Die Kunst des Absurden
Tamás Galambos:
Die Wiederbestattung von Imre Nagy.
Am Montag wurde eine Begleitausstellung aus Anlass des baldigen Inkrafttretens der neuen Verfassung (1. Januar 2012) eröffnet. Insgesamt werden 15 Werke von verschiedenen Künstlern gezeigt. Die Debatte um die Werke, welche Schlüsselmomente der ungarischen Geschichte der letzten 150 Jahre zeigen, begann bereits, als Staatssekretär Imre Kerényi die Werke im September bestellte. Mit den ersten Veröffentlichungen der Bilder im Internet wurden die Kritiker der Pläne nicht enttäuscht.
Das Online-Portal MSN vermeint in dieser Gestalt Premier Viktor Orbán zu erkennen.
Schon die kurz nach dem Regierungswechsel angekündigte „Deklaration zur Nationalen Zusammenarbeit“, welche in jedem Amt und offiziellen Gebäude auszuhängen hat, veranlasste Blogger und Online-Medien zu einer Welle des künstlerisch gestalteten Spotts. So bat beispielsweise die Onlineausgabe des Wochenmagazins hvg verschiedene Cartoonzeichner um ihre ganz eigene Version des spöttisch nur „NENYi“ abgekürzten Aushangs. Unter den eingereichten Bildern gab es auch eine Karikatur von Ministerpräsident Viktor Orbán auf einem Pferd sitzend bei der Fuchsjagd. Das gejagte Tier trägt indes unverwechselbar die Züge seines Erzrivalen Ferenc Gyurcsány.
Auf einem anderen sieht man Orbán in einem OP-Dress, wie er dem auf dem Bauch liegenden Gyurcsány das Herz entfernt. Eine andere Karikatur zeigt den Premierminister, diesmal im Pyjama, mit einem Lichtschwert vor einer baufälligen Hütte, die er gegen einen Einbrecher verteidigt. Der Einbrecher trägt einen Sack bei sich mit der Aufschrift „IMF $“. Einer der Karikaturisten äußerte sich gegenüber hvg: „Leider übertreffen die Gemälde jegliche Parodie“.
József Szentgyörgyi: Der rote Schlamm.
Die Zusammenstöße von 2006
Die wohl größte Kontroverse strickt sich um eine stilisierte Abbildung des Drachen tötenden Heiligen Georg. In diesem Werk zielt der Künstler auf das brutale Vorgehen der Polizei gegenüber Demonstranten während der Unruhen am 23. Oktober 2006 ab.
Es bleibt hierbei festzuhalten, dass gegen viele der Polizisten rechtskräftige Urteile wegen exzessiver Gewaltanwendung verhängt wurden. Damals wurden viele Unbeteiligte verletzt und von Gummigeschossen getroffen. Nach Darstellung der Regierung Orbán wurde das gewalttätige Vorgehen der Polizei am 23. Oktober 2006 von der damaligen linksliberalen Regierung unter Ferenc Gyurcsány angeordnet.
Der Plan Kerényis die Bilder in einer Sonderausgabe der Verfassung abzudrucken und sie ebenfalls auf den sogenannten Verfassungstischen in öffentlichen Gebäuden auszustellen, wurde am Dienstag vergangener Woche von der Künstlerin Katalin Jánosi bündig mit „absurd“ bezeichnet. Die Enkelin des geschätzten Reformkommunisten Imre Nagy hatte sich bereits schon früher gegen die Verknüpfung des Andenkens an ihren Großvater mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung verwahrt. Jánosi sagte gegenüber der linksliberalen Tageszeitung Népszabadság, dass sie der „propagandistische Beigeschmack“ sehr an die stalinistische Nachkriegszeit Ungarns unter Miklós Rákosi erinnere.
Orbán und Nagy
Nagy wurde während des Volksaufstands 1956 unwillentlich zum Anführer der Anti-Moskau-Bewegung. Zwei Jahre später wurde er zum Tode verurteilt. Die feierliche Neubeisetzung seiner sterblichen Überreste 1989 gibt das Motiv eines der Bilder. Die damalige symbolträchtige Beisetzung Imre Nagys gilt als eines der Schlüsselereignisse des Landes auf dem Weg zur Demokratie. In diesem Zusammenhang machte sich auch Orbán erstmals einen Namen als Politiker und Redner, als er den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn forderte.
Das im Oktober gestartete Online-Nachrichtenportal MSN Mai Nap indes vermutet auf dem Bild den jungen Orbán, wie er als 26-Jähriger die Rote Armee zum Verlassen des Landes auffordert. Dies obwohl die Frau von Viktor Orbán, Anikó Lévai, es Staatssekretär Kerényi strikt untersagt haben soll, die Darstellung ihres Mannes auf einem der Bilder zu gestatten.
Reaktion auf Kritiken
Kerényi verteidigte seine historische Sammlung am Mittwoch vergangener Woche im Fernsehen. In einem Interview im Privatsender ATV fragte die Fernsehjournalistin Antónia Mészáros, ob beispielsweise das Bild „Reiterattacke“ nicht eine breitere Akzeptanz der neuen Verfassung verhindere. Einer der Hauptkritikpunkte am neuen Grundgesetz ist, dass es komplett von einer aus Fidesz-KDNP-Abgeordneten zusammengesetzten Kommission ausgearbeitet und von der Regierungskoalition mit der vorhandenen Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde.
Mészáros fragte auch, ob das Bild über die Unruhen von 2006 tatsächlich in eine Reihe mit Ereignissen wie den Weltkriegen oder dem Holocaust gestellt werden könne. „Die durch Sie (Mészáros – Anm.d.Red.) vertretenen intellektuellen Kreise bewerten die Vorkommnisse von 2006 natürlich anders als wir. Wir zeigen sie, wie wir sie sehen“, sagte Kerényi. „Auch Ihnen steht frei, ihre Sicht der Dinge bildnerisch darstellen zu lassen. Aber dafür müssen sie erst die Wahlen gewinnen.“