Situation im Einzelhandel bereitet Sorgen
Die Schenker Kft. gehört in Ungarn zu den wenigen Logistikunternehmen, die schwarze Zahlen schreiben. Geschäftsführer Árpád Vásárhelyi erklärt, wie dies gelingt.
Schenker-Geschäftsführer Árpád Vásárhelyi: Keine Entlassungen trotz Fusion.
Wie läuft das Weihnachtsgeschäft?
Der Einzelhandel ist inzwischen für etwa ein Viertel unseres Umsatzes verantwortlich. Von daher können wir uns auch bedingt zum Weihnachtsgeschäft äußern. Was die Produkte betrifft, die per Container aus Übersee kommen, so sehe ich hinsichtlich der Menge kaum Unterschiede zum Vorjahr. Anders ist lediglich, dass die Weihnachtslieferungen in diesem Jahr bereits Mitte Oktober im Land waren, letztes Jahr geschah das einen Monat später.
Also ist die Stimmung des Handels so ähnlich wie vor einem Jahr?
Nein, sie ist deutlich schlechter. Das liegt vor allem an der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar auf 27 Prozent sowie am schlechten Wechselkurs, der die Händler mit Importwaren trifft. Allein durch den schwächeren Forint verteuerten sich die Produkte im Jahresverlauf um rund ein Fünftel, viel zu viel, um diese Veränderung an die Kunden weiterzureichen. Ergo schmolzen die Margen. Inzwischen haben sie ein Niveau erreicht, dass die Händler gezwungen sind, die für Weihnachten bestellten Waren möglichst noch in diesem Jahr vollständig zu verkaufen, da sie nicht mehr – wie im letzten Jahr – in der Lage sind, im Januar großartige Rabatte zu geben, um ihre Lager leerzubekommen. Außerdem ist es fraglich, ob sich im Januar überhaupt noch groß Kunden in den Geschäften blicken lassen werden.
Wegen den zwei zusätzlichen Mehrwertsteuerprozenten?
Nein, nicht direkt wegen den dadurch anfallenden tatsächlichen Mehrkosten für die Kunden, sondern vor allem wegen der daraus resultierenden psychologischen Wirkung. Wenn die ungarischen Verbraucher gerade noch bereit sind, den ohnehin schon sehr hohen Satz von 25 Prozent wegzustecken ist bei 27 Prozent für immer mehr von ihnen Schluss. Kleidung, Haushaltselektronik und andere haltbare Konsumartikel werden dann halt nicht mehr länger in Ungarn gekauft. Die Leidensfähigkeit des ungarischen Verbrauchers ist nicht unendlich und er ist sich durchaus über die Alternativen im Klaren. Man erinnere sich nur an den boomenden Einkaufstourismus nach Österreich Anfang der 90er. Wenn es zu Hause nicht mehr geht, dann hat der Ungar keine Berührungsängste, seine Einkäufe woanders zu tätigen. Auch jetzt kann der österreichische Einzelhandel sicher frohlocken. Allein durch den unterschiedlichen Mehrwertsteuersatz hat er schon einen Preisvorteil von knapp 10 Prozent. Das Nachsehen wird der ungarische Einzelhandel haben. Besonders für das erste Quartal 2012 sehe ich hier schwarz. Zumal die Einzelhändler auch noch andere Herausforderungen wie erhöhte Dieselpreise und – zumindest die großen unter ihnen – die Sondersteuern wegstecken müssen. Was die Mehrwertsteuer betrifft, so gehe ich davon aus, dass auch der ungarische Fiskus keine echte Freude daran haben wird. Trotz Rekordniveau wird er wegen der Kaufkraftverdrängung und
-zurückhaltung am Ende voraussichtlich weniger Mehrwertsteuereinnahmen in der Kasse haben als zuvor.
Die Dieselpreiserhöhung wurde doch durch Kompensationszahlungen abgefedert?
Ja, es gibt tatsächlich einen sogenannten Wirtschaftsdieselpreis, allerdings nur für LKWs über 7,5 Tonnen. Die Distribution der Waren ist davon praktisch ausgeschlossen, da diese fast vollständig über kleinere LKWs und Lieferwagen erfolgt. Das liegt sowohl an den pro Geschäft auszuliefernden kleineren Mengen als auch an den gesetzlichen Vorgaben. So dürfen etwa zwei Drittel des Budapester Stadtgebietes nur von Fahrzeugen unter 7,5 Tonnen befahren werden. Von der Kompensationsregelung profitieren also nur große LKWs, die überwiegend im internationalen Verkehr tätig sind oder Großdepots beliefern.
Warum wurden die kleinen LKWs nicht berücksichtigt?
Im Gegensatz zu den großen sind die kleinen Fuhrunternehmen, denen die kleinen Fahrzeuge mehrheitlich gehören, sehr zersplittert und haben eine entsprechend geringere Lobbykraft. Diese Unternehmen wurden überwiegend von LKW-Fahrern gegründet, die sich hauptsächlich in den 90ern mit dem eigenen Fahrzeug selbständig gemacht und danach noch einige LKWs dazu gekauft hatten. Die meisten dieser Fuhrunternehmen haben weniger als zehn Fahrzeuge. Eine Rolle bei der Diskriminierung dürfte sicher auch gespielt haben, dass die kleinen, eher lokal eingesetzten Fahrzeuge nicht so leicht im Ausland tanken können, wie große Camions, die fast täglich Staatsgrenzen überqueren.
Welche Auswege gibt es?
Der normale Ausweg wäre, dass Logistikunternehmen die Preise für Distributionsaufgaben erhöhen und von den Mehreinnahmen dann die Fuhrunternehmer, die übrigens nicht nur unter der enormen Dieselpreiserhöhung leiden, sondern auch unter der Erhöhung des Minimallohns, kompensieren. Das Problem ist nur, dass dies die Einzelhandelskunden nicht mittragen. Sobald von einer Erhöhung der Preise die Rede wäre, würden sie sofort einen Tender ausschreiben. Da es noch immer deutlich mehr LKWs gibt als Waren, hätten sie in diesem Fall die reale Möglichkeit preiswertere Anbieter zu finden.
Was wird dann aus den kleinen Fuhrunternehmern?
Viele werden ihren Job an den Nagel hängen und das Angebot an kleinen LKWs wird sinken. Der Handel wäre dann auf Grund des geschrumpften Angebots gezwungen, mit den Preisen nach oben zu gehen. Im Moment sehe ich aber wegen der eingangs genannten Belastungen und wegen der Schwierigkeit, höhere Preise gegenüber den Verbrauchern durchzusetzen, beim Handel nicht den Spielraum dafür. So wird es unweigerlich zu einer Verschlechterung des Dienstleistungsniveaus, etwa zu einer Verminderung der Zustellungsfrequenz führen. Oder die Einzelhändler werden zwar mehr zahlen, dafür aber außerhalb von Budapest ihre Angebotspalette ausdünnen.
Welche Konsequenzen hätte das?
Ungarn ist ein kleines zentralisiertes Land. Etwa 60 Prozent der Kaufkraft befinden sich im Großraum Budapest. Alle Einzelhändler haben ohnehin das Problem, dass die Produkte außerhalb von Budapest wegen den geringeren Mengen pro Zustellort und wegen den Distributionskosten zwar teurer sind als in Budapest, in Wirklichkeit aber auf Grund der geringeren Kaufkraft künstlich billiger gehalten werden müssen als in Budapest. Im Prinzip finanziert das Geschäft in Budapest die landesweiten Distributionsstrukturen. Sollte diese Finanzierung ins Stocken geraten, bleibt für die Einzelhändler in der Provinz nur noch eine Alternative: Sie werden auf kleineren Flächen weniger Produkte anbieten. So würden nach und nach Produkte aus den Schaufenstern der Provinz verschwinden. Als Konsequenz würden Ungarn vom Land verstärkt nach Budapest oder gleich nach Österreich zum Einkauf fahren. Und wenn man schon mal in Österreich beim Einkaufen ist, dann kauft man hier auch gleich noch Dinge, die in Ungarn noch preiswert sind oder zumindest nicht so teuer, dass man wegen ihnen gleich eine Einkaufsreise machen würde. Das ganze birgt eine Riesengefahr für die ungarische Wirtschaft in sich. Durch verschiedene sich überlagernde und sich verstärkende Effekte kann der Konsum wesentlich stärker zurückgehen als jetzt noch angenommen wird. Im Endeffekt könnte daher auch der Fiskus trotz der verschiedenen erhöhten Abgaben nicht mehr, sondern viel weniger einnehmen.
Was wäre eine Alternative?
Statt den ungarischen Logistikern und Händlern immer neue Lasten aufzubürden, sollten andere Geldquellen erschlossen werden. Ich verstehe beispielsweise nicht, warum es mit der Einführung des ungarischen Mautsystems nur so schleppend vorangeht. Wenn es in Deutschland mit seinem riesigen Autobahnnetz etwa anderthalb Jahre gedauert hat, bis das System stand, sollte man es doch in Ungarn in deutlich kürzerer Zeit schaffen. Aber noch immer tut sich hier wenig. Es sieht im Moment so aus, als müssten wir noch mindestens drei bis vier Jahre auf ein funktionierendes Mautsystem warten, wobei dem Staat jährlich ein Betrag von 100-200 Milliarden Forint durch die Lappen geht. Zwei Drittel der internationalen Korridore Europas laufen durch Ungarn. Diese hervorragende Transitposition wird aber einfach nicht ausgenutzt. Nebenbei könnte man über reale Mautgebühren auch den Bahnverkehr wieder wettbewerbsfähig machen. Selbst für billige Produkte mit großem Volumen lohnt sich die Bahn inzwischen oft nicht mehr. In diesem Jahr wurde beispielsweise mehr Getreide auf der Straße nach Italien transportiert als auf der Schiene. Das ist volkswirtschaftlich unsinnig, ganz zu schweigen von den Umweltaspekten.
Wie schafft es die Schenker Kft. trotz allem, auch dieses Jahr wieder mit einem positiven Ergebnis zu beenden?
Indem es uns gelang, Kunden- und Voluminaverluste durch neue Geschäfte zu kompensieren. Im Landtransport, bei dem wir deutlich stärker geworden sind, konnten wir einige Optimierungsprozesse abschließen. Neben der Umorganisation von Linien haben wir aber auch mehrheitlich für Südosteuropa neue Linien eröffnet. Ungarn wird für DB Schenker immer mehr zu einer gut funktionierenden Drehscheibe. Zulegen konnte auch unser Deutschlandverkehr, hauptsächlich durch einen gestiegenen Export der Industrie. Wirtschaftlich genutzt hat uns auch unsere in diesem Jahr operativ abgeschlossene Fusion mit vier ehemaligen Masped-Beteiligungen. Insgesamt muss ich aber leider feststellen, dass wir zwar deutlich mehr Geschäfte machen, der Gewinn aber immer geringer wird. Oder anders ausgedrückt: Wir bewegen deutlich mehr Waren, um an die gleiche Marge zu kommen.
Sie haben durch die Fusion gleich im ersten Jahr gewonnen?
Ja, aber unsere Fusion ist auch keine gewöhnliche. Sie ist das Ergebnis einer vorausgegangenen jahrelangen Zusammenarbeit der fünf Einheiten. Viele Fusionen sorgen deshalb für böse Überraschungen, weil sich die Partner nicht ausreichend kennen und zu schnell gekauft wird. Bei uns war das anders. So gelang uns das seltene Kunststück, dass sowohl der Umsatz als auch das Ergebnis der konsolidierten Firma höher ist als die jeweiligen Summen der separaten fünf Einheiten. Außer unserer gab es auf dem Markt in diesem Jahr übrigens noch zwei andere Fusionen. Für die nahe Zukunft erwarte ich noch zwei weitere. Der Logistikmarkt konzentriert sich immer mehr. Inzwischen sind die fünf großen Akteure des Marktes für etwa 60 Prozent des Transportvolumens verantwortlich.
Fürhte die Fusion zu Entlassungen?
Ich bin sehr stolz darauf, dass dies nicht der Fall war. Im Gegenteil: wir haben jetzt mit etwa 400 Mitarbeitern sogar etwa 80 mehr als am Jahresanfang. Möglich wurde das unter anderem durch die Eröffnung des neuen Standortes Szombathely mit allein 68 neuen Arbeitsplätzen. Außerdem gelang es uns, durch verschiedene Insourcing-Maßnahmen einige administrative Bereiche wie Finanzen, Buchhaltung und IT bei uns zu verstärken. Nicht, weil wir um jeden Preis Arbeitsplätze schaffen wollten, sondern weil wir durch die Fusion jetzt eine Größenordnung erreicht haben, bei der es wirtschaftlich sinnvoll ist, mehr dieser Tätigkeiten intern zu erledigen.
Wie spüren Sie den schwachen Forint?
Das Hauptproblem ist nicht einmal der teure Euro, sondern die schlechte Planbarkeit. Weil die Schwankungen so hoch sind, sind genaue Planungen fast unmöglich. Im Frühjahr haben die Unternehmen ihre Budgets für 2012 noch bei einem Euro-Forint-Wechselkurs von 1:268 erstellt. Nach nur sechs Monaten sind diese Budgets Makulatur. Wir brauchen wieder mehr Berechenbarkeit. Es ist nicht normal, dass es immer mehr Firmen gibt, deren Jahresergebnis nicht primär von ihrer Leistung abhängt, sondern wie sich der Forint im Jahresverlauf entwickelt hat und wo er am 31. Dezember steht.
Was würden Sie generell der Wirtschaftpolitik empfehlen?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns für den Nabel der Welt halten und hier das Rad neu erfinden müssen. Dabei sind wir ein Miniland, das sich anpassen und vorsichtig mitschwimmen sollte. Unser Spielraum für ambitiöse Selbstverwirklichung ist sehr gering. Wichtig ist auch immer zu beachten, dass Ungarn maßgeblich von der deutschen Wirtschaft abhängt. Es wäre also ratsam, den dortigen Tendenzen zu folgen. Zurzeit driften wir jedoch voneinander weg. Es kann nicht sein, dass unser Vorbildland eine 18-prozentige Mehrwertsteuer hat und wir sie gerade von 25 auf 27 Prozent erhöhen.
Stimmt Sie auch etwas positiv?
Die chinafreundliche Politik der ungarischen Regierung verfolgen wir mit großen Hoffnungen. Im Moment bewegen sich die Güterströme hauptsächlich von China nach Ungarn. Zurück geht fast gar nichts. Dadurch haben wir in diese Richtung erhebliche Leertransporte. Über eine intensivere Wirtschaftszusammenarbeit mit China könnten diese vielleicht etwas reduziert werden. Große Hoffnungen verbinden wir auch mit der im kommenden Jahr anstehenden Eröffnung der Cargo-Basis 1 auf dem Budapester Flughafen. Dadurch könnte sich Ungarn zu einem Hub für Luftfracht entwickeln. Das Geschäft interessiert uns sehr. Schließlich ist DB Schenker weltweit die Nummer zwei bei Luftfracht.