Er und Sie und sonst nichts
„Acht Minuten“ ist Péter Farkas‘ erster Roman, der auf Deutsch veröffentlicht wurde. Sein Debüt-Roman wurde mit dem anerkannten Sándor-Márai-Preis ausgezeichnet. Soweit die Fakten. Ähnlich nüchtern ist auch der Roman. Doch ist er auch zart und rein und spricht von einer ebensolchen Liebe.
Intime Einblicke in das Leben eines demenzkranken Ehepaares.
Immer häufiger und immer dringlicher wird allenthalben vom demografischen Wandel gesprochen, die Geriatrie, sprich Altersmedizin, hat sich als eigenständiger neuer Zweig in der Medizin etabliert. Die Menschen leben immer länger. Solange sie geistig und körperlich gesund sind, ist dies ein beneidenswerter Zustand. Doch wie ein Paar seinen Alltag erlebt, bei dem das einst grelle Licht des Geistes nachgerade erlischt, beschreibt Farkas einfühlsam, befremdlich und zugleich ergreifend.
Sicherheit durch Kontinuität
Miteinander leben, kann schon schwierig sein. Wie schwierig ist dann das gemeinsame Altwerden? „Der alte Mann berührte sanft ihr Handgelenk. Die alte Frau zuckte zusammen und wandte den Blick dem alten Mann zu.“ So und mit Auszügen aus inneren Monologen des alten Mannes beschreibt Farkas den Alltag der beiden.
Jeder Tag verläuft in geregelten Bahnen, viel Neues passiert nicht. Doch genau hierin liegt die Stärke von Farkas’ Roman. Ohne in schwülstige Worthülsen und emotional entleerte Phrasen zu gleiten, betritt der Leser mit Hilfe des Autors die Wohnung des Paares.
Schnell wird dem Leser klar, dass beide Ehepartner an Demenz leiden. Doch wie gnädig dieser Zustand ist, wenn beide sich ihrer Krankheit nicht bewusst sind. Vielmehr verbindet sie der verlorene Bezug zur Welt, von der sie umgeben werden. Wie kleine Kinder freuen sie sich gemeinsam, wenn sie ein von der Gesellschaft erwartetes Ritual boykottieren können.
Im Verlauf des Buches entfernen sich die beiden immer mehr von ihrem sozialen Umfeld. Schleichend und leise beschreibt Farkas beispielsweise, wie dem alten Mann bewusst wird, dass er seinem liebsten Zeitvertreib, dem Lesen, nicht mehr nachgehen kann. Die Worte, gesprochene und geschriebene, verlieren nach und nach ihren Inhalt. Doch liest er mit stoischer Ruhe weiter. Als ihm das keine Freude mehr bereitet, gibt er sich nicht etwa dem Selbstmitleid hin. Er findet Ablenkung in einem Gedankenspiel.
Auch die Versorgung der alten Frau beschreibt Farkas nüchtern und ohne auf emotionale Effekthascherei zu bauen. Immer wieder blitzt in Nebensätzen die Zuneigung der beiden zueinander auf: „Der alte Mann wachte langsam auf, er öffnete die Augen in den Blick der alten Frau hinein. Ihre Iris war von einer tiefgrünen Klarheit, in der man bis zum Anbeginn der Zeiten hinabschwimmen konnte“.
Sehnsucht nach Mehr
Farkas lässt den Leser über einen unbestimmten Zeitraum am Leben der beiden teilhaben, und unversehens geht das Buch dann auch abrupt zu Ende. Weder stirbt einer der beiden noch gibt es ein einschneidendes Erlebnis im Alltag. Dies wirkt ein wenig verstörend, wo man sich doch gerade eben erst im Leben der beiden eingerichtet hat. Nie fühlt man sich dabei als Voyeur, auch in den intimsten Momenten nicht, etwa wenn der alte Mann die alte Frau badet. Farkas wahrt eine Distanz, die es dem Leser ermöglicht, nicht mitleidig, sondern bewundernd auf die Protagonisten zu blicken.
Allgemein ist dies die Stärke in „8 Minuten“. An keiner Stelle und zu keiner Zeit empfindet der Leser Mitleid. Viel eher wirkt Farkas Roman beruhigend. Würde und Haltung sind nicht an äußere Indikatoren und die Meinungen anderer gebunden. Solange die innere Welt im Einklang ist, ist in ihr kein Platz für Leiden. Egal welcher Form.