Verwirrende Änderungen
Es ist wohl eines der größten und bekanntesten Denkmäler in Budapest. Dargestellt ist einer der anerkanntesten Politiker der ungarischen Geschichte des 19. Jahrhunderts – Lajos Kossuth, Anführer des ungarischen Freiheitsaufstandes von 1848 bis 49 gegen die Habsburger Herrschaft. Nun gibt es Pläne, diese Skulptur mit Kossuth in der Mitte von ihrem zentralen Platz vor dem Parlament durch eine neue zu ersetzten: eine ebenfalls große Skulpturenkomposition, in der Kossuth wieder in der Mitte sein soll. Was ist geschehen?
Attila-József-Denkmal am Parlament.
Als Lajos Kossuth nach mehr als 40 Jahren im Exil 1894 in Turin verstarb, formierte sich eine machtvolle Bewegung. Sie forderte nicht nur eine feierliche Beisetzung des Freiheitskämpfers, sondern auch die Errichtung eines entsprechenden Denkmals. Dies war eine schwierige Angelegenheit, da sein größter Gegenspieler, der österreichische Kaiser und ungarische König, Franz Josef, noch an der Macht war. Kossuth hatte mit seiner Kritik am österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 nie hinter dem Berg gehalten.
Die Beerdigung fand statt, das Projekt des Denkmals verzögerte sich hingegen, teilweise aus finanziellen Gründen. Später führte der Erste Weltkrieg zu weiteren Verzögerungen und so wurde das Denkmal mit Kossuth in der Mitte erst 1927 vor dem Parlament enthüllt. Dies ist jedoch nicht das Denkmal, das heute zu sehen ist.
Rákóczi Ferenc II.
Die frühere Version zeigte Kossuth leicht erhöht und umringt von Batthyány, Széchenyi, Eszterházy und Deák. Sie alle waren Teil des Unabhängigkeitskampfes 1848/49. Das Problem mit ihnen war aber, dass sie alle niedergeschlagen gen Boden blickten. Dieses Denkmal war wahrhaftig ein Sinnbild des verlorenen Freiheitskampfes und den darauffolgenden Jahren der Unterdrückung. Als ein nationales Wahrzeichen in zentraler Lage konnte es aber fürwahr nicht als inspirierend bezeichnet werden.
Kommunistische Aufmachung
Als in den späten vierziger Jahren die Kommunisten an die Macht kamen, war es offensichtlich, dass das Mahnmal nicht nach ihrem Geschmack war – die Darstellung von Adligen in all ihrem Glanz und Niedergang, die reiche und besitzende Klasse. So rissen es die Machthaber nieder und ersetzten es 1952 auf dem Höhepunkt der stalinistischen Periode in Ungarn mit jenem Denkmal, das noch heute auf dem Kossuth tér steht.
Die neue Version zeigt Kossuth stolz erhoben, mit dem Arm gen Zukunft weisend. Unter ihm auch wieder eine Handvoll Figuren. Diesmal jedoch nicht die Vertreter des Adels und Freiheitskampfes, sondern „das Volk“ – ein Paar mit Kind, ein Soldat, ein Husarenreiter und der Dichter Sándor Pet?fi, der als damals noch junger Poet einer der Hauptfiguren der Revolution von 1848 war.
Das Denkmal spiegelt den klassischen realsozialistischen Stil wider, proletarisch und heroisch bis ins Extrem. Die bewundernden Blicke auf Kossuth und der Enthusiasmus vermitteln den Eindruck, als wären 1849 die Ungarn siegreich gewesen. Kossuths Haltung und Gestik erinnert an unzählige Leninstatuen, die damals in der Sowjetunion wie Pilze aus dem Boden schossen und bis heute an vielen Plätzen zu finden sind.
Was verwundert, ist, dass diese Skulptur nach 1989/90 nicht entfernt wurde. Bedacht werden mussten hierbei nämlich auch die Kosten, einerseits für den Abriss eines solchen Denkmals, aber auch jene für einen Ersatz. Letzten Endes zeigte das Denkmal ja ein national bedeutsames Thema und eine große Persönlichkeit der ungarischen Geschichte.
Ironischerweise legten alle Regierungschefs seit 1989/90 – auch Viktor Orbán in seiner ersten Regierungsperiode von 1998 bis 2002 – Kränze zum Jahrestag des Ausbruchs des Widerstands von 1848/49 vor dem Denkmal nieder. Dies hatte auch schon der stalinistische Diktator Mátyás Rákosi getan, so zum Beispiel aus Anlass der Enthüllung des Denkmals 1952.
Existiert immer noch
Nun steht der Vorschlag im Raum, die Originalskulptur wieder zu installieren. Die Elemente des Originals wurden Anfang der fünfziger Jahre nicht zerstört und jüngst zufällig in der südungarischen Stadt Dombóvár entdeckt. Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die Bewohner Dombóvárs haben gemeinsam mit ihrem Bürgermeister, einem Parteilosen, eine Petition initiiert, in der sie fordern, „ihre“ Kossuth-Statue behalten zu dürfen. Falls die Regierung aber den lokalen Widerstand übergehen sollte, bleibt doch die Frage, warum sie ein überwältigend melancholisches Denkmal wiederaufstellen will? Einige Historiker verweisen zudem auf den Fakt, dass die Statue selbst in der Zwischenkriegszeit unbeliebt war.
Strategische Züge
Die offizielle „Erklärung“ für die angestrebten Veränderungen auf dem Kossuth tér lautet, man wolle dem Platz sein architektonisches und künstlerisches Antlitz von vor 1945 wiedergeben. Parallel zu den Änderungsvorschlägen um Kossuth sollen auch die Statuen Mihály Károlyis und Attila Józsefs am Nord- und Südende des Parlaments entfernt werden und durch die früher dort ausgestellten Statuen ersetzt werden.
Mihály Károlyi war ein radikaler Liberaler. Er war Premierminister und nach dem Ersten Weltkrieg der erste Staatspräsident. Károlyi steht für die Auflösung der Doppelmonarchie. Im März 1919 verlor er seine Position an eine bolschewistische Revolutionsregierung. Diese konnte sich jedoch nur vier Monate an der Macht halten.
Károlyi, dessen Statue 1975 enthüllt wurde, galt lange Zeit als Hassobjekt der Rechtsextremen. Ihm wird vorgeworfen 1919 die Macht an die Kommunisten übergeben zu haben. Viel schwerer wiegt jedoch der Vorwurf, die Interessen Ungarns beim Friedensvertrag von Trianon nicht entschlossen genug vertreten zu haben. „Verräter“ ist eine häufige Bezeichnung für ihn, und seine Statue war oft Angriffsfläche für diverse Farbeimerattacken.
Die seltsame Wahrheit
Die Ironie liegt jedoch darin verborgen, dass gerade die kommunistische, pro-sowjetische Regierung, die auf Károlyi folgte, auch physisch gegen die Okkupation ungarischer Gebiete durch Rumänien und die Tschechoslowakei vorging. Dabei war es Károlyis Nachfolger Miklós Horthy, der den Vertrag von Trianon 1920 – ein Jahr nach dem Amtsausscheiden Károlyis – unterschrieb.
Nichtsdestotrotz soll seine Statue nun durch eine im Jahr 1934 enthüllte ersetzt werden, ein gewaltiges Monument in Gedenken an István Tisza. Dieser war Premierminister während des größten Teils des Ersten Weltkriegs. Diese Funktion und seine dauerhafte Weigerung, das Wahlrecht auszuweiten, machten ihn zum permanenten Ziel von Károlyis Angriffen. Schon zu Lebzeiten ein vieldiskutierter Politiker wurde Tisza am 31. Oktober 1918 Opfer eines Attentats zweier verdrossener Soldaten.
Auch Mihályi-Károlyi soll weichen.
Dichter im Hintertreffen
Woran sich viele Gemüter heute jedoch erregen ist der geplante Abriss der Statue Attila Józsefs. Ersetzt werden soll sie durch eine Reiterstatue Graf Gyula Andrássys, dem einstigen Ministerpräsidenten Ungarns und Außenminister der Doppelmonarchie.
Wie die Károlyi-Statue wurde auch das Attila József-Bildnis 1980 während der Kádár-Ära enthüllt. Doch im Falle Józsefs handelt es sich um einen hoch anerkannten, von allen Schichten der Bevölkerung geliebten Poeten, der noch heute als einer der beliebtesten des 20. Jahrhunderts gilt.
Wahrlich, sein Denken war linksorientiert, und er stand der Kommunistischen Partei nahe. Diese jedoch begegnete ihm skeptisch, da er ein Freidenker war. Neben seinen politischen Gedichten schrieb er auch Liebesgedichte und wunderschön formulierte Verse über Budapest und das Stadtbild, dem so viele Menschen zugetan sind.
Ein weiterer Aspekt dieses Themas manifestiert sich auch in der Idee, den Vorkriegszustand des Kossuth tér wiederherzustellen: Was geschieht dann mit den zahlreichen Denkmälern zum Volksaufstand 1956 auf dem und um den Platz? Die „Ewige Flamme“, welche vor 15 Jahren enthüllt wurde, ist unzweifelhaft künstlerisch deplatziert zwischen allen anderen Werken. Doch nichtsdestoweniger würde wohl weder die derzeitige noch jede zukünftige Regierung daran denken, die Denkmäler zu 1956 im Umkreis des Parlaments zu entfernen.
Kossuth weist den Weg – in eine ungewisse Zukunft.
Bob Dent ist Autor des Buches „Every Statue Tells a Story – Public Monuments in Budapest“
Aus dem Englischen von Elisabeth Katalin Grabow