„Ein Metier, das ausstirbt“
Einige Minuten vom Jászai Mari tér entfernt, liegt in der Hollán Ern? utca am Ende einer kurzen Treppe seit 1969 der kleine Laden der Modistin Éva Várhegyi. In dem kleinen, aber hellen und warmen Raum sind in Regalen und Schränken, an Wänden und auf einem Tisch klassische und moderne Hüte, mit oder ohne Schleier, schillernde Haargestecke und Mützen in allen Farben und Formen zu finden.
Seit Jahrzehnten im Geschäft und immer noch nicht geschäftsmüde: Éva Várhegyi.
Die Modistin Éva Várhegyi öffnet mit einem Lächeln die Gittertür ihres Geschäftes und schenkt der Budapester Zeitung eine Stunde ihrer Zeit, noch bevor der Laden öffnet. Nachdem sie ein paar Entwürfe für Márta Markány (Designerin – Anm.d.Red.) weggeräumt hat, leert sich ein bequemer Stuhl neben Ständern mit Mützen und Hüten und einem Tisch mit weiteren Kreationen.
Berufswahl durch Zufall
Der Weg zur Hutmacherin sei für sie nicht vorbestimmt gewesen, erzählt Várhegyi. Nach ihrem Schulabschluss wäre sie etwas perspektivlos gewesen, nicht sicher, was sie mit ihrem Leben anfangen wolle. Dann sei sie durch ihre damals beste Freundin, deren Eltern und eine Urlaubsbekanntschaft mehr oder weniger per Zufall zu diesem Beruf gekommen. Der Lehrberuf reizte Várhegyi jedoch anfangs wenig. Obwohl sie bei der besten Modistin ihrer Zeit, Irén Fürst, lernte, entwickelte sie erst später Interesse daran. „Ich hatte großes Glück, bei ihr eine Lehre zu machen“, sagt sie heute. Als sie noch jung gewesen sei, habe sie das nicht so empfunden, meint sie kopfschüttelnd.
Irrungen und Geschichte
Sie vergab die Chance, den Laden von Irén Fürst zu übernehmen und fing nach ihrer Lehrzeit an, bei einem staatlichen Betrieb zu arbeiten. Nach einer Weile entwickelte sie Interesse für ihr Fach, stellte aber fest, dass durch die Herstellung nach Vorgabe zu wenig Zeit für Einzelstücke übrigblieb. Auch ihre Arbeit in der Oper ließ zu wünschen übrig. Also entschloss sich Várhegyi nach einigen Jahren dazu, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Dafür benötigte sie noch eine Meisterprüfung, die sie 1968 bestand. Mit Bedauern meint die Modistin, dass dies heute leider nicht mehr nötig sei.
Zu dieser Zeit gab es in Budapest noch 50 bis 60 eigenständige Hutmacher, Modisten und Mützenhersteller. Alle drei Fachbereiche waren damals noch getrennt: der Hutmacher kümmerte sich um die Herrenwelt, die Putzmacher oder Modisten stellten Modelle für Frauen her und der Mützenmacher kreierte Kopfbedeckungen, die eben nicht fest, sondern weich waren. „Heute gibt es etwa fünf bis zehn Läden, die noch selber herstellen und das Fach auch wirklich beherrschen“, erklärt Várhegyi und fügt seufzend hinzu, dass ihr Beruf vom Aussterben bedroht sei.
Passend für die Trabrennbahn.
Heutige Schwierigkeiten
Probleme gäbe es schon bei den Holzformen, über denen die Hüte mit Hilfe von Dampf geformt werden. Auch ein eigenständiger Beruf, der in Ungarn inzwischen nicht mehr existiert. In Westeuropa gibt es noch ein paar Firmen, die sich damit beschäftigen. Várhegyi versucht es jetzt mit einem Holzbildhauer. Aber das sei kompliziert. Einige Formen habe sie von einer Werkstatt übernehmen können, die früher Hüte für sie vorgeformt habe, heute kümmere sie sich eben selbst darum.
Hüte sind beständig
Bei ihren Kollektionen, die mit dem Wetter wechselten, im Sommer eher Leinen- und Strohhüte, im Winter die wärmeren Pelz- und Filzkreationen, ändere sich von Jahr zu Jahr nicht allzu viel. Das läge auch daran, dass Hutmode sich nicht so sehr wandle. „Wie Coco Chanel einmal sagte: ‘Mode verändert sich, der Stil nicht’“, meint Várhegyi lächelnd und erklärt, dass Hüte immer zur Persönlichkeit passen müssen. Es gäbe für Jedermann den passenden, man müsse nur Geduld haben, ihn zu finden. Natürlich hätten die klassischen Modelle auch immer ein paar moderne Stilnoten, aber revolutionäre Veränderungen gäbe es nicht. Für ihre Stammkunden müsse die Putzmacherin jedoch immer wieder neue Kreationen herstellen, da diese die anderen Modelle schon kennen oder besitzen.
Klassisch für den Ball.
Kundenkreise und Anlässe
Die meisten Hüte, die sie verkauft, gehen an ungarische Kunden, die sie bereits kennen und wissen wo sie ihren Laden hat. Auch gehörten zu ihrer Kundschaft viele Ungarn, die ausgewandert seien und regelmäßig zurückkehrten. Várhegyi erzählt auch, dass sie immer wieder mit ungarischen Designern zusammenarbeite, die für ihre Kollektionen Kopfbedeckungen bestellten. Hüte, die handgemacht und auf den Kopfumfang zugeschnitten sind sowie nach individuellen Vorstellungen entstünden, sind inzwischen schon etwas ganz Besonderes und das wüssten ihre Käufer auch zu schätzen.
Ihre Kollektionen stelle sie im Durchschnittsmaß her, jedoch könne man diese immer noch etwas vergrößern oder verkleinern. Die meisten Käufer wollten jedoch Einzelanfertigungen, mit einem bestimmten Stoff, in einer konkreten Farbe und oft auch zu einem besonderen Anlass. Im Sommer stelle sie viel für Hochzeitsgesellschaften her, wo die Hüte zur Kleidung passen müssen, inzwischen gäbe es aber auch Gartenpartys, bei denen Hutpflicht bestehe und natürlich Pferderennen. Im Winter stehen dann die Haargestecke für Bälle hoch im Kurs.
Wenn ein Hut entstehe, müsse er vom Kunden mehrmals anprobiert werden, ähnlich wie bei Kleidung, erklärt Várhegyi. Sie fügt hinzu, dass sie sich nach vielen Gesprächen mit den Kunden nicht selten sogar wie ein Mitglied der Familie fühle. Die Grundmaterialien für die Kopfbedeckungen seien Seide, Samt, Wolle, Hasenfell, Stroh, Leinen und Leder. Die Dekorationen bestanden früher oft aus Pferdehaar, heute werden sie durch Kunstfasern ersetzt.
Neuerungen kommen
Ihre Zukunft sieht die Modistin an der Seite einer jungen, talentierten Mitarbeiterin. Bald werde auch ihre Webseite online gehen, wo es regelmäßig Bilder von ihren Kreationen geben werde. Da die junge Nachfolgerin auch einige Fremdsprachen fließend spreche, sei die Möglichkeit gegeben, auch einen internationalen Kundenkreis anzuziehen. Außerdem will sich Várhegyi auch weiterbilden, mit neuen Techniken arbeiten und das Grundmaterial und die Dekorationen für ihre Hüte selbst herstellen.
Ein Hingucker – ohne Zweifel.
Liebe zum Beruf
Durch den Kontakt mit den Kunden und die Herausforderung, die ihr durch jede neue Bestellung gestellt wird, hat Várhegyi sich letztlich doch noch in ihren Beruf verliebt. Inzwischen würde sie nichts anderes lieber tun. Sie bedauert jedoch, dass es immer weniger junge Menschen gebe, die sich für die Hutmacherei interessieren und dieses Fach ergreifen. „Hüte gehören zu den Menschen. Ohne sie wird unsere Kleidung, ja die Welt, um etwas Wichtiges ärmer“, meint sie. Sie sieht aber noch einen Hoffnungsschimmer: Immer mehr junge Menschen trügen heute Kopfbedeckungen. Es habe wahrscheinlich etwas mit Nostalgie zu tun, für viele sei das Tragen von Hüten auch mit Weiblichkeit verbunden.
Várhegyi Éva kalapszalonja
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr,
Samstag 10 bis 13 Uhr
XIII. Hollán Ern? utca 9
Tel.: +36 1 320 5520
www.varhegyieva.hu