Rebellion gesucht
Budapest, 1990, die russischen Soldaten ziehen ab, die Grenzen werden geöffnet, ein Gefühl von Freiheit macht sich breit und paart sich mit entfesselter Kreativität. Die Budapester Undergroundkultur entfaltet sich. 16 Jahre später sucht Szilvia Seres die Künstler von damals mit einer Kamera auf. Das Ergebnis lässt sich zwischen dem 12. Januar und dem 12. Februar in der Projektgalerie der Kunsthalle, „Mélycsarnok“, am Heldenplatz betrachten.
Die Künstler von damals werden heute selbst zur Kunst: Bilder aus Seres’ Installation.
Die Gäste werden in eine Videoinstallation geführt. Groß im Raum, dreidimensional zu sehen ist eine Zeitreise: Es laufen Aufnahmen von Undergroundparties der frühen 90-er, an Mittwochabenden, in denen junge Damen mit Früchten oder Tiramisu-Zutaten bekleidet auf der Tanzfläche sitzen, alternative Pop-Rock-Bands eigene Musik zum Besten geben und eine gelassene Gans die Szene mit einem amüsierten Blick verfolgt.
89er Aufbruchstimmung
Zusammengeschnitten sind die Originalaufnahmen mit den Interviews, welche Szilvia Seres 16 Jahre später mit den damaligen Undergroundkünstlern geführt hat.
„Es herrschte damals Aufbruchstimmung, eine Art lockerer Optimismus“, erzählt Péter Halász in einem Video. In den 70ern war er aktiver Widerstandstheatermacher, musste auswandern und kam erst nach der Wende aus New York in seine Heimatstadt zurück. Die bipolare Welt, die Eingeschlossenheit waren mit einem Mal verschwunden; auch habe die Abwesenheit der Reizüberflutung und der Konsummöglichkeiten während der Sowjetzeit eine Menge Kreativität in der Jugend aufgestaut, welche nach der Wende Bahn ausgelebt werden konnte, analysierte der 2006 an Krebs verstorbene Halász im Videointerview.
Der französische Fotograf Rodolf Hervé zog ‘89 aus Paris nach Budapest, lebte sich in die ungarische Undergroundkultur ein und filmte sie. Szilvia Seres war damals 15. Sie war über die literarische Zeitschrift „Szóghetto“ auf die ungarische Neo-Avantgarde gestoßen und sofort fasziniert. So kam es ihr gelegen, als Jahre später die Aufnahmen von Rodolf Hervé eines Morgens auf 8mm-Bändern in ihr Büro gebracht wurden. Szilvia Seres entschloss sich die Hauptdarsteller der damaligen Kunstszene aufzusuchen.
Nicht nur eine Zeitreise ist damit geschaffen. Seres zeigt in der Videoinstallation die 90er im Spiegel der heutigen Entwicklungen und Stimmungen und dem heutigen Kulturschaffen. Die Interviews mit Künstlern wie dem Designer Tamás Király, dem Theaterschaffenden László Najmanyi oder dem Sänger Péter Sziámi Müller enthalten nicht nur nostalgische Erinnerungen. Sie reflektieren darüber, was in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten mit der Kunst passiert ist.
Heute fehlt der Widerstand, wogegen auch?
Man hielt zusammen, die Locations waren nicht nur Locations und die Parties nicht nur Parties, sie waren die früheren Orte des Widerstands, erklärt Ágnes Deák Bárdos, Sängerin der Alternativ-Band Kontroll. Heute fehlen die Kommunen, die enge Gemeinschaft der Künstler, es herrscht das Geld, die Minderwertigkeitskomplexe, es fehlt der Widerstand, wogegen auch? In der neuen Freiheit weiß ein Künstler nicht, was es sich lohnt auszudrücken, was man sagen müsste.
Oder meint das eben nur die jetzt erwachsene, alternde Garde der alternativen Künste?
Die Künstlerin möchte für die Nutzung des Filmmaterials der Association des Amis de Lucien Hervé et de Rodolf Hervé ihren Dank aussprechen.
„Laza Optimizmus“
Mélycsarnok, Mücsarnok
Heldenplatz
12. Januar-12. Februar 2012, Eintritt: 400 Ft