Er hatte ein schweres, umkämpftes und leidenschaftliches Leben. Wir hoffen nur, dass er zumindest leicht aus dem Leben geschieden ist. Sein Schicksal kann getrost zu den großen ungarischen Schicksalen gezählt werden: Zunächst trug dieses Land schwer an seinem Talent, später dann er selbst. Im Laufe der Jahrzehnte wurde sein Kampf um Autonomie immer aussichtsloser. Je erfolgreicher er wurde, desto häufiger irrte er sich.
Organische Architektur: Seinen Werken sind unverkennbar menschliche Züge abzulesen.
1962 erschuf er mit 27 Jahren das „Cápa“ (Hai) Gasthaus an der Straße, die entlang des Velencei tó führt. Diese mutige Betonkonstruktion folgt eindeutig dem Geist des Meisters der französischen Revolutionsarchitektur, Claude-Nicolas Ledoux (1736-1806), sprich der sogenannten „sprechenden Architektur“ („architecture parlante“). Demnach ist es nicht Aufgabe des Architekten, eine funktionale Logik zu verfolgen, sondern große symbolische Formen zu schaffen, die existierenden Gestalten, wenn man so will, biologischen Wesen entsprechen. So war es auch im Fall des Hais („Cápa“), dessen Frontansicht an das weit aufgerissene Maul des Meeresraubtiers erinnerte.
Im Verlauf seiner langen Laufbahn war dies jenes Element, das in seiner Architektur durchgehend vorzufinden war: Die sprechenden, übersetzbaren Motive kehrten in seinem architektonischen Schaffen immerzu wieder: sich erhebende Flügel, Augenpaare, der Bogen von Augenbrauen. Seinen Werken waren unverkennbar menschliche Züge abzulesen. Diese individuelle, symbolische Architektur begann sich aber just in einer Welt zu entfalten, die dies am wenigsten tolerierte. Makovecz selbst bezeichnete sein Schaffen als Beispiel für eine „organische Architektur“. Ich glaube jedoch, dass es sich bei seiner Architektur viel eher um ein ideologisches Aufbegehren gegen den Funktionalismus und die globale industrielle Moderne handelt. (…)
Makovecz’ Programm bestand im Grunde darin, jenen Geist sichtbar zu machen und zu propagieren, welcher der industriellen Moderne zuwiderläuft. Er war der Überzeugung, dass die zeitgenössische moderne Architektur, die sich nicht zuletzt in gigantischen Wohnsilos manifestierte, eine unerträgliche Heimatlosigkeit verkörperte und darin hatte er in gewisser Hinsicht auch Recht. Mit scharfem Auge und kritischem Geist vermochte er die ideologischen Normen des Sozialismus in den Formen des Funktionalismus wiederzuerkennen. (…) Eine Antwort auf diese Heimatlosigkeit sah er im offenen Widerspruch zur Moderne, unter anderem zum Staatssozialismus, so gelangte er schließlich zur organischen Gemeinschaft, zur offenkundig idealisierten Dorfgemeinschaft und der Mythologisierung des ländlichen Lebens.
Er sehnte sich nach einer Welt, in der sich alle persönlich kennen, in der ein fürsorgender Gott spürbar gegenwärtig ist, und wo der Himmel nicht leer und die Erde nicht bloß ein Untergrund ist. Eine solche Welt gab es jedoch nie, inzwischen ist auch ihr Mythos entschwunden. (…) Makovecz hat die wilde und unergründliche innere Welt des menschlichen Körpers erschaffen – aus Beton und Holz. Er hat der Form eines Gebäudes den Stempel seiner Persönlichkeit ebenso aufdrücken können, wie dies Frank Lloyd Wright beim Guggenheim Museum gelang, einem ikonischen Gebäude, das der Funktionalität eines Museums zwar kaum gerecht wird, dafür aber eine stupende räumliche Sogwirkung entfaltet. So verhält es sich auch mit Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp oder mit den abstrakt-expressionistischen Gemälden von Jackson Pollock: Sie sind allesamt Produkte des modernen Ego, der unbeugsamen Individualität und des unaufhaltsamen Willens.
Makovecz erschuf Formen und lyrische Räume, welche die Welt der Architektur mit Bewunderung erfüllten. (…) Sein Schaffen hatte nicht das Geringste mit jener schäbigen Container-Architektur zu tun, die Budapest vom Westend bis zum Kempinski verunstaltet hat. Während er in der ungarischen Provinz bauen durfte, wurde er in Budapest allerdings missachtet. (…) Einer der größten ungarischen Architekten des XX. und XXI. Jahrhunderts erlangte weltweites Ansehen, ohne je die Möglichkeit bekommen zu haben, ein Gebäude von internationaler Tragweite zu erschaffen wie seine ausländischen Star-Kollegen, die zu Weltruhm gelangten – aber vielleicht wollte er dies auch nie. Für sein Schicksal tragen wir alle Verantwortung.
Der Autor ist Schriftsteller und Essayist. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 7. Oktober 2011 in der linksliberalen Wochenzeitung Élet és Irodalom.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar