genannt, bei einer Massendemonstration auf. Péter Juhász, der einer der Organisatoren der Demonstration gewesen war, hatte damals versprochen, dass die Vorbereitungen zur Wahl schon im November beginnen würden. Die ersten konkreten Ergebnisse sind nun langsam sichtbar, die ersten Kandidaten werden Anfang der kommenden Woche vorgestellt.
„Wir brauchen eine Respektsperson“
Schon auf der Demonstration im Oktober nannte Juhász mehrere Gründe für die gefühlte Notwendigkeit eines alternativen Staatsoberhauptes: „Der Staatspräsident muss über den parteipolitischen Kämpfen stehen, er soll die Bürger einen und eine Leitfigur sein.“ Ähnlich wie derzeit in Deutschland seitens der Opposition argumentiert wird, sprach auch Juhász dem ersten Mann im Staat diese Fähigkeiten ab. Pál Schmitt wird von vielen belächelt, spätestens seit seiner – veröffentlichten – Neujahrsansprache, die vor Rechtschreibfehlern nur so wimmelte, gibt es kaum einen Bürger, der nicht einen Witz über das Staatsoberhaupt parat hat.
Videobewerbungen erbeten
Hier will Milla nun symbolisch Abhilfe schaffen. Ádám Schönberger, einer der Organisatoren der Wahl, hofft auf rege Beteiligung der Bürgerschaft: „Jeder kann sich per Video um das alternative höchste Amt im Staat bei uns bewerben. Wichtig ist, dass die Kandidaten ausdrücken, wie sie das Amt gestalten wollen, was sie erreichen wollen und wie“. Ziel sei es, so viele Menschen wie möglich einerseits zu einer „Kandidatur“, anderseits zur Stimmabgabe via Facebook zu bewegen, schließlich wünschten sich sehr viele Menschen eine Veränderung an der Staatsspitze. Schon zu Beginn der kommenden Woche werden die ersten Videos der potentiellen Staatsoberhäupter auf dem Netzwerkportal hochgeladen und zur Abstimmung freigegeben. „Je mehr Menschen an der Abstimmung teilnehmen, umso wichtiger wird “unser Staatspräsident“. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich aus der Abstimmung sogar ein Stück weit Legitimation“, hofft Schönberger.
Da die Abstimmung vollkommen offen sei, könnten auch andere oppositionelle Gruppierungen Videos ihrer Kandidaten online stellen. Zwar sei das Ende der Aktion noch offen und mit sehr vielen Fragezeichen verbunden, die Organisatoren sind aber zuversichtlich: „Warten wir ab, was daraus wird“.