Miklós,
Gott behüt‘ Dich!
Noch sehr lange!
Wir brauchen Dich!
Noch sehr lange!
Ohne Dich wäre die internationale Filmgeschichte anders verlaufen.
Wir würden andere Bilder sehen, und wir hätten ein anderes Verhältnis zum Film. Aus Deinen Filmen konnten wir nämlich lernen, dass der Film nicht Teil des „Show-Business“, sondern die siebte Kunst ist. […]
Filmregisseur Miklós Jancsó.
Wir konnten lernen, dass der Wert eines Films nicht vom „Box office“ der Kinos bestimmt wird, sondern davon, wie sehr er die Menschen berührt und wie sehr er Bleibendes hinterlässt.
Die wahre Feuerprobe eines Films besteht darin, ob er noch in einigen Jahrzehnten gespielt werden kann.
Dein Lebenswerk besteht diese Feuerprobe mit links.
Du warst es, der die „Filmindustrie“ des kleinbürgerlichen, kitschigen und bornierten ungarischen Films für immer (?) verändert hast. Du warst es, der die gängige Auffassung abgelehnt hat, der Film müsse der realen Welt dienen. Du hast jedwede Form, Schule und jedweden Stil abgelehnt. Du selbst bist die Form, der Stil und die Schule. Du hast Dich der immerwährenden Verständnislosigkeit widersetzt, Du hast mit Hohn und Verachtung getrotzt und mit einem bitteren Lächeln um die Lippen Deine Arbeit getan.
Du hast den Film befreit, Du hast klar erkannt, dass der Grund für die tödliche Krankheit des „Spielfilms“ die lineare Erzählweise ist, welche die assoziative Schatzkammer der bildlichen Darstellung zur einfachen Story verkommen ließ und zugleich die situative Sensibilität tilgte. Du hast den menschlichen Geschichten, den hinfälligen und gewöhnlichen Situationen stets ein immerwährendes Maß angelegt, Du vermochtest Deinen Helden fast schon mythologische Bedeutung zu verleihen. Du hast darauf aufmerksam gemacht, dass der Film keine „Bildgeschichte“ ist, die auf Grundlage eines „Drehbuchs“ entsteht, sondern die Summe aus Bild, Ton, Rhythmus, Musik, Bewegung und der menschlichen Blicke. So ist er imstande, zum Kunstwerk zu werden. Jedes einzelne Deiner Filmbilder steht zu jener Filmproduktion im Widerspruch, die von geschäftlichen und politischen Interessen prostituiert wird. […]Du warst es, der uns, die Zuschauer, nicht als Kinder oder gewöhnliche Idioten, sondern als erwachsene, gleichrangige Partner betrachtet hat. Du hast uns vertraut, um unser Vertrauen zu gewinnen und Du hast gewusst, dass Du all Dein Wissen und Deine Sensibilität in die Waagschale werfen musst. Du wolltest uns nicht bedienen, sondern vielmehr dienen, im besten Wortsinn.
Wir konnten von Dir lernen (oder doch nicht), dass wir keinen Grund zur Angst haben, dass wir stark und frei sind. In jeder Deiner Kameraeinstellungen schwingt die Bejahung der Freiheit mit, leichtfüßig und würdevoll und Du führst uns in Deinen Werken die Schicksalsprüfungen vor Augen, die auf den autonomen Menschen warten. Du hast das Höchste erreicht. Dass wir nämlich als andere Menschen aus dem Kino kommen, als wir hineingegangen sind. Auch wir selbst sind zu Autonomen geworden. Wir sind reicher geworden und wenn es auch nur um die Illusion ist, dass wir frei sind. Dies ist vielleicht das Wichtigste. Die Illusion der Freiheit ist womöglich der erste Schritt zur Freiheit. Mit jenem erbärmlichen Servilismus abzurechnen, der einen Großteil der ungarischen Filmemacher bis zum heutigen Tag kennzeichnet. Mit jeder Deiner Äußerungen hast Du darauf aufmerksam gemacht, dass man auf den Knien kriechend niemals einen wahren Film machen kann. Die Persönlichkeit des Künstlers wird auf der Leinwand stets durchschimmern. Die Filme sind immer so wie ihre Erschaffer. All das können wir in Deinen Werken deutlich sehen. Indem Du dem Bild Würde verliehen hast, hast Du die menschliche Würde hochgehalten. Ein großer Regisseur ist daran zu erkennen, dass jedes einzelne Bild aus seinen Filmen seine individuelle Handschrift trägt, unverkennbar, weil es sein Stil und seine Filmsprache ist. Dazu sind nur sehr wenige auf der Welt imstande – sofern sie dazu überhaupt noch imstande sind –, dies verleiht ihren Filmen einen außergewöhnlichen Wert. Dein Lebenswerk ist so. Fürwahr. Es hat einen außergewöhnlichen Wert, es ist gewaltig und es ist von universeller Wirkung.
Wir alle sind Dir zu Dank verpflichtet.
Gott behüt‘ Dich!
Wir brauchen Dich!
Der hier abgedruckte Text erschien am 30. September 2011 in der linksliberalen Wochenzeitung Élet és Irodalom.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
Zur Person
Der international renommierte Filmregisseur Miklós Jancsó (Cantata Profana [1961], Stille und Schrei [1968], Die große Orgie [1976], Ungarische Rhapsodie [1979]) feierte am 27. September seinen neunzigsten Geburtstag. Aus diesem Anlass huldigte ihm eine andere Größe des ungarischen Films, Béla Tarr (Verdammnis [1988], Satanstango [1994], Die Werckmeisterschen Harmonien [2000], The Turin Horse [2011]) in der Wochenzeitung Élet és Irodalom. Tarr sorgte bei den letzten Internationalen Filmfestspielen von Berlin, wo er mit seinem Streifen „The Turin Horse“ den Großen Preis der Jury gewann, auch jenseits der Filmwelt für Aufsehen, als er in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel die Regierung von Viktor Orbán in scharfen Worten kritisierte.