Einlenken der Regierung kommt fast schon zu spät
Nachdem sie ihre unnachgiebige Haltung gegenüber dem Bankensektor gelockert hatte (indem sie sich an den Bankenverband wandte, um gemeinsam eine definitive Lösung für diejenigen Haushalte auszuarbeiten, die ihre Fremdwährungskredite nicht mehr zu tilgen vermögen), machte die Regierung auch eine überraschende Kehrtwendung in ihrer Politik gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF). So kündigte sie vergangene Woche an, ihre Beziehungen zum IWF auf eine neue Grundlage zu stellen.
Doch legte sie auch hierbei die für sie typische Manier an den Tag. Ihre Ankündigung, Verhandlungen mit dem IWF aufzunehmen, klang geradezu triumphierend. Die Regierung unterließ es denn auch nicht zu betonen, dass sie revolutionäre Veränderungen in die Wege geleitet und Ungarn auf einen neuen Weg des Wachstums geführt habe. Sie ließ auch durchblicken, dass der radikale Schwenk ihrer Politik keinerlei politische Konsequenzen nach sich ziehen werde. Sogar Volkswirtschaftsminister György Matolcsy, dessen Programm in vielerlei Hinsicht als gescheitert betrachtet werden kann, wird seinen Posten weiterhin behalten.
Es mag durchaus etwas an der Theorie des Regierung dran sein, dass die heutige Misere Ungarns fast ausschließlich auf negative internationale Entwicklungen zurückzuführen ist, die unglücklicherweise noch dazu gleichzeitig zum Vorschein kamen (die Schuldenkrise in der Eurozone, der beispiellose Höhenflug des Schweizer Franken, die deutliche Verschlechterung der globalen Wachstumsaussichten usw.). Der Umstand, dass das Wirtschaftswachstum mehr oder weniger auf der Stelle tritt und der Schuldenberg der Haushalte rasant gestiegen ist, ist fürwahr äußeren Faktoren geschuldet, auf welche die ungarische Wirtschaftspolitik nicht einzuwirken vermag. Doch gibt es auch zahlreiche Probleme, die hausgemacht sind: der Sturzflug des Forint etwa, der Anfang des Jahres noch zu den stabilsten Währungen der Region gezählt wurde, die Drohung der Rating-Agenturen, die Bonität Ungarns trotz positiver äußerer Bilanzen auf den Status "Ramsch" herabzustufen sowie zahlreiche europäische Entscheidungen, die sich gegen einzelne Maßnahmen der Regierung Orbán richten.
Nehmen wir nur die Staatsverschuldung her. Nachdem offensichtlich geworden war, dass das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen weit hinter den Erwartungen zurückbleiben, schrieb die Regierung prompt die Senkung der Staatsverschuldung auf ihre Fahne, gleichsam als Eckpfeiler ihres propagierten "Freiheitskampfes".
Doch statt mutige Reformen anzupacken, um das Budgetdefizit in Schranken zu halten, hat sich die Regierung lediglich damit begnügt, einmalige Maßnahmen zu ergreifen. Wir denken hier insbesondere an die diversen Sondersteuern und die Verstaatlichung der Ersparnisse der Privatrentenkassen. Diese halbherzigen Schritte zum Zweck einer fiskalischen Konsolidierung (deren Elemente äußerst fragwürdig und auf lange Sicht auch kontraproduktiv sind) haben schließlich zu ihrem eigenen Niedergang geführt.
Die Tatsache, dass der IWF um Hilfe angerufen wurde, deutet nun vor allem auf eines hin: Die Regierung ist offenbar zur Einsicht gelangt, dass eine Politik, die der Logik der Märkte zuwiderläuft, nicht mehr weiter verfolgt werden kann. Aus diesem Grund ist künftig wohl eine weniger unorthodoxe und kontroverse Politik zu erwarten. Was hierbei vielleicht überrascht, ist, dass die Umsetzung des sogenannten Széll Kálmán Plans im Großen und Ganzen ausreichen würde, um den IWF zufriedenzustellen. Die Präsenz des IWF ist in der jetzigen Situation insofern gut für das Land, als sie die Märkte beruhigt und möglicherweise verhindert, dass Ungarn von den Rating-Agenturen herabgestuft wird.
Abschließend wollen wir noch darauf hinweisen, dass das Timing der Regierung, wie schon so oft in der Vergangenheit, auch diesmal zu wünschen übrig ließ. Die Ankündigung, mit dem IWF in Verhandlungen treten zu wollen, kam just zu einem Zeitpunkt, als die Krise in der Eurozone ihren Gipfel erreichte – selbst die deutschen Staatsanleihen erregten nur geringes Interesse bei den Investoren. In Anbetracht dieses Schlages ins Gesicht Deutschlands sind auch die Aussichten für den Euro düsterer denn je. Vor diesem Hintergrund erwies sich die allgemeine Erleichterung ob der Annäherung Ungarns an den IWF nur von kurzer Dauer. Es ist nicht auszuschließen, dass Ungarn nun sogar noch tiefer im Teufelskreis aus niedrigem Wachstum und steigender Schuldenlast versinken wird – und dies trotz der Präsenz des IWF. Das Einlenken der Regierung ist möglicherweise zu spät gekommen.