„Ungarn wird auf jeden Fall gewinnen“
In den vergangenen elf Monaten kam es immer wieder zu Demonstrationen gegen die Regierung Orbán. Einer, der bei den Demos oft als Redner brillierte, ist András Istvánffy. Er ist Mitbegründer der politischen Zivilorganisation 4K! – Negyedik köztársság (Vierte Republik) und wohl eines der bekanntesten Gesichter der neuen jungen Generation im politischen Leben Ungarns.
4K-Mitbegründer András Istvánffy: „Zu unserer großen Überraschung ist die neue Regierung noch schlechter als die vorherige“.
András spricht schnell und leise, manchmal fällt es schwer, ihn zu verstehen. Er hat viel zu sagen, das wird schnell klar. Aber als Redner auf der Bühne reißt er die Zuhörer mit, wenn er über Ein-Parteien-Verfassung und Medienrecht spricht. Dabei fing 4K! ganz anders an.
„4K! entstand bereits im Jahr 2007. Wir schlossen uns im Freundeskreis zu siebt zusammen. Wir wollten etwas ändern.“ Der Name sei schnell gefunden worden. „Wir wollten es machen wie in Frankreich. Mit einer neuen Verfassung kommt eine neue Republik. Wir erkennen die Grundwerte der Verfassung von 1989 zwar an, jedoch sehen wir Mängel.“ Da lag es nah, das Problem an der Wurzel anzugehen. Eine neue Verfassung war das Ziel, und eine neue Republik. Die Organisation 4K! – Negyedik Köztársaság (Vierte Republik) war geboren.
Insbesondere die Einstellung der Jugend sei es damals gewesen, die András und seine Mitstreiter dazu bewogen hat, aktiv zu werden: „Während der Proteste 2006 nach der Lügenrede von Balaton?szöd und im Zeitraum danach wurde überdeutlich, dass es der jungen Generation nicht mehr um den Ministerpräsidenten ging. Vielmehr war eine große Enttäuschung darüber zu spüren, dass die Demokratie das Versprochene nicht hält.“ Der damals gefasste Standpunkt war, dass 1989 ein stabiler Rechtsstaat entstanden sei. Dieser habe zwei Aufgaben übertragen bekommen. Einerseits einen funktionierenden Staat zu schaffen und die Grundsätze der Demokratie zu verwirklichen. Andererseits eine Verfassung auf den Weg zu bringen, die der politischen Gemeinschaft als symbolische Basis für die Gesellschaft dient, so András. „Die erste Aufgabe ist erfüllt. Der Rechtsstaat wurde geschaffen, aber die Menschen haben die Verfassung nie als ihre angenommen.”
Generation Y
Doch bevor es zu verfassungsrechtlichen Fragen kam, wollte 4K! zuerst ihr Klientel auf sich aufmerksam machen: „Wir haben als Jugendorganisation der Generation Y angefangen.“ Generation Y – das steht für jene Generation, die in den achtziger und neunziger Jahren geboren wurde und heute zum Teil ohne Perspektive und mit Problemen beladen dasteht. András konkretisiert: „Wir sind die erste Generation, die in einer Demokratie aufgewachsen ist. Die Einstellung zum Gemeinschaftsleben ist eine ganz andere als die unserer Eltern.“
Nachdem nun feststand, wen man erreichen wollte, musste die Frage nach dem „Wie“ geklärt werden. „Wir haben mit Gemeinschaftsaktionen begonnen. Wir wollten die Plätze der Stadt für die Gemeinschaft zurückerobern.“ Dies wurde durch sogenannte Urban Playground-Aktionen erreicht, beispielsweise Wasserschlachten, Flashmobs und riesige Kissenschlachten. „Die ganze Stadt wurde zu unserem Spielplatz.“ Dabei kam aber nie jemand zu Schaden, auch Sachschaden ist nie entstanden. Vielmehr erlebten alle Teilnehmer „ihre“ Stadt einmal ganz anders, von einem neuen Blickwinkel aus.
Auch sogenannte „Catch The Flag“ Spiele fanden eine wachsende Anhängerschaft. Bei diesem Spiel in freier Natur treten zwei Teams gegeneinander an. Beide verfügen über eine Flagge, welche von der gegnerischen Mannschaft entwendet werden muss. Zuletzt fand solch eine Gemeinschaftsaktion im Juli dieses Jahres statt. „Alle unsere Aktionen waren immer kostenfrei und dazu da, den jungen Menschen bewusst zu machen, dass es in ihren Händen liegt, etwas aus eigener Kraft zu schaffen. Am Ende der Veranstaltungen haben wir stets eine Kasse des Vertrauens für die Unkosten aufgestellt und es hat immer funktioniert“, erzählt András nicht ohne Stolz. „Wir wollten, dass junge Menschen den Mut aufbringen, ihre eigene Welt zu schaffen.“
Urban Playground war gestern
In letzter Zeit sind die Urban Playground-Aktionen jedoch in den Hintergrund getreten. „Das Jahr 2010 hat vieles verändert“, sagt András. Während es bisher vor allem darum ging, die Stadt und das ganze Land lebenswerter zu machen, türmten sich nun plötzlich viel größere Probleme vor den jungen Aktivisten auf. András erklärt rückblickend: „Im Jahr 2010 wollte ganz Ungarn einen Wechsel, der Wunsch danach war fast greifbar. Das hat der Fidesz gespürt und genutzt.“ Als der Fidesz dann mit einer Zweidrittelmehrheit an die Regierung gelangte, gab es erstmal keine negative Grundhaltung. „Zu unserer großen Überraschung war die neue Regierung aber noch schlechter als die vorherige.“ So wurde 4K! zu einer oppositionellen Organisation.
Wirklich eingeschaltet in die oppositionelle Arbeit hat sich 4K! im Zuge des Verfassungsgebungsprozesses. „Bei dem neuen Grundgesetz stört vor allem ein Fakt“, betont András. Es habe die gesellschaftliche Teilhabe gefehlt. András unterstreicht dies mit einem Beispiel: „Am Tag, als die Verfassung verabschiedet wurde, waren an jeder Ecke des Kossuth tér und rund um das Parlament Polizisten stationiert. Selbst ein Polizeihubschrauber war in der Luft.“ Gesellschaftliche Zustimmung sieht in den Augen der Aktivisten anders aus, die Zeit des Handelns war gekommen.
4K! beschloss, aktiv zu werden. „Unser größtes Problem mit der neuen Verfassung war, dass der Fidesz aus dem deutlichen Wahlergebnis den Auftrag zur Schaffung einer neuen Verfassung abgeleitet hat.“ Dabei sei dies im Wahlkampf nicht mit einer Silbe erwähnt worden. Angesichts der fehlenden Legitimation des Grundgesetzes wollte 4K! eine Volksabstimmung initiieren. „Eine Stunde nach Verabschiedung des neuen Verfassungstextes reichten wir einen Antrag für eine Volksabstimmung ein.“ Dieses Begehren wurde vom Nationalen Wahlausschuss (OVB) in erster Instanz abgewiesen, „allerdings“, gibt András den Standpunkt diverser Juristen hinter 4K! wieder, „wurden zur Ablehnung die falschen Gesetze zur Grundlage genommen“. Auch dagegen versuchte 4K! vorzugehen. Die jungen Aktivisten zogen bis vor das Verfassungsgericht. Aber auch dies blieb bisher erfolglos. „Das Verfassungsgericht ist an keine Frist gebunden und hat sich mit unserem Anliegen noch nicht befasst. Dabei haben wir diese bereits vor zwei Monaten eingereicht“, erklärt András.
Doch nicht nur in Verfassungsfragen sind die Aktivisten von 4K! aktiv. „Die Generation Y steht weltweit vor einer Vielzahl von Problemen, für welche die Regierungen einfach keine Antworten bieten“, fasst András zusammen. In ganz Europa sei dies zu beobachten. „Es ist heute sehr schwer, ein eigenes Leben zu beginnen und eine Familie zu gründen.“ Viele lebten heutzutage von Gelegenheitsjobs oder von Projekt zu Projekt, vorhersehbare Karrierewege seien kaum noch vorstellbar. Ungarn sei hierbei keine Ausnahme. Der problemgeplagten Jugend will 4K! eine Stimme geben. Neben allgemeinen Missständen greift die Organisation auch konkrete Themen auf: „Die neue Hochschulpolitik ist auch den Experten ein Graus. Wir sehen und fürchten, dass das neue Hochschulgesetz es Kindern aus ärmeren Familien erschweren wird, Zugang zu höherer Bildung zu erhalten“, meint András.
Anhänger von 4K! wünschen sich neue Partei
4K! war als Urban Playground-Aktionsgruppe bereits erfolgreich. Seit sie sich der Politik zugewandt haben, ist der Ansturm und die Unterstützung aber noch um ein Vielfaches gestiegen. András sieht dafür vor allem einen Grund: „4K! ist deshalb mit so großem Schwung gestartet, weil die oppositionellen Parteien im Parlament zu schwach sind, um der Regierung etwas entgegenzusetzen“. In letzter Zeit sahen sich die Mitglieder von 4K! denn auch einem wachsenden Druck ausgesetzt, eine neue Partei zu gründen: „Das ungarische Parteiensystem ist noch stark im Wandel, zwei der Wende-Parteien fielen aus dem Parlament (SZDSZ und MDF, Anm.d.Red.), zwei neue kamen hinein“ (Jobbik und „Eine andere Politik ist möglich“, kurz LMP, Anm.d.Red.). „Die Umwälzungen sind noch nicht abgeschlossen“, ist sich András sicher.
Ob 4K! der Aufforderung zur Gründung einer neuen Partei Folge leisten wird, ist noch offen, aber András ist sich in einem sicher: „Egal, was man über die Orbán-Regierung später sagen wird, Ungarn wird auf jeden Fall gewinnen, weil die Bürger endlich aufgeweckt wurden, für ihre Rechte einzustehen.“