Scientology kann in Ungarn nicht mehr als Kirche wirken
Seit Jahresanfang hat Ungarn auch ein neues Kirchengesetz. Bis es dem Parlament auf einer seiner letzten Sitzungen des Jahres 2011 in seiner endgültigen Form vorgelegt werden konnte, durchlief es eine holprige Entwicklung.
Eine Geburt in drei Akten: Ungarns neues Kirchengesetz ruft viele Zweifler auf den Plan.
Erster Akt
Zunächst wurde in einer Marathonsitzung in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 2011 ein neues Gesetz über das „Recht zur Religions- und Gewissensfreiheit sowie Rechtsstellung der Kirchen, Religionskonfessionen und Religionsgemeinschaften“ (des Weiteren vereinfacht Kirchengesetz) vom ungarischen Parlament verabschiedet. Damals hieß es, mit dem Inkrafttreten am 1. Januar 2012 würden 14 Kirchen und Religionsgemeinschaften gesetzlich anerkannt. Unter diesen befinden sich unter anderem die alten, sogenannten historischen Kirchen, wie die katholische, evangelische, reformierte und jüdische sowie die Baptisten, Unitarier und die Glaubensgemeinschaft „Hit Gyülekezete“ (Gemeinde des Glaubens).
Es verlautete, dass über den Status der „draußen gebliebenen“ Kleinkirchen später vom Parlament entschieden werden solle. Voraussetzung für eine Anerkennung als Kirche sei, dass die Gemeinden, Vereine, Glaubensgemeinschaften etc. in erster Linie einer religiösen Tätigkeit nachgehen, über ein Glaubensbekenntnis und Rituale verfügen, mindestens auf eine zwanzigjährige organisierte Tätigkeit in Ungarn zurückblicken sowie als Verein eingetragen sind. Sie müssen ein Statut, eine Gründungsurkunde, einen Vorstand und entsprechende Gremien haben.
Das Gesetz wurde in jener „langen Nacht“ mit 252 Ja-Stimmen der rechtskonservativen Regierungsfraktionen Fidesz-KDNP angenommen. Die drei Oppositionsparteien lehnten den Antrag mit 43 Stimmen ab, 89 Abgeordnete blieben der Abstimmung fern. In der Eile hatten die Regierungsfraktionen jedoch vergessen, das noch gültige Kirchengesetz aus der Wendezeit außer Kraft zu setzen.
Der Beschluss zog eine Welle von Protesten nach sich. Kritiker meinten, dass die rechtskonservative Regierung das Verhältnis Kirche-Staat völlig neu gestalten wollte. Der Fidesz und die KDNP wollten eine Gesellschaft neuer Art, wobei das Kirchengesetz eine wichtige Rolle spiele. Es wurde behauptet, dass an Stelle der Trennung nun eine, auf gegenseitigen Vorteilen basierende Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche trete.
Es ist nicht zu leugnen, dass mit dem Gesetz unter anderem die traditionelle Verbundenheit der katholischen Kirche mit den Konservativen zum Ausdruck kommt. Umso lauter protestierten die „draußen gebliebenen“ Kirchen gegen das neue Gesetz, weil sie sich nachweislich benachteiligt fühlten. Einige wandten sich auch an den ungarischen Verfassungsgerichtshof. In ihren Eingaben verweisen sie unter anderem auf die Verletzung des Rechtes auf Religionsfreiheit, fordern die Trennung von Staat und Kirche und fürchten eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit.
Zweiter Akt
Das geplante Kirchengesetz, wurde vom Verfassungsgerichtshof schließlich am 19. Dezember 2011 wegen „Missachtung des Verfahrensrechts“ kassiert. Die obersten Verfassungshüter stellten in ihrem Urteil fest, dass die ursprünglich von den Christdemokraten (KDNP) vorgelegte einheitliche Gesetzesinitiative von der Fidesz-Fraktion in letzter Minute umgeschrieben und wesentlich geändert worden war. Im Sinne dieser Änderung hätte beispielsweise nicht das Hauptstädtische Gericht über die Eintragung der Kirchen entscheiden sollen, sondern eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Die Verfassungsrichter waren auch der Auffassung, dass eine solche Abstimmungspraxis zur Folge haben könne, dass die inhaltliche Arbeit der ersten und zweiten Lesung völlig entkräftet und an Bedeutung verlieren würde. Gerade das sei aber die Garantie für eine echte inhaltliche Arbeit seitens der Volksvertreter im Parlament. In der Urteilsbegründung hieß es weiter, dass die Einreichung von Änderungsvorschlägen in der letzten Minute vor der Abstimmung geschäftsordnungswidrig sei. Es handle sich um einen Verstoß gegen das Prinzip der demokratischen Gewaltenteilung. Aus diesem Grunde wurde das gesamte Kirchengesetz für verfassungswidrig erklärt.
Dritter Akt
Darauf reagierte Fidesz drei Tage vor Heiligabend mit einem Novellierungsantrag des Kirchengesetzes. Die Textvorlage erhielten die Volksvertreter aber erst kurz vor der Abstimmung, für die Abgabe von Änderungsvorschlägen standen etwa zwei Stunden zur Verfügung. Die linke parlamentarische Opposition lehnte – ebenso wie im Juli vergangenen Jahres – den Inhalt des Gesetzes ab und kündigte an, sie werde an dem „Schauspiel“ nicht teilnehmen und verließ den Sitzungssaal. Die rechtsgerichtete Oppositionspartei Jobbik blieb und versuchte lediglich die Abstimmung zu verzögern, um das Gesetz nicht in Kraft treten zu lassen. Diese Taktik scheiterte und das Kirchengesetz wurde dann mit 256 Ja-Stimmen der Christlich-Konservativen angenommen. 36 Abgeordnete der Jobbik-Fraktion stimmten dagegen.
Nach dem seit dem 1. Januar 2012 gültigen Gesetz bleiben 14 Kirchen gesetzlich anerkannt. Weitere können diesen Status nur erhalten, wenn sie international 100 Jahre und in Ungarn 20 Jahre tätig sind. Da beispielsweise Scientology diese Kriterien nicht erfüllt, kann sie nicht mehr als Kirche anerkannt werden. Alle nicht anerkannten kirchlichen Gemeinschaften werden ab jetzt als Vereine geführt. Sie müssen sich lediglich registrieren lassen. Wenn sie dieser Forderung nicht nachkommen, müssen sie ihre Tätigkeit mit Wirkung vom 1. März einstellen. Bisher haben sich 82 Glaubensgemeinschaften um eine Anerkennung als Kirche bemüht. Von diesen würden aber nur 37 die verlangten Kriterien erfüllen, erklärte ein Zuständiger gegenüber der Budapester Zeitung.