Auftragslage gibt Grund zu Optimismus
Letzten Freitag und Sonnabend feierte der Automobilzulieferer Hirschmann in Békéscsaba sein zwanzigstes Firmenjubiläum. Das Ereignis wurde auch dazu genutzt, um eine neue 1.200 Quadratmeter große Fertigungshalle feierlich zu eröffnen. Wir unterhielten uns mit Geschäftsführer Peter Inzenhofer über die Situation seiner Firma.
Hirschmann-Geschäftsführer Peter Inzenhofer: „Die Umstellung unseres Werkes von einem Cost Center zu einem Vollwerk war mein großes Einstiegsprojekt.”
Ihr Jubiläum fällt in unruhige Zeiten.
Rein wirtschaftlich kann ich mich nicht beklagen. Unsere Auftragsbücher für dieses Jahr sind gut gefüllt. Wir werden dieses Jahr ein Umsatzplus von schätzungsweise 20 Prozent erwirtschaften. Auch für nächstes Jahr sieht es schon jetzt gut aus. Nach wie vor investieren wir jedes Jahr
zwischen 500.000 und einer Million Euro in den Ausbau und die Modernisierung unserer Fertigungsanlagen. Ein wenig Sorgen bereiten mir derzeit lediglich die etwas unsicherer gewordenen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Um mich optimal wettbewerbsfähig aufzustellen, muss ich haarscharf kalkulieren können. Das ist im Moment ein wenig schwierig, da sich viele Einflussgrößen ändern.
Existenzsorgen wie etwa die Banken müssen Sie sich aber sicher nicht machen?
Nein, natürlich nicht. Produktionsunternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, werden von der amtierenden Regierung sehr geschätzt. Das haben auch die beiden Vertreter des ungarischen Staates, die bei unserer Jubiläumsfeier Reden hielten, einmal mehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Dinge wie Sondersteuern gibt es für uns freilich nicht. Auf der anderen Seite muss man aber auch ganz klar sehen, dass wir in unserer Branche ohne große Margen kalkulieren. Teilweise geht es bei uns nach Deckungsbeiträgen. Wenn sich in dieser Situation bei den Kosten auch nur scheinbar kleine Dinge ändern, kann das große Auswirkungen auf unsere Wettbewerbsfähigkeit haben – im Positiven wie im Negativen.
Dinge wie beispielsweise die erwartete Kompensation von Geringverdienern am Jahresanfang.
Ja, genau. Diese Maßnahme hat uns zwar nicht so stark berührt, weil nur ein geringer Anteil unserer Beschäftigten im unteren Lohnsektor ist, aber dennoch mussten gewisse Kalkulationen genau nachjustiert werden.
Wie kam es zur Gründung Ihrer Firma vor zwanzig Jahren?
Zunächst einmal wurde nicht exakt unsere Firma gegründet, sondern ein Joint-Venture mit 75–prozentiger Beteiligung von Hirschmann. 25 Prozent hielt unser langjähriger ungarischer Kooperationspartner, das staatliche Kommunikationsunternehmen BHG. Die Aktivitäten von Hirschmann in Békéscsaba reichen übrigens bis ins Jahr 1972 zurück, als eine Kooperation zwischen Hirschmann und dem BHG-Vorgänger HTV entstand. Zunächst ging es nur um reine Lohnarbeit.
Békéscsaba ist nicht der Nabel der Welt. Wie kam ein westdeutscher Industrieller zu kommunistischen Zeiten auf die Idee, gerade hier aktiv zu werden?
Angeblich hat die Jagdleidenschaft Vertreter der Unternehmerfamilie in diese wirklich etwas abgelegene Region verschlagen. Die Auslagerung gewisser Prozesse wurde damals noch nicht unter so harten Kostenaspekten betrachtet wie heute, sondern war eher eine Bauchentscheidung. Dazu muss man wissen, dass damals Themen wie Just-in-time-Lieferungen noch nicht annähernd den Stellenwert hatten wie heute. Zumal Hirschmann damals noch keine Automotive-Produkte herstellte, sondern nur Produkte für den Heimbereich wie Verstärker, Zimmerantennen und Dachantennen, die bequem auf Lager produziert wurden.
Inzwischen ist Hirschmann aber zu 75 Prozent ein Automotive-Zulieferer.
Trotzdem wurde in unserer gesamten Geschichte nie die Standortfrage gestellt. Nicht zuletzt, weil sich der Übergang zu dem, was wir heute sehen, fließend vollzog. Ein Schritt folgte folgerichtig dem vorherigen. In den Anfangsjahren waren wir für unsere Mutterfirma lediglich eine verlängerte Werkbank. Das Material kam aus Deutschland und verließ Békéscsaba dann wieder als fertiges Produkt in Richtung deutscher Mutter. 1991 hatte diese Kooperation dann ein Volumen erreicht, wo es notwendig wurde, über die Struktur neu nachzudenken. Da man befand, dass eine lose Verbindung nicht mehr optimal war, entschied man sich für ein stabileres Gebilde, um mehr Einfluss und Sicherheiten zu haben. Deshalb wurde dann vor zwanzig Jahren das Joint Venture gegründet. Zum ersten Mal trat Hirschmann damals im ungarischen Handelsregister in Erscheinung. Deshalb setzen wir hier unseren Geburtstag an.
Wenngleich dem Joint-Venture kein so langes Leben beschieden war.
Etwa fünf Jahre erfüllte dieses Konstrukt seinen Zweck jedoch ganz gut. Am Ende waren die deutschen Eigentümer mit einem staatlichen ungarischen Partner aber nicht mehr so glücklich. Die Zielsetzungen waren einfach zu unterschiedlich. Als alle Hoffnungen auf eine Verbesserung der Beziehung scheiterten, erwarb Hirschmann 1995 die restlichen 25 Prozent. So entstand die Hirschmann Elektronik Kft. als hundertprozentige Tochter. Dieser Schritt zog wiederum die Entscheidung nach sich, Grund zu erwerben und darauf eigene Gebäude zu errichten, um möglichst rasch die zuvor nur angemieteten Räumlichkeiten verlassen zu können.
Bei dieser Investition quasi "auf der grünen Wiese" hätte Hirschmann doch auch an einem anderen verkehrsgünstigeren Standort investieren können.
Die Logistik war damals noch kein großes Thema für uns, da wir zu diesem Zeitpunkt noch immer ein reiner Non-Automotive-Hersteller waren. Viel wichtiger waren die bereits ausgebildeten Mitarbeiter vor Ort. Nach diesen Investitionen wuchsen wir stetig weiter. Bald hatten wir eine Größe und eine Verwurzelung vor Ort erreicht, dass eine Verlagerung an einen anderen Standort nicht mehr so einfach möglich war.
Es hat ja sicher auch seine Vorteile, in einer Kleinstadt wie Békéscsaba ein so prominenter Investor zu sein.
Auf jeden Fall. Wir sind der größte Arbeitgeber vor Ort. Wir sind für bedeutende Steuereinnahmen verantwortlich und bieten fast 500 moderne Arbeitsplätze. In all den Jahren haben wir uns einen guten Ruf als stabiler Partner erarbeitet. Immer wieder spüren wir, dass sich die Stadt über unsere Bedeutung voll im Klaren ist. Und überhaupt: Wenn man sich so lange kennt, laufen viele Dinge einfach reibungsloser. Als wir uns zu Beginn des Jahres entschieden, eine neue Halle zu bauen, weil wir mehr Produktionsfläche benötigten, konnten wir den Genehmigungsprozess danach rasch über die Runden bringen. Innerhalb weniger Tage wurde uns beispielsweise die Baugenehmigung erteilt.
Wie schaffen Sie es, in Ihrer Region entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte in der notwendigen Zahl zu bekommen?
Dies ist keine so leichte Aufgabe, vor allem wenn es um Ingenieure geht. Zumal es in Békéscsaba keine technische Hochschule gibt. Gute Kooperationen mit den Technischen Unis in Budapest und Kecskemét helfen uns aber, diesen Mangel zu kompensieren. Unsere Ingenieure stammen fast ausschließlich aus Békéscsaba und Umgebung. Aus verschiedenen Gründen hat es sie nach ihrem Studium wieder zurück in ihre Heimatregion gezogen, nicht zuletzt weil sie hier dank uns attraktive zukunftsorientierte Arbeitsplätze finden. Der große Vorteil ist, dass diese Leute, wenn sie erst einmal bei uns begonnen haben, hochgradig loyal sind und wir langfristig auf sie zählen können. Klar, große Sprünge können wir uns nicht erlauben. Wenn wir etwa auf einen Schlag zwanzig Ingenieure einstellen müssten, hätten wir schon ganz schön zu tun.
Ihr Werk liegt fast an der ungarisch-rumänischen Grenze. Da böte es sich doch an, Arbeitskräfte auch von dort zu beziehen.
Es ist nicht nur eine verlockende Möglichkeit, sondern zugleich auch eine betriebswirtschaftliche Pflicht, die Fühler nach Rumänien auszustrecken. Um entweder Arbeitskräfte anzuwerben oder gewisse Prozesse auszulagern. Immerhin winken hier noch attraktivere Lohnverhältnisse. Leider waren aber all unsere diesbezüglichen Anstrengungen nicht von Erfolg gekrönt. Bei den Zulieferern hakte es immer wieder mit der Qualität und Liefertreue. Für potenzielle Mitarbeiter ist neben der Entfernung, die Rumänen sind nicht sehr mobil, auch die Staatsgrenze ein Problem. Rumänien gehört ja noch nicht zum Schengenraum. Da gestaltet sich tägliches Pendeln als schwierig. Wir inserieren zwar weiterhin im rumänischen Grenzgebiet, bekommen aber so gut wie keine Rückmeldungen. Aber auch so sind die Lohnkostenvorteile bei uns nicht von der Hand zu weisen. Gegenüber Gy?r oder Budapest zahlen wir für vergleichbare Arbeitskräfte 20-25 Prozent weniger. Dennoch gehören wir in unserer Region bei den Gehältern zum oberen Drittel. Das Problem ist halt nur, dass sich die Suche nach geeigneten Arbeitskräften deutlich schwieriger und langwieriger gestaltet als etwa an den genannten Orten.
Trotzdem mussten Sie sich im Krisenjahr 2008 von etwa 120 Mitarbeitern trennen.
Zunächst hatten wir versucht, die Situation dadurch zu überstehen, indem wir die Arbeitszeit einfach für alle Mitarbeiter ohne Lohnausgleich um einen gewissen Prozentsatz reduzierten. Obwohl ausnahmslos alle Mitarbeiter diesen schweren Schritt mitgingen, mussten wir nach drei Monaten erkennen, dass dieses Opfer nicht ausreichte und noch immer kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen war. So waren Entlassungen unumgänglich. Nicht weil wir mit einzelnen Mitarbeitern unzufrieden waren, sondern einzig und allein wegen der schlechten Auftragslage. Das war sehr bitter für beide Seiten. Aber bei einem Auftragseinbruch von 60 Prozent bei Industrieelektronik und 30 Prozent bei Automotive blieb uns einfach keine andere Wahl. Das konnten wir nicht mehr länger ohne weitere Einschnitte bei den Personalkosten wegstecken. Und eine Kurzarbeitslösung wie in Deutschland gibt es in Ungarn leider nicht. Im Zuge der anziehenden Konjunktur konnten wir dann aber wieder etliche Mitarbeiter in unser Boot zurückholen. Derzeit beschäftigen wir 460 Mitarbeiter, mehr als vor der Krise.
Wie vollzog sich die Akzentverschiebung hin zu Automotive?
Der Prozess begann 1999. Da wir in den Jahren zuvor bewiesen hatten, dass wir es können, begann unsere Mutterfirma, uns schrittweise mit anspruchsvolleren Aufgaben zu versorgen, so auch mit Aufträgen aus dem Automotive-Bereich, wo bekanntlich ungleich höhere Anforderungen in Sachen Qualität und Zuverlässigkeit bestehen. Parallel zu diesem Prozess vollzog sich unsere Umwandlung vom reinen Cost Center zur eigenständigen Business Unit mit wesentlich mehr Verantwortung. Während wir zuvor hauptsächlich prozessorientiert waren, begannen wir uns schrittweise mit Themen wie Einkauf, Logistik und Finanzcontrolling zu beschäftigen und uns um eine deutlich längere Supply Chain zu kümmern. Den Beginn unserer Eigenständigkeit datieren wir auf den 1. Juli 2002 zurück, den Tag, an dem wir ein eigenes SAP-System in Betrieb nahmen. Es war in der Lage, unsere gesamten Geschäftsabläufe abzubilden. Zuvor hatten wir nur mit dem Produktionsmodul zu tun. Ich bin seit Januar 2001 bei der Firma. Die Umstellung unseres Werkes von einem Cost Center zu einem Vollwerk war mein großes Einstiegsprojekt.
Und währenddessen bekamen Sie immer mehr Automotive-Aufträge?
Ja, dieser Bereich wurde schrittweise ausgebaut. Daneben wurde immer mehr Verantwortung in die Hände unserer Mitarbeiter gelegt. Sie bekamen mehr Rechte aber auch Pflichten. Das Setzen von mehr Eigenverantwortung hat gut funktioniert. Bei einigen ging es schneller, bei anderen nicht so schnell. Außerdem erwarb unsere Firma schrittweise die für einen Automotive-Zulieferer unerlässlichen Zertifizierungen. Damit war der Weg frei, um noch mehr ins Automotive-Geschäft einzusteigen. Derzeit machen wir bereits 75 Prozent unseres Umsatzes mit Automotive-Produkten. Innerhalb der Hirschmann-Gruppe sind inzwischen alle Aktivitäten, die mit Autoantennen zu tun haben am Standort Békéscsaba angesiedelt. Wir produzieren hier unter anderem Dach-, Folien-, Notruf- und Bluetooth-Antennen. Der Ausbau dieses Geschäfts ist nicht mehr von Verlagerungen abhängig, sondern ausschließlich von der Auftragslage.
Bleiben einige Ihrer Produkte auch in Ungarn?
Bisher noch nicht. Da wir aber Zulieferer für die A-, B- und M-Klasse von Mercedes sind und Fahrzeuge der A- und B-Klasse bald in Kecskemét vom Band laufen, gehe ich davon aus, dass dank Daimler einige Produkte von uns Ungarn bald nur noch fertig eingebaut in einem PKW verlassen werden.
Welche Trends gibt es auf Ihrem Markt?
Sehr vielfältige und teilweise sehr kundenspezifische. Immer wieder gibt es auch regelrechte Modewellen. Mal ist es in, dass von der Antenne außen nichts zu sehen ist – dann verschwindet sie etwa in Außenspiegeln oder Spoilern – und mal macht es nichts aus, wenn sie aus dem Dach ragt.
Wird mobiles Internet nicht eines Tages die klassische Dachantenne verdrängen? Immerhin sind wichtige Funktionen wie Radio, Telefon und Navigation per Mobilfunk und Smartphone inzwischen auch ohne Dachantenne möglich.
Mittelfristig sehe ich nicht, dass die Dachantenne, ob sichtbar oder eingebaut, verschwinden wird. Nach wie vor bringt eine Antenne auf dem Dach die beste Leistung. Das hat einfach etwas mit Physik zu tun. Jeder Einbau geht mit Verlusten einher, die entweder toleriert oder durch Verstärker kompensiert werden. Was das Internet betrifft, sehe ich eher die Tendenz, das ganze Auto unabhängig von einem vorhandenen Mobiltelefon multimediafähig zu machen. Dafür sind natürlich Antennen nötig. Um unsere Zukunft mache ich mir also keine Sorgen.