Wie Ungarn vor zwanzig Jahren
Für viele ist die Ukraine noch immer ein fernes, unheimliches Land mit einem unheimlichen Ministerpräsidenten und einer unheimlich schönen, derzeit aber gerade inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin. Wolfram Rehbock, Vorstandsmitglied des Deutschen Wirtschaftsklubs Kiew, versuchte letzten Mittwoch, dieses vage durch ein wesentlich konkreteres Bild zu ersetzen.
Ukraine-Experte Wolfram Rehbock: Trotz herausfordernder Standortbedingungen sind in der Ukraine zahlreiche Auslandsinvestoren aktiv.
Eine Ahnung wie viel Jahre das Land hinter den Karpaten hinter Ungarn zurückliegt, ließen schon die ersten Ausführungen von Rehbock zum deutschen Wirtschaftsleben in der Ukraine erahnen. So verharre die deutsche Außenhandelskammer dort etwa noch immer im Vorstadium eines Delegiertenbüros, also wie in Ungarn kurzzeitig Anfang der 90er Jahre. Der Deutsche Wirtschaftsklub, der sich dort mit „k“ schreibt, wurde gar erst diesen Februar von einigen deutschen und ukrainischen Geschäftsleuten aus der Taufe gehoben. Zum Vergleich: Der Deutsche Wirtschaftsclub Budapest, wird am 23. Februar kommenden Jahren bereits seinen zwanzigsten Geburtstag feiern.
Unwillkürliche Erinnerungen an das Ungarn der neunziger Jahre
Auch bei den folgenden Ausführungen von Rehbock, der seit acht Jahren in Kiew lebt und dort als Rechtsanwalt für die Kanzlei Arzinger tätig ist, fühlte man sich unwillkürlich an das Ungarn Anfang der neunziger Jahre erinnert und vielleicht sogar noch an das Ungarn vor der Wende. Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Gerichte, eine übermäßige Bürokratie und eine alle Bereiche der Gesellschaft durchdringende Korruption. Was das Länderrating betrifft, so steckt die Ukraine, schon seit längerem dort, wohin abzusinken sich Ungarn mit Klauen und Zähnen zurzeit wehrt: tief im Ramschstatus. Da Banken nicht über Landesbonität bewertet können, fällt ihre Refinanzierung entsprechend teuer aus.
Ein großes Problem ist das jedoch nicht, da hinter den nationalen Unternehmen zumeist einer der vielen milliardenschweren Oligarchen steht, der Investitionen üblicherweise aus eigener Tasche finanzieren. Problematisch ist dieser Zustand höchstens für einige Auslandsinvestoren, die sich mit dem Gedanken tragen, sich vor Ort zu finanzieren. Die Oligarchen sind nach den Worten von Rehbock aber nicht nur in der Wirtschaft kräftig unterwegs, sondern auch in der Politik. So soll das ukrainische Parlament fast ausschließlich aus Geschäftsleuten und deren Strohmännern bestehen, Listenplätze werden üblicherweise gegen Geld vergeben. Entsprechend der engen Verbindung von Politik und Wirtschaft falle auch die Arbeit der nicht ganz so unbefangenen Gesetzgeber aus.
Vorwürfe gegen Timoschenko seien nur Vorwände gewesen
Zuweilen sind sich die Oligarchen selbst nicht ganz grün untereinander und bekriegen sich heftig. In diesem Sinne sei nach den Worten von Rehbock auch die jüngst erfolgte Abservierung der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zu verstehen. Die Vorwürfe, für die sie sich vor Gesetz habe verantworten müssen, seien seiner Meinung nach nur Vorwände gewesen. „Keiner der in den neunziger Jahren überwiegend mit Rohstoffgeschäften reichgewordenen Oligarchen habe bei genaueren Nachforschungen hinsichtlich der Umstände ihrer Bereicherung eine weiße Weste.“ Nach Meinung von Rehbock gehe es bei dem Fall einfach nur darum, die letzte Person, die in der Lage wäre, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln, politisch kalt zu stellen.
Angesichts all dieser Informationen würde man vermeinen, dass ausländischen Unternehmen um die Ukraine einen weiten Bogen machen würden. Aber weit gefehlt, auch in der Ukraine gibt es inzwischen eine ansehnliche Zahl an namhaften Auslandsinvestoren. Angelockt werden sie von einer Vielzahl von Investitionsmöglichkeiten, unter anderem im Energiewesen und im Infrastruktursektor. Lukrativ seien auch die geringen Lohnkosten, die wiederum Investitionen in arbeitsintensive Fertigungen attraktiv machen. Selbst in der Landwirtschaft mit ihrem hervorragenden Schwarzerdegebieten gäbe es zahlreiche ausländische Investoren. „Besuchen sie doch einfach einmal unser Land und schauen Sie sich bei uns um“, warb Rehbock. Immerhin ist Kiew nur anderthalb Flugstunden von Budapest entfernt. Zudem ist die Ukraine für EU-Bürger visumfrei.